Umstrittener Bericht: Wie gefährdet sind die Grundrechte in Deutschland?
Die Lage der Bürger- und Menschenrechte verschlechtert sich in Deutschland: Zu diesem Ergebnis kommen zehn Bürgerrechtsorganisationen in ihrem aktuellen Bericht. SPD-Innenexperte Sebastian Fiedler widerspricht deutlich.
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Sebastian Fiedler, innenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, stellt klar: „Der Grundrechtsschutz befindet sich in Deutschland auf einem äußerst hohen Niveau – erst Recht im internationalen Vergleich.“
Als in Berlin Ende Mai der „Grundrechte-Report 2025. Zur Lage der Bürger- und Menschenrechte in Deutschland“ vorgestellt wird, zeigt sich ein beunruhigendes Ergebnis. „In bislang nicht gekanntem Ausmaß stehen die Kommunikationsgrundrechte und damit die Grundlagen der pluralistischen Demokratie unter Druck“, heißt es in dem von zehn Bürgerrechtsorganisationen herausgegebenen Bericht. Zentral ist dabei Artikel 5 des Grundgesetzes: „Jeder hat das Recht, seine Meinung frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten“.
Grundrechte-Report: Freie Meinungsäußerung wird kriminalisiert
„Bestimmte Arten von Versammlungen werden pauschal verboten und Protestcamps mit Gewalt geräumt“, kritisiert der Bericht zur Lage der Grundrechte im Jahr 2024. Er warnt: Zunehmend würden Meinungsäußerungen „wegen ihres Inhalts kriminalisiert, Kulturschaffende und Wissenschaftler*innen unter Generalverdacht gestellt“.
Als konkrete Beispiele dafür werden die Strafverfahren gegen Studierende angeführt, die aus Protest gegen den Krieg in Gaza Teile der Berliner Humboldt-Universität sowie der Freien Universität besetzt hatten. Jessica Grimm, Strafverteidigerin in Berlin, kritisiert, hierbei stünde die Meinungsfreiheit gegen die Staatsräson. „Die in Deutschland wiederauflebenden Studierendenproteste werden von staatlichen Institutionen mit drastischen Grundrechtseinschränkungen beantwortet. Das Recht auf Protest ist fundamental und muss verteidigt werden“, so Grimm.
Sebastian Fiedler: Grundrechte-Report nicht nachvollziehbar
Sebastian Fiedler, innenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, kann gegenüber dem „vorwärts“ „keine dieser Einschätzungen nachvollziehen“. Sofern Versammlungen durch die Versammlungsbehörde verboten würden - dies geschehe nicht pauschal -, stünde den Anmelder*innen der Rechtsweg offen. Dann entschieden unabhängige Gerichte. „Auch beim Räumen von rechtswidrigen Protestcamps handelt die Polizei nach Recht und Gesetz“, betont Fiedler. Die Grenzen der mit Artikel 5 garantierten Meinungsfreiheit seien die Strafgesetze. „Wer also andere zum Beispiel beleidigt oder verleumdet oder wer zu Straftaten aufruft, kann sich nicht auf die Meinungsfreiheit berufen, sondern wird richtigerweise strafrechtlich verfolgt.“
Der Report verweist darüber hinaus auf einen absoluten Höchststand der durch Polizist*innen erschossenen Menschen in Deutschland. Im Jahr 2024 gab es hier nach Angaben des online-Portals „Statista“ 22 Todesopfer – nach zehn im Vorjahr mehr als eine Verdoppelung. Der bisherige Höchststand von 19 Erschossenen aus dem Jahr 1999 wurde damit übertroffen.
Spielt Rassismus bei Polizeischüssen eine Rolle?
Kommunikationswissenschaftlerin Sevda Can Arslan, die zum Thema Polizeigewalt und Medien forscht, kritisiert „die vielen Fälle von tödlicher Polizeigewalt haben ein Muster“. Die Getöteten hätten oft einen Migrationshintergrund, seien marginalisiert und befänden sich häufig in psychischen Krisen. „Immer ist im Polizeinarrativ von Notwehr die Rede, nie von institutionellem Rassismus“, so Arslan. Die Hinterbliebenen würden oft allein gelassen und müssten selbst für Aufklärung sorgen. Doch sie sieht auch eine positive Entwicklung: „Die Deutungshoheit der Polizei beginnt immer mehr zu bröckeln, zu viele Menschen sagen inzwischen, dass dies keine Einzelfälle sind.“
Auch hier kommt Fiedler zu anderen Schlussfolgerungen. Für ihn zeigen die Zahlen nämlich „wie oft sich Polizistinnen und Polizisten in Deutschland Gewalt ausgesetzt sehen“. Der Schusswaffengebrauch der Polizei sei stets eine Reaktion auf gewalttätiges Handeln anderer Personen und immer Ultima Ratio. Fiedler sieht im zunehmenden Gebrauch von Schusswaffen auch das Spiegelbild einer weiter steigenden Gewaltkriminalität unter Einsatz von Messern.
SPD-Experte: Für Rassismus der Polizei „spricht nichts“
Die „Unterstellung“ eines institutionellen Rassismus bei Schusswaffeneinsätzen der Polizei, geht für Fiedler an der Realität vorbei. Beim Einsatz von Schusswaffen seien Polizeibeamt*innen stets diejenigen, die auf Gewaltanwendung anderer reagieren müssten. „Ein Rassismusvorwurf würde bedeuten, dass der Mensch in Uniform die Entscheidung, nicht zu schießen oder zu schießen anhand äußerer Erscheinungsmerkmale der angreifenden Person fällen würde.“ Diese Entscheidung müsste in Sekundenbruchteilen gefällt werden, in einer Lage voller Stress und manchmal auch Angst. Für die Annahme, hierbei spiele Rassismus eine Rolle, „spricht nichts“, so Fiedler.
Der Grundrechte-Report 2025 berichtet anhand von 43 Einzelbeiträgen über konkrete Vorfälle, er beruht dabei nicht auf repräsentativen Umfragen oder Statistiken. „Die Einschränkung der Kommunikationsgrundrechte ist nicht wie die Schüsse der Polizei in einfachen Zahlen zu messen“, erklärt dazu Andreas Engelmann, Rechtsanwalt der Vereinigung Demokratischer Jurist*innen e.V. (VDJ), gegenüber dem „vorwärts“. Die Beschreibungen des Berichtes basierten auf einer subjektiven Wertung der beteiligten Organisationen, räumt er ein. Auch die konstatierte „zunehmende Tendenz der Grundrechtsbeeinträchtigung insgesamt können wir nur als Erfahrungswissen und Experteneinschätzung belegen“, so Engelmann.
Fiedler: „Grundrechtsschutz in Deutschland auf äußerst hohem Niveau“
SPD-Innenexperte Sebastian Fiedler sieht eine solche Tendenz „in keinster Weise“ gegeben. Gegenüber dem „vorwärts“ betont er, er sei „froh und glücklich, in Deutschland leben zu dürfen“. Die Gesetze entstünden aus der politischen Mitte heraus. Und: „Wir alle können uns glücklich schätzen, dass wir diese Polizei haben und keine andere.“ Fiedlers Fazit: „Der Grundrechtsschutz befindet sich in Deutschland auf einem äußerst hohen Niveau – erst Recht im internationalen Vergleich.“