Meinung

Pistorius' Wehrdienst-Pläne: Jetzt kommt die Zeitenwende in der Gesellschaft an

Um Deutschlands Verteidigungsfähigkeit zu stärken, will Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) einen neuen Wehrdienst einführen. Er setzt dabei auf Freiwilligkeit und Anreize statt auf Pflichten. Das ist der richtige Weg, meint vorwärts-Redakteur Kai Doering.

von Kai Doering · 12. Juni 2024
Gelingt Boris Pistorius die Quadratur des Kreises? Am Mittwoch hat der Verteidigungsminister seine Plänen für einen neuen Wehrdienst vorgestellt.

Gelingt Boris Pistorius die Quadratur des Kreises? Am Mittwoch hat der Verteidigungsminister seine Pläne für einen neuen Wehrdienst vorgestellt.

„Wir erleben eine Zeitenwende. Und das bedeutet: Die Welt danach ist nicht mehr dieselbe wie die Welt davor.“ Als Olaf Scholz am 27. Februar 2022, drei Tage nach dem russischen Angriff auf die Ukraine, diese Worte im Bundestag sagte, dürften sich davon die wenigsten in Deutschland direkt angesprochen gefühlt haben. Mit dem 100 Milliarden schweren Sondervermögen für die Bundeswehr wurde die „Zeitenwende“ in Deutschland etwas konkreter. Doch wirklich spürbar dürfte sie erst jetzt werden.

Pistorius reagiert auf die neue Realität

Am Mittwoch hat Boris Pistorius seine Vorstellungen für einen neuen Wehrdienst vorgestellt. Generationen von – mittlerweile nicht mehr ganz jungen – Männern in Deutschland denken wahlweise mit Schaudern oder mit glänzenden Augen an ihre Zeit bei der Bundeswehr zurück. Erst 2011 wurde die Wehrpflicht in Deutschland ausgesetzt. Zu teuer, aus der Zeit gefallen, den Anforderungen einer modernen Interventionsarmee nicht angemessen, lauteten damals die Argumente.

Doch die zählen nun nicht mehr. Mit Russlands Angriff auf die Ukraine ist auch eine Gewissheit zerstört worden, die nach dem Fall des Eisernen Vorhangs mindestens zwei Generationen geprägt hatte: dass Deutschland umgeben ist von Freunden. Auf diese neue Realität will der Verteidigungsminister reagieren. „Wir müssen die Abschreckungsfähigkeit auch im Personalkörper hinbekommen“, sagte Boris Pistorius am Mittwoch. Etwas umständlich drückte der Verteidigungsminister damit eine neue alte Gewissheit aus: Deutschland muss militärisch so aufgestellt sein, dass niemand wagt, es anzugreifen.

Ein Wehrdienst ohne Wehrpflicht

Dass das allein mit einer Berufsarmee nicht zu schaffen ist, dürfte jedem klar sein. Entscheidend ist nicht so sehr die Zahl der aktiven Soldat*innen unter Waffen, sondern die Möglichkeit, in kürzester Zeit ausgebildete Kämpfer*innen aktivieren zu können. Diese Möglichkeit hat Deutschland mit dem Aussetzen der Wehrpflicht verloren. Das Verteidigungsministerium kennt nicht mal mehr die Adressen derjenigen, die vor 2011 ihren Grundwehrdienst geleistet haben. Keine gute Ausgangssituation für den möglichen Verteidigungsfall.

Mit Pistorius‘ Plan für einen neuen Wehrdienst kommt die Zeitenwende in der deutschen Gesellschaft an. Setzt sich der Verteidigungsminister mit seinen Vorstellungen durch, wird ab dem kommenden Jahr jeder junge Mensch angeschrieben und zum Ausfüllen eines Fragebogens aufgefordert. Auf diese Weise sollen sich genügend Freiwillige für einen Dienst an der Waffe finden. Geht der Plan auf, gelänge Pistorius die Quadratur des Kreises: ein Wehrdienst ohne Wehrpflicht. In unser aller Sinne sollten wir dem Verteidigungsminister viel Erfolg für sein Vorhaben wünschen.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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2 Kommentare

Gespeichert von Martin Holzer (nicht überprüft) am Do., 13.06.2024 - 17:58

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"Mit Russlands Angriff auf die Ukraine ist auch eine Gewissheit zerstört worden, die nach dem Fall des Eisernen Vorhangs mindestens zwei Generationen geprägt hatte: dass Deutschland umgeben ist von Freunden."

Welches unserer Nachbarländer ist denn nicht mehr unser Freund?

Gespeichert von Armin Christ (nicht überprüft) am Fr., 14.06.2024 - 17:02

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Also bei mir kommt die Zeitenwende gar nicht gut an und ich weiß, daß ich da nicht alleine Stehe. Mit der Abkehr von der Verteidigungsbereitschaft hin zur Kriegstüchtigkeit hat Pistorius das Vokabular preußischer Militaristen übernommen, die schon immer die Gegner unserer sozialdemokratischen Urväterundmütter waren.