Meinung

Migration: Integration ist das beste Mittel, um Straftaten vorzubeugen

Derzeit läuft ein Überbietungswettbewerb, wie die Asylgesetze verschärft werden sollten. Migrationspolitik wird dabei in einen Topf geworfen mit der Bekämpfung von Kriminalität. Das ist falsch – und brandgefährlich.

von Christian Wolff · 13. September 2024
Abschiebung als Kriminalitätsbekämpfung? Ein Verbrechen ist nicht deswegen horrend, weil der Täter ein Geflüchteter ist.

Abschiebung als Kriminalitätsbekämpfung? Ein Verbrechen ist nicht deswegen horrend, weil der Täter ein Geflüchteter ist.

Nun ist er gescheitert, der sogenannte Asyl-Gipfel. Doch scheitern kann nur etwas, das zuvor gewollt war: eine Verständigung über ein zentrales Thema auf der politischen Agenda. Ein solches Wollen spielte von Anfang an nur eine untergeordnete Rolle. Vielmehr versuchen CDU/CSU auf der einen und die Regierungsparteien auf der anderen Seite vor dem Hintergrund des Messerattentats von Solingen der Bevölkerung zu suggerieren: Mit neuen Gesetzen und Maßnahmen können wir die Migration besser steuern, Probleme mit der Integration beheben, der ausländerfeindlichen und rechtsnationalistischen AfD das Wasser abgraben und Wähler*innen zurückgewinnen.

Doch bis jetzt hat die auch in den Medien unwürdig und erbärmlich geführte Debatte nur eines gezeigt: Man bedient fast ausschließlich die Narrative der AfD und spielt den Rechtsextremist*innen so in die Hände. Gleichzeitig wird an alle Bürger*innen mit Migrationshintergrund das fatale Signal gesendet: Eigentlich wäre es besser, wenn ihr nicht hier leben würdet.

Es braucht keine neuen Gesetze, sondern ihre konsequente Anwendung

Doch nüchtern muss festgestellt werden: Um eine Gewalttat wie die in Solingen am 29. August zu verhindern, muss kein neues Gesetz geschaffen werden. Vielmehr müssen die vorhandenen Gesetze und Regelungen konsequent angewendet werden, um mögliche Straftaten einzugrenzen. Denn unabhängig von staatlichen Regelungen: Verantwortlich für eine Straftat ist zunächst und vor allem der/die Täter*in! Außerdem wird durch die derzeitige Debatte die irrige Vorstellung genährt, als könne man Terrorist*innen und Islamist*innen durch verschärfte Asylgesetze von ihren Taten abhalten.

Die Attentäter vom 11. September 2001 haben gezeigt, mit welch primitiven Mitteln man horrende Straftaten mit katastrophalen Folgen begehen kann. Es reichte eine Rasierklinge. Der anschließende „Krieg gegen den Terror“ in Afghanistan hat zudem offenbar gemacht, dass mit purer Gegengewalt nichts zu erreichen ist – außer dass der Nährboden für die Radikalisierung ganzer Bevölkerungsgruppen kräftig gedüngt wird. Schließlich hat der versuchte Terroranschlag auf das israelische Konsulat in München am 5. September 2024 wieder verdeutlicht, dass der Täter, ein Staatsbürger Osterreichs, völlig legal die Grenze überschritten hat, um seine Gewalttat durchzuführen.

Wir brauchen eine Willkommenskultur

Also bleibt die Frage: Was ist denn die angemessene Reaktion auf Gewalttaten wie die von Solingen? An erster Stelle muss die Integration der Menschen stehen, die als Geflüchtete nach Deutschland kommen. Sie ist das beste und effektivste Mittel, um möglichen Straftaten vorzubeugen. Asylbewerber*innen sind mit ihrer Ankunft zu befähigen, ein eigenständiges Leben zu führen. Sie benötigen dazu Wohnraum, Arbeit und Kenntnisse der deutschen Sprache. Dies ist nur zu erreichen, wenn Geflüchtete insbesondere von ehrenamtlichen Unterstützer*innen begleitet und gefördert werden. Dazu benötigen wir eine anhaltende Willkommenskultur. Diese weiter zu pflegen, ist vornehmste Aufgabe auch der Politik.

Leider geschieht derzeit das Gegenteil: Ständig wird behauptet, dass die Integration gescheitert sei. Doch damit wird das bürgerschaftlioche Engagement Tausender Menschen beleidigt. Was wir hier versäumen, fällt uns jetzt schon schwer auf die Füße. Und nun kann sich jede*r, der:die sich in Medien oder auf dem politischen Parkett in den vergangenen Monaten zum Thema Migration und Asyl geäußert hat, einmal selbstkritisch fragen: Was habe ich zur Stärkung der Willkommenskultur, zur Anerkennung des ehrenamtlichen Engagements vieler Bürger*innen und zur Würdigung der Tätigkeit Tausender Geflüchteter im Dienstleistungsbereich beigetragen?

Die Art und Weise, wie respektlos und ohne den Hauch einer Empathie über Geflüchtete, Asylbewerber*innen und Migrant*innen im öffentlichen Raum geredet wird, ist nicht nur ein Skandal – es  ist ein Beitrag zu dem, was es zu verhindern gilt: eine Radikalisierung und Entfremdung der Menschen, die bei uns Schutz und einen Neuanfang suchen.

Migrationspolitik und Sicherheitspolitik voneinander trennen

Was jetzt nottut? Wir müssen im gesellschaftspolitischen Diskurs Asyl- und Migrationspolitik auf der einen und die Bekämpfung von Kriminalität auf der anderen Seite voneinander trennen. Ein Verbrechen ist nicht deswegen horrend, weil der Täter ein Geflüchteter ist. Wenige Tage nach dem Solinger Messerattentat stach eine psychisch kranke Frau in einem Bus in Siegen wahllos auf Menschen ein. Sie ist deutsche Staatsbürgerin ohne Migrationshintergrund. Gott sei Dank überlebten alle Verletzten diese Gewalttat. Es wäre verheerend, wenn wir jetzt in jedem psychisch Erkrankten einen potentiellen Gewalttäter vermuten würden. Also verbietet sich jede Stigmatisierung von Bevölkerungsgruppen aufgrund der Tatsache, dass ein*e Straftäter*in ihr angehört.

Mit anderen Worten: Wir müssen den gefährlichen Irrsinn beenden, dass wir denen, die in einem x-bliebigen Bus einer Großstadt, der von einem Syrer oder Afghanen, ohne deren Tätigkeit in den Städten viele Linien gar nicht mehr fahren könnten, gelenkt wird, den Fahrer auf übelste Weise beleidigen und provozieren, durch die öffentliche Debatte noch eine Rechtfertigung und Genugtuung liefern. Spätestens hier müsste all denen, die mit markigen Sprüchen im Bundestag oder am Stammtisch aufwarten, ihr Gerede im Halse stecken bleiben.

Der Text erschien zuerst im Blog des Autors.

Autor*in
Christian Wolff
Christian Wolff

ist evangelischer Theologe und seit 2014 als Blogger und Berater für Kirche, Politik und Kultur tätig. Seit 1970 ist er Mitglied der SPD.

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2 Kommentare

Gespeichert von Armin Christ (nicht überprüft) am Fr., 13.09.2024 - 13:17

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muss ich hier einem Artikel von Christian Wolff zustimmen. Was denkt sich die SPD-Führung dabei vollund ganz auf die afd-linie umzuschwenken ?
In der öffentlichen Debatte muss auch mal endlich zwischen dem Anspruch auf Asyl und anderen Schutzansprüchen unterschieden werden. Was denkt sich eine Politik denn dabei wenn einer Gemeinde mit 600 Einwohnern auf einmal 400 Flüchtlige aufgehalst werden ? Da geht Integration nicht.
Ich konnte auch vor 7 oder 8 Jahren beobachten wie hier in Brandenburg die Flüchtlinge an der entlegendsten Peripherie untergebracht wurden anstatt in den Villenvirteln der Städte. Der einzige Vorteil für die Einwohner: es gab wieder mehr Busverbindungen.
Die jetzige Übernahme von afd-Positionen erzeugen in mir einen Brechreiz.

Gespeichert von max freitag (nicht überprüft) am Fr., 13.09.2024 - 19:41

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Zustimmung zum Wolf . Es liegt an uns, dass sich die Schutzsuchenden integrieren, wenn da Defizite auftreten, sind wir verantwortlich für alle Folgen. Daran muss offensichtlich erinnert werden. Vielen Dank dafür und die Klarstellung