Kinderarmut: Immer mehr Eltern bangen um Versorgung ihrer Kinder
Die Sorge vor Kinderarmut ist stark gestiegen. Laut einer Umfrage können viele Eltern ihre Kinder nicht mehr mit dem Notwendigsten versorgen. Dabei lag schon einmal ein möglicher Lösungsansatz auf dem Tisch.
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Spielen und Freizeit ist für viele von Armut betroffene Kinder nicht selbstverständlich.
Immer mehr Eltern sehen ihre Kinder von Kinderarmut bedroht. Bei einer Forsa-Umfrage im Auftrag der Organisation „Save the Children“ äußerte ein Viertel der Befragten die Sorge, in den kommenden zwölf Monaten die Grundbedürfnisse der Familie wie Essen, Wohnen oder Heizen nicht ausreichend finanzieren zu können. Das ist ein starker Anstieg gegenüber der letzten Umfrage zu Jahresbeginn. Im Januar zeigten sich nur 15 Prozent der Befragten darüber besorgt.
Forsa befragte mehr als 1.000 Eltern von minderjährigen Kindern. Die Not ist offenbar vor allem bei Haushalten gestiegen, die ein Nettoeinkommen von weniger als 3.000 Euro haben. Gaben im Januar noch 36 Prozent von ihnen an, ihre Familie nicht mehr mit dem Notwendigsten versorgen zu können, waren es inzwischen 57 Prozent. Fast die Hälfte dieser Familien können sich nie oder nur selten Urlaub, Restaurantbesuche oder Hobbys der Kinder leisten, bei den Alleinerziehenden sind es ein Drittel.
Jedes fünfte Kind von Armut betroffen
Laut „Save the Children“ ist derzeit jedes fünfte Kind in Deutschland von Armut betroffen. Nach den angewandten Kriterien der Organisation leben demnach mehr als drei Millionen Kinder in Haushalten, die sich keinen durchschnittlichen Lebensstandard leisten können beziehungsweise kein Geld für Wesentliches haben. Die Organisation führt die Zunahme der Kinderarmut auf gestiegene Lebensmittelkosten in der Inflation und wachsende Arbeitslosigkeit zurück.
Psycholog*innen warnen vor der mentalen Belastung armutsbetroffener Kinder. „Wir wissen aus anderen Studien, dass Kinder aus finanziell benachteiligten Familien häufiger von psychischen Störungen betroffen sind und gleichzeitig schwerer Unterstützung finden“, kommentiert Julian Schmitz, Professor für Klinische Kinder- und Jugendpsychologie der Universität Leipzig, die Umfrage. Die Folgen seien langanhaltende hohe gesellschaftliche und individuelle Kosten. „Es ist daher eine zentrale politische Aufgabe, Kinderarmut endlich mit Nachdruck zu bekämpfen.“
Doch rund drei Viertel der Befragten finden die von der Bundesregierung geplanten Maßnahmen nicht ausreichend. „Die Erwartungen an die Politik sind hoch – und das Vertrauen in bestehende Strategien gering“, sagt dazu Eric Großhaus von „Save the Children“. Kinderarmut bleibe in Deutschland auf hohem Niveau, doch es fehle ein familienpolitisches Gesamtkonzept. „Auch der Koalitionsvertrag zeigt: Viele Ansätze gegen Kinderarmut bleiben bisher vage oder Stückwerk. Hier muss dringend nachgebessert werden. Wir brauchen endlich mehr Ambition in der Familienpolitik“, so Großhaus.
Mehr Teilhabe und Kinderkarte
Im Koalitionsvertrag schreiben Schwarz-Rot: „Wir wollen Kinderarmut wirksam bekämpfen und Alleinerziehende entlasten. Leistungen sollen dort ankommen, wo sie gebraucht werden.“ Konkret wird eine Erhöhung des Teilhabebetrags des Bildungs- und Teilhabepakets von 15 auf 20 Euro genannt – mit der Pauschale können Kinder und Jugendliche aus einkommensschwachen Familien kostenpflichtige Freizeit- und Bildungsangebote nutzen. Außerdem kündigt die Bundesregierung eine Machbarkeitsstudie für eine Kinderkarte an. Dabei handelt es sich um ein Herzensprojekt der SPD. Mit der Kinderkarte sollen kindergeldberechtige Kinder kostenlosen Zugang zum öffentlichen Nahverkehr erhalten sowie zu Einrichtungen von Bildung, Kultur, Sport und Freizeit. Länder und Kommunen sollen dort ihre Angebote abbilden können.
In der Umfrage äußerten die allermeisten Eltern den Wunsch nach mehr Investitionen in die Bildung. 90 Prozent sprachen sich für den Ausbau der Kinderbetreuung aus, fast genauso viele für eine bessere finanzielle Unterstützung der Familien. Rund 60 Prozent wünschten sich einen Bürokratieabbau bei Familienleistungen.
Kindergrundsicherung gescheitert
Den sollte eigentlich die Kindergrundsicherung leisten. Verschiedene Leistungen müssen in Deutschland bei verschiedenen Ämtern beantragt werden: Kindergeld und Kinderzuschlag bei der Familienkasse, Bürgergeld beim Jobcenter und Sozialhilfe beim Sozialamt. Die Kindergrundsicherung, ein Sozialprojekt der Ampel-Koalition, sollte die Zuständigkeiten bündeln, um Familien einfacher, einheitlicher und gezielter zu unterstützen. Doch das Projekt scheiterte am Widerstand der FDP, spätestens seit dem Ampel-Aus ist es Geschichte.
In Deutschland haben alle Familien Anspruch auf Kindergeld für Kinder bis mindestens 18 Jahre und maximal 25 Jahre. Der Beitrag ist vom Einkommen unabhängig und beträgt zur Zeit 255 Euro. Von Armut betroffene Familien können außerdem einen Kinderzuschlag beantragen, der maximal 297 Euro im Monat beträgt und vom Einkommen abhängig ist.