Geschichte

Frauen gegen Männer? Wie die Gleichberechtigung wirklich ins Grundgesetz kam

„Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ Dass dieser Satz 1949 ins Grundgesetz kam, war nicht den vier Frauen im Parlamentarischen Rat zu verdanken – zumindest nicht allen. Stattdessen spielten drei Frauen aus der SPD die entscheidende Rolle.

von Kerstin Wolff · 23. Mai 2024
Die „Mütter des Grundgesetzes“ verfolgten durchaus unterschiedliche Interessen: Helene Wessel, Helene Weber, Friederike Nadig und Elisabeth Selbert (v.l.)

Die „Mütter des Grundgesetzes“ verfolgten durchaus unterschiedliche Interessen: Helene Wessel, Helene Weber, Friederike Nadig und Elisabeth Selbert (v.l.)

Vor 75 Jahren, am 23. Mai 1949, trat durch die Verkündung des Grundgesetzes in der Bundesrepublik eine neue Verfassung in Kraft. Gleich zu Beginn, in den Grundrechten, ist eine Revolution zu finden: In Artikel 3 Abs. 2 legt das Grundgesetz die vollständige Gleichberechtigung der Geschlechter fest. Dort heißt es: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ Damit formuliert zum ersten Mal eine deutsche Verfassung die Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen.

Wie war es dazu gekommen? War es tatsächlich der Kampf der Frauen gegen die Männer im Parlamentarischen Rat, so wie man es immer häufiger zu hören bekommt? Und was hat überhaupt die SPD damit zu tun? Zeit, einmal genauer hinzusehen.

Vier Frauen auf unterschiedlichen Seiten

Dem Parlamentarischen  Rat gehörten 65 stimmberechtigte Mitgliedern an, 61 Männer und lediglich vier Frauen. Helene Weber von der CDU, Helene Wessel vom noch existierenden Zentrum und die beiden Sozialdemokratinnen Elisabeth Selbert und Frieda Nadig.

Diese vier Frauen trafen im Parlamentarischen Rat als Vertreterinnen ihrer Parteien aufeinander und standen nicht nur in der Frage der Gleichberechtigung der Geschlechter auf unterschiedlichen politischen Seiten. Denn während sich die beiden Sozialdemokratinnen, wie der Rest der SPD auch, für eine unumschränkte Gleichberechtigung aussprachen, lehnten die beiden Helenes, in Übereinstimmung mit ihren Parteien, diese Forderung dezidiert ab. Dies zeigte sich in aller Deutlichkeit im Hauptausschuss, der die einfache Formulierung: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ nach langen und heftigen Debatten ablehnte. Die Sozialdemokrat*innen hatten dafür plädiert, alle anderen Parteien dagegen. 

Eine kluge Kampagne der Sozialdemokratinnen

Was nun folgte war eine sehr klug eingefädelte Kampagne der Sozialdemokratinnen Elisabeth Selbert, Frieda Nadig und Herta Gotthelf, der Frauensekretärin der Partei. Vor allem Selbert und Gotthelf hatten schon immer eng und vertrauensvoll zusammengearbeitet und nun versuchten beidem, einen Proteststurm von Frauenverbänden und Einzelpersonen zu erreichen, um das Anliegen zu unterstützen. Wie erfolgreich diese Lobbyarbeit war, ist umstritten. Sehr wahrscheinlich ist die Erinnerung von Selbert, dass Protestschreiben gleich Körbeweise den Parlamentarischen Rat geschüttet wurden, nicht ganz richtig und übertrieben.

Was aber konstatiert werden kann, ist die Tatsache, dass in der darauf folgenden Sitzungen im Hauptausschuss, als wieder die Formulierung zur Gleichberechtigung anstand, die Stimmung zugunsten der Gleichberechtigungsformulierung der SPD und Selbert kippte. Von Seiten der CDU betonte man nun, dass man sich im Grunde doch einig gewesen sei und es lediglich darum ginge, eine passende Formulierung zu finden. Helene Weber von der CDU meldete sich zu Wort und verwies darauf, dass man in der Sache doch das Gleiche gewollt habe, es lediglich um die Frage einer passenden Formulierung gegangen sei. 

Keine Frage der Formulierung, sondern eine Frage des Ziels

Bei genauerer Lektüre in den Protokollen des Hauptausschusses wird allerdings deutlich, dass die bürgerlichen Parteien inklusive ihrer Politikerinnen eine Position favorisierte, die von einer grundsätzlichen Unterschiedlichkeit von Mann und Frau ausging, was eine tatsächliche Gleichberechtigung ausschloss. Die grundsätzlich andere Herangehensweise an die Frage der Gleichberechtigung, vor allem vertreten durch Elisabeth Selbert, wird hier überdeutlich.

Denn, es war eben nicht nur eine Frage der Formulierung, es war eine Frage des Ziels. Selbert und die SPD wollten, dass die Gleichberechtigung durch die Verabschiedung des Grundgesetzes „zwingendes, bindendes Recht auf Grund der Verfassung“ sein würde, mit Folgen sowohl für das dann zu reformierende Familienrecht, als auch für Tarifverträge und vieles mehr.

Die SPD setzt sich durch

Durch die Unterstützung der Öffentlichkeit und das Festhalten von Selbert und der SPD an der Formulierung gelang es in der entscheidenden Sitzung am 18. Januar 1949, den Gleichheitsgrundsatz als unveräußerliches Grundrecht im Grundgesetz durchzusetzen. Die Formulierung „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ wurde nun einstimmig angenommen.

Es war also nicht ein feministisches Engagement der vier Politikerinnen im Parlamentarischen Rat, die sich in Sachen Gleichberechtigung der Geschlechter zusammengetan hatten und gegen die Männer stritten, sondern ein politisches Ziel der SPD, die damit hoffte, vor allem Frauen als Wählerinnen zu gewinnen. Heute, nach 75 Jahren, ist es notwendig an diese parteipolitische Geschichte zu erinnern, denn zunehmend setzt sich das Märchen eines gelungenen Frauenkampfes im Parlamentarischen Rat in der Frage der Gleichberechtigung durch. Und das ist schlicht falsch.

Autor*in
Kerstin Wolff

Historikerin beim AddF - Archiv der deutschen Frauenbewegung, Forschungsinstitut und Dokumentationszentrum zur Geschichte der Frauenbewegung in Kassel. Hier leitet sie den Forschungsbereich, ist Teil des Leitungsteams und ist Lehrbeauftragte an der Universität Kassel.

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3 Kommentare

Gespeichert von Armin Christ (nicht überprüft) am Do., 23.05.2024 - 18:26

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Meiner Information zufolge hatte Max Reimann einen entscheidenden Anteil daran daß Art 3 Abs 2 ins GG aufgenommen wurde - allerding war er keine Frau.

Hallo!

 

Danke für den Hinweis. Nach meiner Kenntnis war vor allem der

KPD-Abgeordnete Heinz Renner im Hauptausschuss des Parl. Rates

entscheidend. Dieser rückte im Oktober 1948 als Nachfolger von Hugo Paul

in den Parlamentarischen Rat nach. Auf den Seiten der Bundeszentrale ist

zu lesen: "Trotz seiner grundsätzlich oppositionellen Haltung und

heftiger Wortgefechte in den Diskussionen im Plenum und in den

Ausschüssen, kommt es nicht zu einer persönlichen Isolierung Renners."

(https://www.bpb.de/themen/nachkriegszeit/grundgesetz-und-parlamentarischer-rat/39121/heinz-renner-kpd/)

Das kann ich anhand der Protokoll des Hauptausschusses bestätigen.

Renner sprach immer wieder für die Selbertsche SPD-Formulierung.

Allerdings war für ihn der Hauptpunkt - gemäß der sozialistischen

Ideologie der Frauenemanzipation durch Arbeit - dass er den Passus:

"Gleichen Lohn für gleiche Arbeit" mit aufgenommen haben wollte. Dagegen

verwahrte sich Selbert, da sie nicht anfangen wollte, einzelne

Arbeitsbereiche der Gleichberechtigung zu benennen. Renner führte z.B.

aus: "Die Stellung, die das BGB der Ehefrau gibt, ist meines Erachtens

schlechthin  der Ausdruck der Stellung überhaupt, die die

bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft der Frau einräumt. (...) Der

Anteil der Frauen an der werktätigen Bevölkerung ist heute so groß, daß

das Gros der Frauen auf Arbeit und auf den Ertrag der Arbeit angewiesen

ist. Darum muß in die Grundrechte die Formel hineingearbeitet werden,

daß Frauen - selbstverständlich auch Jugendliche beider Geschlechter -

einen Anspruch auf gleichen Lohn bei gleicher Arbeit haben (...). "

(Verhandlungen des Hauptausschusses, Bonn 1948/49, S. 207.) Man kann

also festhalten, dass er die Gleichberechtigung unterstützte, diese aber

sozialistischer gestalten wollte. Ob er wirklich mit seinen Ausführungen

im Hauptausschuss einen entscheidenden Anteil an der Annahme des

Artikels hatte wage ich etwas zu bezweifeln, denn er sprach sich

insgesamt gegen die "inhaltslosen und unverbindlichen Formulierungen,

die die ganzen Grundrechte hier kennzeichnen ..." aus. (Ebd., S. 206.)

Und am Ende lehnte er das Grundgesetz ab und verweigerte seine Unterschrift.

Aber Fakt ist auch, dass er immer für die Gleichberechtigung der Frau

sprach und diese nie in Frage stellte.

 

Ich hoffe ihre Frage damit beantwortet zu haben.

 

Kerstin Wolff



 

Gespeichert von Armin Christ (nicht überprüft) am Mi., 29.05.2024 - 15:24

Antwort auf von Kai Doering

Permalink

Danke für die Antwort. Ich dachte es war Reimann und nicht Renner, aber auf jeden Fall jemand von der KPD. Man mag diesen Menschen ja kritisch gegenüberstehen, aber ihre Beiträge zur überwindung des Nazi-Regimes sollte auch gewürdigt werden.