Inland

Hunderttausende demonstrieren in München: „Damit hätte ich nicht gerechnet”

Mehr als eine Viertelmillion Menschen sind am Wochenende in München für Demokratie und gegen Rechtsextremismus auf die Straße gegangen. Micky Wenngatz vom Verein „München ist bunt!” berichtet im Interview, wie sie die Proteste erlebt hat und wie sie mit Anfeindungen umgeht.

von Carl-Friedrich Höck · 11. Februar 2025
Micky Wenngatz spricht am 8. Februar 2025 in München zu den Demonstrierenden: Eine Viertelmillion Menschen sind für die Demokratie und gegen Rechtsextremismus auf die Straße gegangen.

Micky Wenngatz spricht am 8. Februar 2025 in München zu den Demonstrierenden: Eine Viertelmillion Menschen sind für die Demokratie und gegen Rechtsextremismus auf die Straße gegangen.

Micky Wenngatz ist Vorsitzende des Vereins „München ist bunt!“. Dieser hat die Demonstration „Demokratie braucht dich!“ am 8. Februar 2025 in München angemeldet. Die Polizei zählte 250.000 Teilnehmende, die Veranstalter 320.000.

DEMO: In München haben am Wochenende hunderttausende Menschen gegen Rechtsextremismus und für Vielfalt demonstriert. Sie haben die Veranstaltung mitorganisiert. Hätten Sie mit so vielen Teilnehmenden gerechnet?

Micky Wenngatz: Nein! Wir haben schon Ende Dezember mit den Planungen angefangen und dachten, wir demonstrieren mit 5.000 Leuten am Geschwister-Scholl-Platz. Nach den Geschehnissen der vergangenen Wochen und dem Sündenfall von Friedrich Merz haben wir schon gemerkt, dass wir uns einen größeren Platz suchen müssen. Zuletzt waren wir von 70.000 bis 100.000 Leuten ausgegangen. Dass nun 320.000 Menschen zur Theresienwiese gekommen sind, damit hätte ich in meinen kühnsten Träumen nicht gerechnet.

Welche Botschaft wollten Sie mit der Veranstaltung senden?

Die Demonstration wurde nicht nur vom Verein „München ist bunt!“ organisiert, sondern von einem breiten zivilgesellschaftlichen Bündnis. Wir wollten die Botschaft senden: Steht auf für unsere Demokratie, steht zusammen und haltet die Brandmauer gegen Rechtsextremismus! Das Motto lautete: „Demokratie braucht dich!“, denn es kommt auf jeden Einzelnen an. Aus bestimmten Kreisen kam die Kritik, dies sei eine Wahlkampfveranstaltung gewesen. Im parteipolitischen Sinn war es das nicht. Aber wir wollten die Menschen motivieren, ihr Wahlrecht zu nutzen und demokratische Parteien zu wählen.

Sie sind Vorsitzende des Vereins „München ist bunt!“. Auf dessen Internetseite wird im Impressum der Verein „Before e. V.“ genannt. Wie gehören die beiden zusammen?

Ich vermute, Ihre Frage bezieht sich auf die merkwürdige Berichterstattung der BILD, die weite Teile der Zivilgesellschaft diskreditiert und sich auf das Onlinemedium Nius als Quelle bezieht. „München ist bunt!“ ist ein kleiner Verein. Wir machen alles ehrenamtlich und haben keine Geschäftsstelle. Seit vielen Jahren werden wir angegriffen von rechtsextremen Leuten. Auch ich persönlich. Was wir schon alles im Briefkasten hatten! Um unsere Mitglieder zu schützen, haben wir beschlossen, keine Privatadressen mehr zu verwenden. Wir brauchten aber eine ladungsfähige Adresse, wie es im Juristendeutsch heißt. Der Verein Before hat uns dann ermöglicht, dass wir deren Adresse „c/o“ mitbenutzen können. Der Verein berät und unterstützt Menschen, die Erfahrungen mit Rassismus gemacht haben.

Die Behauptung der BILD, Sie seien die Vorsitzende von Before e.V., stimmt also nicht?

Nein.

Wie ist der Verein „München ist bunt!“ entstanden?

Ich bin Gründungsmitglied des Vereins. Am 8. Mai 2010 wollten Nazis durch das Stadtviertel ziehen, in dem ich damals Kommunalpolitikerin war – mit Sturmhelmen, Stiefeln und Fackeln. So hatten sie es jedenfalls angekündigt. Das hat bei uns zu Empörung geführt. Deshalb haben wir innerhalb einer Woche ein Kulturfest entlang der geplanten Aufmarschroute organisiert. Unser Aufruf wurde damals von breiten Teilen der Politik und Gesellschaft unterstützt. Das reichte von der CSU über FDP und SPD bis zur Linken. Auch die Wirtschaft hat mit zu der Veranstaltung aufgerufen. So etwas hatte es bis dahin in München nicht gegeben. Auf diesem „Gründungsmythos“ haben sich die Aktivitäten unseres Vereins aufgebaut.

Micky Wenngatz 

ist Vorsitzende des Vereins „München ist bunt!”. Neben ihrem zivilgesellschaftlichen Engagement für Toleranz und gegen Rassismus ist Wenngatz auch in der Kommunalpolitik aktiv. Sie gehört der SPD/Volt-Stadtratsfraktion an.

Micky Wenngatz ist Vorsitzende des Vereins „München ist bunt!”.

Sie sind für SPD-Stadträtin in München. Prägt das Engagement gegen rechts und für Vielfalt auch Ihre Ratsarbeit?

Ja. Ich bin, gemeinsam mit einem Kollegen, Fraktionssprecherin für Migration und Integration. Rechtsextremismus und rechte Hetze haben auch in unserer Stadt Auswirkungen. Darauf haben wir mit dem einen oder anderen Antrag reagiert, an dem ich beteiligt war.

Sie haben den BILD-Artikel mit der Überschrift „Wer steckt hinter den Massen-Demos in Deutschland?“ erwähnt. Er suggeriert, die Proteste seien mit Steuergeldern bezahlt worden. Auch Ihre SPD-Mitgliedschaft wird skandalisiert. Welche Reaktionen hat dieser Bericht bei Ihnen und Ihren Mitstreiterinnen und Mitstreitern ausgelöst?

Hier wird auf fadenscheinige Art und Weise das zivilgesellschaftliche Engagement von Millionen Menschen diskreditiert, die in den vergangenen Wochen auf die Straße gegangen sind. Der Artikel ist wirklich mies und schlecht recherchiert. Und es empört mich, dass Politiker von CDU und CSU so etwas dann auch noch weiterverbreiten, um die Demonstrationen in Misskredit zu bringen und vom eigenen Sündenfall abzulenken.

Sie berichten, dass Sie für Ihre Arbeit gegen Rechtsextremismus angegriffen werden. Sorgen Sie sich, dass diese Anfeindungen jetzt weiter zunehmen? Und wenn ja, wie gehen Sie damit um?

Ich sage mir: Solange ich von Rechtsextremisten so angegangen und angefeindet werde, mache ich irgendetwas richtig. Und ich gehöre zu den glücklichen Menschen, die Kraft aus der Wirkung unserer Aktivitäten und aus dem vielen positiven Feedback ziehen können. Ich kriege ja nicht nur Hassmails, sondern auch viel freundlich gesinnte und wertschätzende E-Mails. Drittens schöpfe ich Kraft aus der Befürchtung heraus, dass unsere Demokratie Schaden erleidet und unsere offene und freie Gesellschaft in Gefahr gerät. Das motiviert mich, weiterzumachen und über die Anfeindungen hinwegzugehen. Aber natürlich fasst einen das auch an.

Sie haben erwähnt, dass die Aktivitäten von „München ist bunt!“ in der Vergangenheit von einem breiten politischen Spektrum mitgetragen wurden, bis weit ins konservative Lager hinein. War das auch jetzt am Wochenende noch so, trotz des Wahlkampfes und der Aufregung um Friedrich Merz?

Es waren mehr als 300.000 Menschen da. Unser Aufruf hatte mehr als 200 Erstunterzeichnerinnen. Da waren die evangelische und katholische Kirche und andere Religionsgemeinschaften dabei, das Filmfest München, die Gewerkschaften, das NS-Dokuzentrum. Die „Omas gegen rechts“ waren beteiligt. Und ich persönlich habe auf der Demo auch ein paar Leute gesehen, von denen ich weiß, dass es CSUler sind. Jenseits dessen, was Friedrich Merz vorletzte Woche getan hat, haben doch auch konservative Wählerinnen und Wähler ein Gespür für den Artikel 1 unseres Grundgesetzes: Die Würde des Menschen ist unantastbar!

Aktuelle Entwicklungen zur Bundestagswahl 2025 gibt es zum Nachlesen in unserem Newsticker.

Autor*in
Avatar
Carl-Friedrich Höck

arbeitet als Redakteur für die DEMO – die sozialdemokratische Fachzeitschrift für Kommunalpolitik.

Weitere interessante Rubriken entdecken

Noch keine Kommentare
Schreibe einen Kommentar

Klartext

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
  • Website- und E-Mail-Adressen werden automatisch in Links umgewandelt.