Migration: Worin sich die Wahlprogramme von SPD und Union unterscheiden
Wohl kaum ein anderes Thema bietet gerade im Wahlkampf so viel Zündstoff wie die Zuwanderung. SPD und CDU/CSU geben auf viele Fragen grundlegend unterschiedliche Antworten. Bei zwei zentralen Aspekten sind sich die Parteien allerdings einig.
IMAGO / Jochen Tack
Menschen, die kein Bleiberecht haben, müssen Deutschland verlassen: Darin sind sich SPD und Union einig.
Nicht zuletzt der Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Magdeburg im Dezember hat die Debatte um Zuwanderung und Abschiebungen in Deutschland neu befeuert. Viele Menschen in Deutschland fordern eine stärkere Kontrolle von Migration. Zuletzt hat auch die SPD ihren Kurs in der Asylpolitik verschärft.
Die Zuwanderung nach Europa wird sich durch die EU-Asylreform ab 2026 ändern: Die Behörden müssen dann bereits an den EU-Außengrenzen klären, ob ein Antrag aussichtsreich ist. Migrant*innen mit geringen Aufnahmechancen werden direkt zurückgewiesen, die übrigen über einen Solidaritätsmechanismus zwischen den EU-Ländern verteilt. Doch die Union will eine Migrationspolitik, die darüber hinausgeht. Gesteuerte Zuwanderung oder Abschottung? Die Positionen der beiden Parteien gehen weit auseinander. Das Thema könnte somit wahlentscheidend sein.
EU-Außengrenzen stärker sichern
SPD und CDU/CSU sind sich einig: Ein stärkerer Schutz der EU-Außengrenzen ist wichtig. Die SPD pocht in ihrem Wahlprogramm auf hohe rechtliche und humanitäre Standards in allen EU-Ländern. Sie fordert ein unabhängiges Monitoring der Kontrollen vor Ort. „Pushbacks“, also unrechtmäßige Grenzzurückweisungen, sollen verhindert werden.
Nach dem Anschlag in Solingen im August hatte die Ampel-Koalition die Kontrollen an den deutschen Grenzen zu Österreich, Tschechien, Polen und der Schweiz verlängert. Die SPD betont, Kontrollen an den EU-Binnengrenzen sollen eine „absolute Ausnahme“ bleiben.
Die CDU/CSU fordert dagegen „eine grundsätzliche Wende in der Migrationspolitik“. Im Wahlprogramm kritisiert sie die Regierung von CDU-Ex-Kanzlerin Angela Merkel, die während der Flüchtlingskrise 2015/2016 die deutschen Grenzen offenhielt.
„Wir setzen einen faktischen Aufnahmestopp sofort durch“, heißt es dagegen heute. Die Schließung von deutschen Grenzen soll so lange ausgeweitet werden, bis die EU-Außengrenzen stärker gesichert sind. Das soll über moderne Technik wie Drohnen und Wärmebildkameras sowie mehr Befugnisse und Personal bei der Grenzschutzagentur Frontex funktionieren.
Asylverfahren beschleunigen
Auch darin sind sich SPD und Unionsparteien einig: Asylverfahren sollen schneller werden und zentraler ablaufen. Die SPD will Entscheidungen über Asylanträge in nur sechs Monaten erreichen. Ankunftsstrukturen für Geflüchtete sollen zentraler und unbürokratischer werden. Ein digitales Ausländerzentralregister soll zur zentralen Plattform bei der Antragsbearbeitung werden.
Der SPD ist eine solidarische Migrationspolitik wichtig, die über den unter den EU-Ländern in der Asylreform vereinbarten Mechanismus hinausgeht. Die Union will dagegen Geflüchtete sofort abweisen, die ihren Antrag nicht im Ankunftsland, sondern in Deutschland stellen.
Die SPD lehnt es ab, Asylverfahren in Drittstaaten auszulagern, wie es Italien in Albanien macht oder Großbritannien in Ruanda. Asylbewerber sollen Zugang zu rechtsstaatlichen Verfahren in der EU bekommen.
Die Union befürwortet dagegen die Drittstaaten-Lösung. Wer in Europa Asyl beantragt, soll das Verfahren in „sicheren“ Drittstaaten durchlaufen und dort auch bleiben, wenn der Antrag bewilligt wird. Welche Staaten außerhalb der EU infrage kommen, lassen die Konservativen offen. Ebenso, nach welchem Recht die Asylanträge geprüft werden sollen – und wer die Kosten für die Einrichtungen und Verfahren übernimmt.
Union will ein Kontingent für Deutschland
Schwammig bleibt auch, wie viele Bleibeberechtigte nach den Vorstellungen der Union in den Drittstaaten bleiben dürfen. Hierzulande fordert die Union ein jährlich begrenztes Kontigent an Aufnahmen. Wie hoch dieses liegt, sagt sie nicht. Eine zukünftige Bundesregierung soll Schutzbedürftige im Ausland über ein Hilfsprogramm auswählen, damit diese sich gar nicht erst eigenständig auf den Weg nach Europa machen. Nach welchen Maßstäben? Auch das bleibt unklar.
Weitere humanitäre Aufnahmeprogramme will die Union sofort beenden und sich auf EU-Ebene dafür einsetzen, dass der subsidiäre Schutz entfällt. Subsidiären oder humanitären Schutz bekommt, wer in seinem Herkunftsland zwar nicht verfolgt wird, aber dennoch erheblichen Schaden fürchten muss, zum Beispiel durch Folter oder die Todesstrafe. In den vergangenen Jahren traf das vor allem auf Bürgerkriegs-Geflüchtete aus Syrien zu. Wer in Deutschland bereits subsidiären Schutz hat, darf seine Familie nach den Vorstellungen der Union nicht nachholen.
Abschiebungen ausweiten - aber wie?
Die Union will Rückführungen entschieden ausweiten. Dafür kündigt sie ein neues Gesetz an, unter anderem soll der Bund die Länder bei Abschiebungen unterstützen, Bundesausreisezentren sollen die Rückführungen steuern. Die Union will auch die Abschiebehaft ausbauen. Straftäter*innen oder Gefährder*innen sollen auf unbestimmte Zeit festgesetzt werden können.
Um noch mehr Abschiebungen zu ermöglichen, will die Union die Liste der „sicheren Herkunftsländer“ erweitern. Sie kündigt an, „regelmäßig“ nach Syrien und Afghanistan abschieben zu wollen. Beide Länder sind derzeit keine sicheren Herkunftsländer, für Afghanistan gilt seit der Machtübernahme der Taliban in 2021 ein Abschiebestopp. Den Schutzstatus von syrischen Geflüchteten will die Bundesregierung nach dem Sturz des Assad-Regimes im Dezember neu überprüfen.
Zuletzt ging es in der Debatte über Abschiebungen in beide Länder vor allem um schwere Straftäter*innen, die ihr Bleiberecht in Deutschland verwirkt haben. Ob diese ihren Schutzstatus verlieren, kann allerdings nur über im Einzelfall geprüft werden.
Wird ein Antrag abgelehnt, sieht auch die SPD eine konsequente und rasche Abschiebung begründet. Allerdings fordert sie Abschiebungen nach humanen Regeln: Wer will, darf freiwillig gehen. Grundsätzlich will sie Migrationsabkommen mit Herkunftsländern ausbauen, die auf der einen Seite Zuwanderern die Einreise für Ausbildung und Arbeit ermöglichen, auf der anderen Seite aber geordnete Rückführungen garantieren.
Die SPD will Migration regulieren, indem sie Fluchtursachen durch Entwicklungszusammenarbeit bekämpft. Bestehende Fluchtrouten will sie sicherer machen.
Sozialleistungen einschränken - ja oder nein?
Die Union will bei den Sozialleistungen für Asylbewerber*innen deutlich sparen. Sie setzt auf Sachleistungen statt Geld. Als Beispiel nennt sie die Bezahlkarte, bei der Asylbewerber*innen ein Guthaben auf eine Debit-Karte aufgeladen bekommen, aber nur wenig Bargeld abheben können. Für Ausreisepflichtige will die Union sich am Grundsatz „Bett, Brot und Seife“ orientieren und nutzt dabei den gleichen Slogan wie die AfD.
Geflüchtete aus der Ukraine müssen in der EU ekeinen Asylantrag stellen. In Deutschland können sie Bürgergeld beziehen. Die Union möchte das ändern, und neu ankommenden Ukrainer*innen nur noch Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz gewähren. Dabei ist die Differenz zwischen den beiden Leistungsarten gering.
Die Union möchte die Ukrainer*innen schneller in Arbeit bringen und verkennt dabei, dass viele der ukrainischen Geflüchteten alleinerziehende Mütter sind, die gar nicht arbeiten gehen können. Berufsabschlüsse sollen schneller anerkannt werden, die Geflüchteten sollen während des Arbeitens die deutsche Sprache lernen.
SPD setzt auf Integration statt Abschottung
Die SPD versteht Deutschland als Einwanderungsland, dessen alternde Gesellschaft auf Zuwanderer*innen angewiesen ist. Bereits jetzt kommt etwa jeder siebte Arbeitnehmer und jede siebe Arbeitnehmerin aus dem Ausland. Statt Einwanderung zu beschränken und wichtige Fachkräfte zu verlieren, streben die Sozialdemokrat*innen eine schnellere und bessere Integration an. Dazu sollen Abschlüsse und Qualifikation einfacher anerkannt und Integrations- und Deutschkurse ausgebaut werden.
Bei der Integration in den Arbeitsmarkt setzt die SPD nicht auf Streichung von Leistungen, sondern auf effizientere Strukturen. Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz will sie weiterentwickeln, um Arbeitskräften aus dem Ausland die Zuwanderung weiter zu erleichtern. Auch will sie die Möglichkeiten ausbauen, Geflüchtete über den „Job-Turbo" schon mit geringen Deutschkenntnissen in eine Arbeit zu bringen.