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Studie: Warum Frauen eher links und Männer eher rechts wählen

Noch nie hat sich das Wahlverhalten von Männern und Frauen so stark unterscheiden wie bei der letzten Bundestagswahl. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung. Was die Gründe für diesen „Gender Vote Gap“ sind, erklärt deren Autor Ansgar Hudde im Interview.

von Jonas Jordan · 30. Juni 2025
Die neue Vorsitzende Bärbel Bas beim Selfie auf dem SPD-Parteitag

Die neue SPD-Vorsitzende Bärbel Bas: Repräsentationsfiguren können für das Wahlverhalten von Frauen eine Rolle spielen, sagt der Wissenschaftler Ansgar Hudde.

Junge Männer wählen rechts, junge Frauen links – könnte man Ihre Studie so zusammenfassen?

Ungern, zwar stimmt es, dass junge Männer deutlich häufiger die AfD wählen als junge Frauen. Trotzdem waren es bei den jüngsten Männern nur 27 Prozent. Im Umkehrschluss wählen also fast drei Viertel der jungen Männer nicht Rechtsaußen.

Aber wie kommt es, dass junge Männer eher die AfD wählen als junge Frauen?

Es gibt nicht denen einen, alles erklärenden Faktor – aber ein paar plausible Teilerklärungen. Junge Frauen haben häufiger akademische Abschlüsse als junge Männer. Leute mit Hochschulabschluss wählen generell seltener rechts. Das führt dazu, dass Frauen eher nach links tendieren und Männer nach rechts. Gleichzeitig haben wir in Deutschland noch einen Gender Pay Gap von 16 Prozent. Das kann dazu führen, dass Frauen eher diejenigen Parteien wählen, die für mehr Umverteilung eintreten. Frauen arbeiten auch häufiger in Branchen, die von einem stärkeren Staat eher profitieren, zum Beispiel im öffentlichen Dienst. Gleichstellungsthemen spielen auch eine wichtige Rolle. Zwar nehmen Geschlechterunterschiede ab – aber oft nur langsam – und die bestehenden Ungleichheiten rücken stärker in den Fokus, insbesondere für junge Frauen. Das zieht sie eher zu den Parteien links der Mitte, die für mehr Gleichstellung eintreten.

Welche Rolle spielt es, dass immer mehr rechte Jugendgruppen entstehen, rechts zu sein unter jungen Männern also zunehmend als cool gilt?

Bislang waren rechtsextreme Parteien in Deutschland gesellschaftlich stigmatisiert. Solche Jugendorganisationen können dazu beitragen, dass diese Stigmatisierung abnimmt. Dann halten junge Männer „rechts sein“ eher für akzeptabel oder sogar für wünschenswert. 

Welche Rolle spielen soziale Medien, insbesondere TikTok, für das unterschiedliche Wahlverhalten junger Menschen?

Viele junge Leute informieren sich in erster Linie über Social Media. Auf TikTok können sich die Feeds von jungen Frauen und jungen Männer systematisch unterscheiden, sie sehen unterschiedlichen Content. Allerdings gehen einige in der Politikwissenschaft davon aus, dass die Bedeutung von Social Media manchmal überschätzt wird. 

Bei der Bundestagswahl hat die Linke bei jungen Frauen besonders gut abgeschnitten. Deren Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek wurde auch durch TikTok bundesweit bekannt. War das Medium oder die Person als Repräsentationsfigur für den Wahlerfolg entscheidender?

Repräsentationsfiguren können eine Rolle spielen. Was Heidi Reichinnek von manchen politischen Charakteren unterscheidet, ist, dass sie ihre eigene Sprache und ihren eigenen Style hat. 

Welche Schlüsse sollte die SPD aus diesem Wahlerfolg der Linken ziehen?

Die Linke hat es geschafft, unterschiedliche Gruppen und unterschiedliche Regionen zu gewinnen. Sowohl in links-grünen, eher akademisch geprägten Innenstadtgebieten als auch in Orten wie Gera in Thüringen. Sie hat es geschafft, ein breites Bündnis zu schließen zwischen Leuten, die milieumäßig nicht besonders viel miteinander zu tun haben. Sie hat das geschafft, indem sie Themen in den Mittelpunkt ihrer Kampagne gestellt hat, bei denen es einen Konsens gab – Umverteilung, Reichensteuer und Mieten. Das hat die Themen in den Hintergrund gerückt, bei denen es Konfliktpotenzial innerhalb der Wählerschaft gibt, also etwa Außenpolitik, Migration und kulturelle Themen. 

Ansgar 
Hudde

Wenn Parteien gesellschaftlich stigmatisiert sind, schreckt das Frauen häufiger ab als Männer.

Auch in den USA haben bei der Präsidentschaftswahl Männer eher Trump gewählt als Frauen. Warum tendieren Männer eher zu rechten Kandidaten?

Das ist eine längere Momentaufnahme, aber auch keine, die so bleiben muss. In Frankreich wird der Rassemblement National genauso oft von Männern wie von Frauen gewählt. Wenn Parteien gesellschaftlich stigmatisiert sind, schreckt das Frauen häufiger ab als Männer. Dieser Faktor bröckelt, wenn sich Parteien stark gesellschaftlich etablieren.

Der Gender-Vote-Gap war bei dieser Bundestagswahl deutlich stärker als bei vorangegangenen Wahlen. Gehen Sie davon aus, dass sich dieser Trend fortsetzt?

Da ist alles möglich. Ich erwarte nicht, dass der Gender Gap komplett verschwindet. Dafür sind die Faktoren dafür zu grundlegend. Beim Wahlverhalten mit Blick auf die AfD gehe ich allerdings von einer Angleichung aus. Das deutet sich schon jetzt in den mittleren und höheren Altersgruppen sowie regional an. In Sachsen und Thüringen war der Gender Gap bei der AfD deutlich kleiner. Da ist Teil einer gesellschaftlichen Normalisierung der Partei. Bei den jungen Leuten deuten alle Trends auf einen sich weitenden Gap hin, andererseits ist da so viel Volatilität drin.

Zum Beispiel lagen unter den Erstwähler*innen 2021 noch FDP und Grüne vorne, diesmal Linke und AfD.

Ja, das ist ein extrem schneller Wandel. Er könnte auch für eine systematische Veränderung stehen, es schreckt junge Menschen weniger ab, wenn Parteien von vielen scharf abgelehnt werden. Das gilt für junge Männer und die AfD aber auch junge Frauen und die Linke. Auch das scheint ein internationales Muster zu sein. Denn in Frankreich wird die radikale Linke unter Melenchon inzwischen auch von vielen jungen Frauen gewählt.

Zur Person

Ansgar Hudde ist Akademischer Rat am Department für Soziologie und Sozialpsychologie an der Universität zu Köln. Im Campus-Verlag ist vor kurzem sein Buch mit dem Titel „Wo wir wie wählen – Politische Muster in Deutschlands Nachbarschaften“ erschienen.

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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