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Asylreform: Was sich in Europa nun ändern soll

Das Europaparlament hat der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) am Mittwochabend in allen Teilen zugestimmt. Was sich nun in der europäischen Migrationspolitik ändern soll.

von Jonas Jordan · 11. April 2024
Das Europaparlament hat einer Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) am Mittwoch zugestimmt.

Das Europaparlament hat einer Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) am Mittwoch zugestimmt.

Lange wurde darum gerungen, insbesondere damit eine Entscheidung noch vor der anstehenden Europawahl am 9. Juni zustande kommt. Letztlich hat das Europaparlament am Mittwochabend grünes Licht gegeben und allen zehn Gesetzestexten mehrheitlich zugestimmt, die die GEAS-Reform beinhaltet.  Ein Überblick über die wichtigsten Beschlüsse:

Mehr Solidarität unter den Mitgliedsstaaten

Zum ersten Mal wurde im Zuge der GEAS-Reform ein verpflichtender solidarischer Verteilmechanismus beschlossen. Dieser sieht vor, EU-Länder, die unter hohem Migrationsdruck stehen wie beispielsweise Griechenland und Italien, entsprechend zu entlasten. Dies kann geschehen, indem andere Mitgliedsstaaten Asylsuchende oder Personen, die internationalen Schutz genießen, in ihr Hoheitsgebiet umsiedeln lassen, finanzielle Beiträge leisten oder operative beziehungsweise technische Unterstützung bieten. Mit 322 zu 266 Stimmen nahm das Europaparlament die vorgelegte Verordnung bei 31 Enthaltungen an.

Auf Krisen reagieren

Unmittelbar damit zusammen hängt die Verordnung zur Bewältigung von Krisensituationen höherer Gewalt, die eben jenen Mechanismus für die Reaktion auf einen plötzlichen Anstieg der Migration vorsieht. Dadurch sollen Solidarität sowie die Unterstützung jener Mitgliedsstaaten sichergestellt werden, die mit einer außergewöhnlich hohen Zahl an Migrant*innen aus Drittstaaten konfrontiert sind. Das Abstimmungsergebnis fiel denkbar knapp aus. Letztlich wurde der Text mit 301 zu 272 Stimmen bei 46 Enthaltungen angenommen.

Kontrollen an EU-Außengrenzen

Einer der zentralen Punkte der GEAS-Reform ist die Überprüfung von sogenannten Drittstaatsangehörigen an den EU-Außengrenzen. Demnach sollen Personen, die die Voraussetzungen für eine Einreise in die EU nicht erfüllen, vor der Einreise in einem bis zu sieben Tage andauernden Verfahren überprüft werden. Dies soll für Menschen mit einer Staatsangehörigkeit gelten, deren Anerkennungsquote für Asyl bei unter 20 Prozent liegt.

Im Zuge dessen sollen sie identifiziert, ihre biometrischen Daten erfasst und sie Gesundheits- und Sicherheitskontrollen unterzogen werden. Die Mitgliedsstaaten sollen unabhängige Kontrollmechanismen einrichten, um sicherzustellen, dass die Grundrechte geachtet werden. Die dafür zuständige Berichterstatterin war die SPD-Europaabgeordnete Birgit Sippel. Der von ihr vorgelegte Text wurde mit 366 zu 229 Stimmen bei 29 Enthaltungen angenommen.

Schnellere Asylverfahren

Innerhalb der EU sollen Asylverfahren beschleunigt werden. Zu diesem Zweck soll EU-weit ein neues, gemeinsames Verfahren eingeführt werden. Die Bearbeitung von Asylanträgen an den Grenzen der EU soll schneller erfolgen. Fristen für unbegründete oder unzulässige Anträge sollen künftig kürzer sein. Das Asylverfahren und die Abschiebung insgesamt sollen in der Regel je zwölf Wochen dauern. Das Abstimmungsergebnis fiel mit 301 zu 269 Stimmen bei 51 Enthaltungen denkbar knapp aus.

Aufnahme von Asylsuchenden

Die Mitgliedstaaten müssen in Zukunft sicherstellen, dass für die Aufnahme von Asylsuchenden gleichwertige Normen gelten. Das betrifft unter anderem Unterkunft, Schulbildung und Gesundheitsversorgung. Registrierte Asylbewerber*innen sollen künftig spätestens sechs Monate nach Antragstellung eine Arbeit aufnehmen können. Neue Regeln für Inhaftierung und Einschränkung der Bewegungsfreiheit sollen außerdem Personen, die einen Asylantrag gestellt haben, davon abhalten, sich innerhalb der EU zu bewegen. Dem stimmten 398 Abgeordnete zu, bei 162 Nein-Stimmen und 60 Enthaltungen.

Sicherer und legaler Weg nach Europa

Mit einem neuen Rahmen für Neuansiedlung und Aufnahme aus humanitären Gründen können Mitgliedsstaaten künftig anbieten, von den Vereinten Nationen anerkannte Geflüchtete aus Drittstaaten direkt aufzunehmen und ihnen so die legale, organisierte und sichere Einreise in die EU zu ermöglichen. Der gefährliche Weg über das Mittelmeer mithilfe von Schlepper*innen bliebe ihnen dadurch erspart. Dafür stimmten 452 Abgeordnete, bei 154 Nein-Stimmen und 14 Enthaltungen.

Nancy Faeser

Wir haben bei der Migration eine tiefe Spaltung Europas überwunden.

Wie reagiert die SPD?

„Wir haben bei der Migration eine tiefe Spaltung Europas überwunden“, kommentierte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) das Abstimmungsergebnis via X (ehemals Twitter). Sie fügte an: „Wir ermöglichen mit den Regelungen geordnete Asylverfahren statt Chaos und Rechtlosigkeit an den Außengrenzen.“ 

Die innenpolitische Sprecherin der S&D-Fraktion im Europaparlament, Birgit Sippel, machte deutlich: „Mit dem neuen Paket schaffen wir nun klare Regeln, welche die Mitgliedstaaten in die Verantwortung nehmen und Schutzsuchenden einen Zugang zu Asyl in Europa ermöglichen.“ Sie räumte ein, dass die sozialdemokratische Fraktion hohe Zugeständnisse habe machen müssen, um einen Kompromiss zu erzielen. Dennoch betonte sie: „Nun gilt es, den Mitgliedstaaten und der Kommission bei der Umsetzung genauestens auf die Finger zu schauen, damit wir sicherstellen, dass an den EU-Außengrenzen sowie in der gesamten EU endlich wieder europäisches Recht umgesetzt wird und Grundrechte gewahrt werden.“

Kritik kam hingegen von den Jusos, deren Bundesvorsitzender Philipp Türmer schrieb auf X: „Wir brauchen ein menschliches Asylrecht, das sichere Fluchtwege schafft, faire Verteilung in der EU garantiert und Geflüchtete schnell in unsere Gesellschaft und Arbeitsmarkt integriert. GEAS ist dafür kein Fortschritt, sondern ein Rückschritt.“

Wie geht es weiter?

Nachdem das Parlament der GEAS-Reform zugestimmt hat, muss als nächstes der Rat das Paket förmlich billigen. Danach treten die einzelnen Vorschriften in Kraft, sobald sie im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht wurden. Die Verordnungen sollen innerhalb von zwei Jahren zur Anwendung kommen.

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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1 Kommentar

Gespeichert von max freitag (nicht überprüft) am Fr., 12.04.2024 - 06:44

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anders als möglicherweise andere Mitgliedstaaten ist unser nationales Interesse doch darin zu sehen, dass weiter möglichst viele junge Männer zu uns kommen, denn der Fachkräftemangel ist ja eklatant und überall mit Händen zu greifen. Gastwirtschaften, Unternehmen im Fremdenverkehr - um nur Beispiele zu geben- schliessen ganz oder reduzieren ihre Öffnungszeiten, weil sie kein personal bekommen. Da dürfen wir nicht akzeptieren, dass an den EU Grenzen Menschen abgewiesen werden, die wir hier zur Aufrechterhaltung unserer Wirtschaft dringend benötigen. Ich hoffe sehr, dass unsere Regierung da noch Türen aufhält für den weiterer Fachkräftezuzug .