Warum die Kindergrundsicherung ein Neustart der Familienförderung ist
IMAGO/Michael Gstettenbauer
Am Donnerstag wurde die Kindergrundsicherung endlich in erster Lesung im Bundestag behandelt. Wie erleichtert sind Sie?
Ich bin sehr froh, dass wir die Kindergrundsicherung nun endlich im Bundestag beraten und ich bin auch zuversichtlich, dass wir die Kindergrundsicherung am Ende einführen werden. Bedauerlich ist, dass es so lange gedauert hat, bis die Bundesregierung uns einen Gesetzentwurf für die Kindergrundsicherung präsentiert hat. Als Parlament setzt uns das jetzt unter Zugzwang, schnell zu einem Beschluss zu kommen. Aber es handelt sich hier um eine der größten Sozialreformen der letzten Jahre, um einen Neustart der Familienförderungen. Deshalb ist allen Verhandelnden klar: Wir machen keine Schnellschüsse, dafür ist das Projekt Kindergrundsicherung zu komplex und wichtig.
Warum ist das so komplex?
Es gibt bei der Kindergrundsicherung eine Vielzahl an Schnittstellen zwischen unterschiedlichen Bereichen der Sozialgesetzgebung. Hinzu kommen große und tiefgreifende administrative Änderungen, die verbunden sind mit einer kompletten Systemumstellung, auch digital. Die Herausforderungen sind deshalb groß.
Das erklärte Ziel der Bundesregierung ist, mit der Kindergrundsicherung Kinderarmut in Deutschland grundlegend zu bekämpfen. Wird der vorliegende Gesetzentwurf diesem Anspruch gerecht?
Ich zweifle nicht daran, dass die Bundesregierung mit dem Gesetzentwurf dieses Ziel verfolgt. Ich habe aber meine Zweifel, dass die strukturellen Reformen und Zusammenlegungen von Familienleistungen so schnell und so unkompliziert vonstatten gehen werden wie geplant. Das parlamentarische Verfahren ist deshalb umso wichtiger. Hier müssen wir uns jedes Detail genau ansehen: Wie wirkt sich das auf die Kinder aus? Bereinigen wir die Schnittstellenprobleme? Bauen wir bürokratische Hürden ab? Aber auch: Kann die Verwaltung das reibunslos umsetzen? Als Abgeordnete sind wird dazu stark im Gespräch mit denjenigen, die die Kindergrundsicherung später werden umsetzen müssen: die Kommunen, die Jobcenter und die Agentur für Arbeit zum Beispiel. Es geht ja nicht nur darum, dass mehr Geld ins System kommt, sondern vor allem darum, dass das Geld auch wirklich bei den Familien ankommt.
Das Geld ist der Hauptkritikpunkt an der Kindergrundsicherung. Sozialverbände kritisieren, dass die vorgesehen 2,4 Milliarden Euro nicht ausreichen. Wie sehen Sie das?
Wir dürfen nicht vergessen, dass es den ersten Schritt hin zur Kindergrundsicherung bereits gegeben hat: mit der Erhöhung des Kindergelds und mit der Einführung des Kinderzuschlags zu Beginn dieses Jahres. Die Kindergrundsicherung wird also eine deutlich höhere Summe umfassen als nur 2,4 Milliarden Euro. Leider ist das in der öffentlichen Debatte häufig nur sehr schwer zu vermitteln. Entscheidend wird sein, dass das Geld, das im System ist, bei denen landet, die es brauchen. Zentral ist deshalb der gesetzliche Anspruch, den Kinder und Familien künftig haben werden. Hier schafft die Kindergrundsicherung einen Paradigmenwechsel. Das Kindergeld und alle anderen Leistungen der künftigen Kindergrundsicherung werden an alle Berechtigten ausgezahlt, egal, wieviel Geld dafür in den Haushalt eingestellt wurde.
Was wird also die zentrale Errungenschaft der Kindergrundsicherung sein, wenn sie eingeführt ist?
Familien werden unkompliziert und im besten Fall automatisch an die Leistungen kommen, die ihnen zustehen. Das ist das zentrale Versprechen der Kindergrundsicherung. Es nutzt nichts, wenn wir abstrakt festlegen, welche Familienkonstellationen welchen Anspruch auf eine Unterstützung haben, wenn sie diesen nicht in Anspruch nehmen. Den bereits bestehenden Kinderzuschlag etwa nimmt nur ein Bruchteil der Familien in Anspruch, die ein Anrecht auf ihn hätten.
Wie könnte sich das ändern?
Indem es eine automatische Auszahlung der Kindergrundsicherung gibt. Im Gesetzentwurf ist deshalb auch ein Kindergrundsicherungscheck vorgesehen. Danach müssen nicht die Familien recherchieren und rechnen, ob ihnen Leistungen zustehen, sondern der Staat ermittelt automatisch aus den ihm zur Verfügung stehenden Daten, wem welche Leistungen zustehen und zahlt diese automatisch aus.
Nach dem Bundestag wird auch der Bundesrat dem Gesetz zur Kindergrundsicherung noch zustimmen müssen. Wie groß ist Ihre Sorge, dass es dort noch durch die CDU verwässert wird, ähnlich wie beim Bürgergeld?
Natürlich kann es sein, dass die CDU diese Möglichkeit nutzen wird, noch größere Änderungen anzubringen. Dabei muss der Union aber klar sein, dass sie das dann auf dem Rücken der Kinder austrägt. Eine Verzögerung durch den Bundesrat würde zudem wertvolle Zeit rauben, die wir für die Umsetzung der Kindergrundsicherung brauchen.
Ziel ist, dass die Kindergrundsicherung 2025 in Kraft tritt. Klappt das?
Die SPD-Fraktion will die Kindergrundsicherung in dieser Wahlperiode beschließen, mit allem, was dazugehört. Ob bereits alles Anfang 2025 in der Praxis umgesetzt werden kann, hängt auch von dem Tempo ab, mit dem wir den Gesetzentwurf nun im Bundestag beraten werden. Wenn es da mehr Beratungsbedarf geben sollte, sollten wir so ehrlich sein zu sagen, dass bestimmte Schritte erst etwas später in die Umsetzung kommen. Genauigkeit geht hier aus meiner Sicht vor Schnelligkeit. Es darf nicht passieren, dass wir eine Kindergrundsicherung einführen, die ab ihrem Start nicht richtig funktioniert.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.