Inland

Urteil zu Asyl-Zurückweisungen: Eine Einzelfall-Entscheidung mit Folgen

Das Verwaltungsgericht Berlin stuft Zurückweisungen von Asylsuchenden als rechtswidrig ein. Die Bundesregierung hält dennoch an ihrer Praxis fest. Was bedeutet das Urteil für künftige Asylverfahren an den deutschen Grenzen?

von Christian Rath · 3. Juni 2025
Zwei Polizisten halten an der deutsch-österreichischen Grenze einen Reisebus an.

Die Bundespolizei kontrolliert an der deutsch-österreichischen Grenze.

Die Bundesregierung will weiter alle Asylsuchenden an den deutschen Grenzen zurückweisen. Sie lässt sich dabei auch nicht durch die Eil-Entscheidung des Verwaltungsgerichts (VG) Berlin beirren, das die Zurückweisungen am Montag als „rechtswidrig“ einstufte. Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) sprach von „Einzelfall-Entscheidungen“ und betonte, dass es sich um Eil-Verfahren handelte. Im Hauptsache-Verfahren werde die Bundespolizei ihre Position „dezidierter“ begründen. Was ist dran an Dobrindts Argumentation?

Kläger*innen dürfen einreisen

Tatsächlich handelte es sich im Fall der drei Somalier*innen (eine Jugendliche, zwei junge Männer) um Einzelfall-Entscheidungen. Sie haben keine Wirkung über den konkreten Fall hinaus. Die Bundespolizei hat die Entscheidungen insofern umgesetzt und die drei Kläger*innen einreisen lassen, so dass auf deutschem Boden nun das EU-rechtlich vorgesehene Dublin-Verfahren stattfinden kann. Dabei wird geprüft, welcher EU-Staat für das Asylverfahren zuständig ist.

Die Beschlüsse haben aber durchaus grundsätzlichen Charakter. Denn die Argumente, warum die Zurückweisungen als rechtswidrig eingestuft wurden, haben nichts mit den Einzelfällen zu tun. Es spielte zum Beispiel keine Rolle, dass die 16-jährige Somalierin einen verletzten Fuß hat.

Wahrscheinlich wird jedes Gericht folgen

Die Argumente des Gerichts kommen auch in keiner Weise überraschend. Es sind die gleichen rechtlichen Argumente, die schon seit Jahren gegen Zurückweisungen von Asylsuchenden vorgebracht werden. Die Position der Bundespolizei wurde sogar zunehmend schlechter, weil der Versuch, eine Bedrohung dür die innere Sicherheit zu konstruieren, bei stark abnehmenden Asylzahlen immer absurder wurde.

Es ist also sehr damit zu rechnen, dass auch jedes andere Verwaltungsgericht Zurückweisungen als rechtswidrig einstufen wird, etwa das VG München, wenn es um Zurückweisungen an der Grenze nach Österreich geht.

Warum weitere Klagen unwahrscheinlich sind

Es ist allerdings fraglich, ob es noch viele Klagen gibt. Denn zurückgewiesene Flüchtlinge gehen beim nächsten Mal einfach über die schlecht bewachten Grünen Grenzen. Das war der fußverletzten Somalierin nicht möglich, weshalb sie wirklich klagen musste.

Die Eil-Entscheidung des VG Berlin ist rechtskräftig, da es in gerichtlichen Asylverfahren nur eine Instanz gibt. Der 28-seitige Beschluss, ist aber keineswegs oberflächlich oder skizzenhaft, sondern gründlich und umfassend. Es ist nicht ersichtlich, warum das VG in einem Hauptsache-Verfahren zu einer anderen Entscheidung kommen sollte.

Kommt es überhaupt zu einer Klärung?

Ob es das von Dobrindt angesprochene Hauptsache-Verfahren überhaupt geben wird, ist jedoch fraglich. Dobrindt kann es jedenfalls nicht einleiten. Eine Hauptsache-Klage der Somalierin liegt zwar bereits vor, aber das Gericht könnte diese nach dem erfolgten Grenzübertritt für erledigt erklären.

Wenn es kein Hauptsacheverfahren gibt, kann es auch keine höchstrichterliche Klärung geben. Auch eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) ist dann nicht möglich.

Klagt die EU-Kommission gegen Deutschland?

Möglich wäre aber, beim EuGH ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland einzuleiten. Klagen könnte ein anderer EU-Staat oder die EU-Kommission, wobei letztere in Asylsachen bisher nur intervenierte, wenn es gegen Ungarn geht.

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Christian Rath

ist rechtspolitischer Korrespondent.

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Gespeichert von Martina Winkler (nicht überprüft) am Mi., 04.06.2025 - 04:08

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Ich begreife nicht, wieso Ihr Euch auf die migrationspolitische Frage konzentriert. Die Weigerung Dobrindts, ein Gerichtsurteil zu akzeptieren, weist in ihrer Problematik doch weit darüber hinaus. Wir sehen hier eine akute Gefährdung des Rechtsstaates, ganz in Trumpscher Manier. Wo bitte bleibt der Aufschrei in der SPD?????

Gespeichert von Peter Boettel (nicht überprüft) am Mi., 04.06.2025 - 08:47

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Inzwischen scheinen sich Mautbrindt und Merz nach ihrem Vorbild Trump nicht mehr um den Grundsatz der Gewaltenteilung gem. Art. 20 GG zu kümmern.
Dass es sich um eine "Einzelfallentscheidung" handeln soll, ist eine Auslegung von Mautbrindt, die aber z.B. von dem ARD-Rechtsexperten Frank Bräutigam anders gewertet wird: "Die Begründung des Verwaltungsgerichts Berlin geht weit über den konkreten Fall hinaus. Sie ist sehr allgemein gefasst und ausführlich. Es geht dort nicht nur um die konkreten Umstände der einzelnen Fälle."

Gespeichert von Helmut Gelhardt (nicht überprüft) am Mi., 04.06.2025 - 14:00

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Es ist ganz einfach: 'Mir-san-mir-CSU-Dobrindt'/die 'BlackRock-Merz-CDU' begehen hier klaren Rechtsbruch in Trump-Manier. Der SPD Fraktionschef verlangt eine 'tiefe Prüfung' dieser Gerichtsentscheidung. War es das ??? Die SPD macht sich auch hier zum Steigbügelhalter d i e s e r CDU/CSU und im Ergebnis zur Beschönigerin dieser CDU/CSU-Politik. Kann sich die SPD s o noch morgens in den Spiegel schauen ???
Im Übrigen sind die Kommentare von Martina Winkler und Peter Boettel zuteffend!
P.S. Es wird viel über ein neues SPD-Programm diskutiert (anlässlich des Jubiläums des Gothaer-Programms).
Das Rad muss nicht immer neu erfunden werden: Die SPD sollte sich am Erfurter Programm und Berliner Programm 1989/1998 orientieren und diese in die heutige Zeit auch für die Zukunft übersetzen. Die KI wartet nicht. Und der KI muss man im Sinne der Arbeitnehmer mit echter Wirtschaftsdemokratie und echter Unternehmens-Mitbestimmung begegnen - die bis heute (!) nicht gegeben sind!

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