Inland

Gegen Kinderarmut: Bündnis fordert Kindergrundsicherung jetzt!

Ein breites gesellschaftliches Bündnis fordert von der künftigen Bundesregierung die Einführung einer Kindergrundsicherung. Laut Umfrage sind 94 Prozent der Befragten dafür. Auch die SPD will mit einer Grundsicherung gegen Kinderarmut vorgehen.
von Vera Rosigkeit · 23. August 2021
300 Euro pro Kind: Der Corona-Kinderbonus hat das Armutsrisiko in Deutschland gesenkt.
300 Euro pro Kind: Der Corona-Kinderbonus hat das Armutsrisiko in Deutschland gesenkt.

Es ist ein breites Bündnis aus 22 zivilgesellschaftlichen Organisationen, Verbänden und Gewerkschaften, das in einer gemeinsamen Erklärung die künftige Bundesregierung auffordert, der Bekämpfung von Kinderarmut höchste Priorität einzuräumen und eine Kindergrundsicherung einzuführen. „Die Kindergrundsicherung gehört in den nächsten Koalitionsvertrag und muss als prioritäres Vorhaben in der kommenden Legislaturperiode umgesetzt werden“, heißt es in der Erklärung „EINE FÜR ALLE – Kindergrundsicherung jetzt!“

Mehrheit für Kindergrundsicherung

2,8 Millionen Kinder und Jugendliche leben aktuell in Deutschland von staatlichen Leistungen zur Existenzsicherung. 1,6 Millionen davon, obwohl ihre Eltern erwerbstätig sind. Kinderarmut sei besonders besorgniserregend, da sie nicht nur Mangel und Ausgrenzung im Hier und Jetzt bedeute, sondern sich negativ in die Zukunft auswirke und Kindern Zukunftschancen nehme, heißt es weiter in der Erklärung.

Die Unterzeichner*innen stützen sich in ihrer Forderung auf eine bei FORSA in Auftrag gegebene repräsentative Befragung, wonach nahezu alle Befragten (94 Prozent) die Bekämpfung von Kinderarbeit für wichtig halten. Drei Viertel der Befragten (76 Prozent) plädieren dabei für eine Kindergrundsicherung, nur 17 Prozent sind dagegen. Und selbst unter den Anhänger*innen von CDU/CSU und FDP, die keine Kindergrundsicherung in ihrem Wahlprogramm haben, spricht sich eine deutliche Mehrheit für eine Kindergrundsicherung aus.

Bündelung bestehender Leistungen

Jens Schubert, der Vorsitzende der Arbeiterwohlfahrt (AWO), kritisiert das bestehende Leistungssystem als unübersichtlich, unzureichend und ungerecht. „Wir fordern daher eine Bündelung bestehender Leistungen zu einer einkommensabhängigen Kindergrundsicherung, die jedes Kind unbürokratisch erreicht. Wenn wir es jetzt in Corona-Zeiten nicht schaffen, endlich gegen Kinderarmut aktiv zu werden, wann dann?“, so Schubert.

Dass Familien mit einer Kindergrundsicherung viel besser durch die Corona-Krise gekommen wären, davon ist auch Heinz Hilgers, Präsident des Kinderschutzbundes, überzeugt. „Die schnellere Beantragung von Sozialgeld, Notfall-Kinderzuschlag oder aktuell der Kinderfreibetrag seien zwar hilfreich gewesen. Doch sie kamen verspätet und mussten extra beantragt werden.“ Daniela Jaspers, Vorsitzende des Verbandes alleinerziehender Mütter und Väter, betont, dass fast die Hälfte der Kinder in Armut bei Alleinerziehenden aufwachse. „Sie brauchen dringend Unterstützung“, fordert sie. Kinderarmut dürfe keine Frage der Familienform sein.

Eigenständige Leistung für jedes Kind

„Die vielen familienbezogenen Leistungen erreichen ihr Ziel, Armut von Kindern zu vermeiden, nicht“, so lautet die Kritik der Unterzeichner*innen. Sie wollen eine Kindergrundsicherung als eine eigenständige Leistung für jedes Kind. „Sie soll einfach, unbürokratisch und sozial gerecht sein: Daher bündelt sie die vielen, unterschiedlichen Leistungen für Kinder in einer einzigen Leistung und zahlt sie direkt und automatisch aus, damit sie auch wirklich bei allen Kindern ankommt.“ Zudem fordern die Organisationen in ihrer Erklärung, das Existenzminimum für Kinder und Jugendliche „neu und realistisch“ zu berechnen.

Geht es nach dem Willen der SPD, soll es künftig für alle 17,8 Millionen kindergeldberechtigten Kinder und Jugendlichen in Deutschland (2019) eine einfach zugängliche und verlässliche staatliche Leistung geben. „Die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft hängt davon ab, dass sich Menschen für Kinder entscheiden und sie auf ihrem Weg in ein selbständiges Leben bestmöglich begleiten“, schreibt die SPD in ihrem Programm für die Bundestagswahl.

SPD: 250 Euro plus gebührenfreie Bildung und Mobilität

Im Mittelpunkt der sozialdemokratische Kindergrundsicherung stehen zwei Säulen: Die eine besteht aus einer existenzsichernden Geldleistung, die andere beruht auf Investitionen in gute und gebührenfreie Bildung und Mobilität. Zunächst zur Geldleistung: Die soll künftig aus einem Basisbetrag von 250 Euro für alle bestehen. Dafür wird der Steuerfreibetrag für Besserverdienende, die bisher ihren Kindergeldbetrag als Steuerfreibetrag bis zu 300 Euro geltend machen können, auf 250 Euro pro Kind und Monat reduziert.

Darüber hinaus wird es für finanzschwache Familien zusätzlich einen durchschnittlichen Wohnkostenzuschuss geben plus einen zusätzlichen Betrag für mehr soziale Teilhabe (46 Euro pro Kind). Das ergibt einen Höchstbetrag von 400 Euro für Kinder bis sechs Jahre, 458 Euro für Kinder zwischen sechs und 13 Jahre und 478 Euro für Jugendliche ab 14 Jahre.

Von den 250 Euro Basisbetrag sollen künftig automatisch 30 Euro auf eine Kinderkarte gezahlt werden, die jedes Kind erhält. Dieser Betrag kann für das öffentliche Schwimmbad, das Museum oder die Mitgliedschaft im Sportverein genutzt werden. Gleichzeitig sollen Kinder und Jugendliche mit dieser Karte den ÖPNV kostenfrei nutzen können.

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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