Inland

Was kommt nach den Demos gegen rechts? „Es braucht einen langen Atem.“

Seit drei Wochen wird überall im Land gegen Rechtsextremismus und die AfD demonstriert. „Ich hoffe sehr, dass die Menschen nicht nur aufstehen, sondern auch stehenbleiben“, sagt Baden-Württembergs SPD-Chef Andrea Stoch – und hat ein Bündnis für die Demokratie gestartet.

von Kai Doering · 2. Februar 2024
Demokratie gegen rechts in Rottenburg: „Wir sollten breite Bündnisse schmieden, in denen wir darüber nachdenken, wie wir die Menschen wieder von der Demokratie überzeugen und begeistern können.“

Demokratie gegen rechts in Rottenburg: „Wir sollten breite Bündnisse schmieden, in denen wir darüber nachdenken, wie wir die Menschen wieder von der Demokratie überzeugen und begeistern können.“

Überall im Land demonstrieren Hunderttausende gegen Rechtsextremismus und für die Demokratie. Hätten Sie sich das zu Beginn des Jahres vorstellen können?

Dass gerade hunderttausende Menschen auf die Straße gehen, hat mich schon überrascht. Einiges von dem, was durch die Recherchen von „Correctiv“ bekannt geworden ist, war ja durchaus schon vorher von der AfD zu hören. Sie ist ja wahrlich kein neues Phänomen und macht schon seit Jahren innerhalb und außerhalb der Parlamente deutlich, welchen Staat und welches Land sie sich vorstellt. Größer als die Überraschung ist deshalb meine Freude, dass so viele Menschen sagen: Hier ist eine Grenze überschritten worden und für unser Land und unsere Demokratie auf die Straße gehen. Das ist ein sehr starkes Zeichen, das mich zuversichtlich macht, dass wir auch in politisch schwierigen Zeiten einen klaren Konsens aller Demokratinnen und Demokraten haben.

Sie waren selbst bereits bei einigen Demonstrationen in Baden-Württemberg dabei. Was treibt die Menschen an, auf die Straße zu gehen?

Beeindruckend finde ich, dass man auf diesen Demonstrationen viele Menschen trifft, die das erste Mal auf die Straße gehen. Sie merken, dass etwas in Rutschen geraten ist, und wollen etwas dagegen tun. Sie merken, dass es Menschen in ihrem engsten Umfeld betreffen würde, wenn sich die AfD mit ihren Plänen durchsetzt: Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen mit einer Behinderung oder einfach Menschen, die politisch nicht ins Konzept passen. Immer mehr Menschen wird klar, dass die AfD keine Protestbewegung gegen das Establishment ist, sondern eine Partei, die die Demokratie zersetzen will. Das Bekanntwerden des Treffens in Potsdam war da für viele ein Aufwach-Moment. Ich hoffe sehr, dass die Menschen nicht nur aufstehen, sondern auch stehenbleiben. Denn für den Kampf für die Demokratie brauchen wir einen langen Atem.

Welche Voraussetzungen braucht es, damit das Stehenbleiben gelingt und die Kraft der Demonstrationen nicht verpufft?

Wichtig ist natürlich, dass sich diejenigen, die die politischen Entscheidungen treffen, fragen, warum die AfD einen so großen Zulauf hat. Die Menschen müssen wieder mehr Vertrauen entwickeln in den Staat und die politischen Entscheidungsträger. Dann haben es Populisten deutlich schwieriger, sie zu erreichen. Das ist übrigens gerade für uns Sozialdemokraten ein ganz wichtiger Punkt. Aber auch die Zivilgesellschaft selbst trägt eine Verantwortung. Viele wollen etwas tun und müssen nur angesprochen werden. Über die spontanen Demonstrationen hinaus sollten wir deshalb etwas Nachhaltiges schaffen.

Woran denken Sie dabei?

Wir sollten breite Bündnisse schmieden, in denen wir darüber nachdenken, wie wir die Menschen wieder von der Demokratie überzeugen und begeistern können. Dafür braucht es, wie gesagt, einen langen Atem.

In Baden-Württemberg haben Sie gerade solch ein Bündnis „für Demokratie und Menschenwürde“ angestoßen. Wie kam es dazu?

Die vergangenen Tage und Wochen haben gezeigt, dass die sogenannte schweigende Mehrheit nicht mehr schweigen will, sondern laut wird. Nach den Correctiv-Recherchen und den ersten Demonstrationen habe ich verschiedene zivilgesellschaftliche Akteure, die Parteien, die Gewerkschaften, Wirtschaftsverbände und die Kirchen angesprochen, ob wir nicht gemeinsam ein Bündnis für etwas – nämlich für Demokratie und Menschenrechte – ins Leben rufen wollen. Auch Unternehmensverbände sind dabei, genauso die Sozialverbände, alle drei kommunalen Spitzenverbände, Organisationen der Zivilgesellschaft, wie der Landessportverband und viele andere. Mir ist es wichtig, nicht nur gegen etwas zu sein, sondern auch eine positive Botschaft auszusenden und für etwas einzustehen. Wir brauchen jetzt den gemeinsamen Einsatz für unsere Verfassung und die Demokratie.

Wie haben die Organisationen reagiert, als Sie sie angesprochen haben?

Als Landesvorsitzender der SPD habe ich den Stein ins Wasser geworfen, aber es muss ein überparteiliches und breites zivilgesellschaftliches Bündnis sein. Deshalb habe ich zuerst die demokratischen Parteien angesprochen und bin bei allen auf offene Türen gestoßen. Alle haben sofort ihre Mitarbeit in diesem Bündnis zugesagt. Gleiches gilt für die Kirchen. Alle sehen, dass das gerade etwas passiert, das unser Land von innen heraus bedroht. Der evangelische Landesbischof hat sich auch gleich positioniert und klar gesagt: Christinnen und Christen können die AfD nicht wählen, weil sie ein derart verachtendes Menschenbild vertritt.

Was ist das Ziel des Bündnisses?

Mir ist es wichtig, Kräfte zu bündeln und so eine besondere Schlagkraft zu entwickeln. Jede Organisation für sich ist schon groß, aber gemeinsam sind wir noch viel stärker. Deshalb bin ich sehr froh, dass wir in nicht einmal einer Woche mehr als 80 Organisationen gemeinsam ins Boot holen konnten. Miteinander Ideen und Aktionsformen zu entwickeln, ist jetzt das Entscheidende. Das kann von einem gemeinsamem Internetauftritt über eine Aktion in den sozialen Medien bis hin zu einer Menschenkette reichen. Nicht zuletzt muss Bildung eine zentrale Rolle spielen. Wir haben ja auch den Volkshochschulverband und die Bildungswerke der Kirchen mit dabei. Gemeinsam wird all das besser funktionieren, als wenn sich jeder allein auf den Weg macht.

Welche Schritte plant das Bündnis als nächstes?

Die ersten Punkte haben wir bei unserem ersten Treffen in der vergangenen Woche diskutiert. Wir wollen eine große Veranstaltung machen, zu der wir auch Menschen aus der Kunst, der Kultur und dem Sportbereich einladen wollen. Christian Streich, der Trainer des SC Freiburg, hat sich vor einigen Tagen ja sehr dezidiert zur AfD und zum Kampf für die Demokratie geäußert. Menschen wie er genießen eine besonders große Glaubwürdigkeit. Darüber hinaus wollen wir schauen, wo wir mit Bildungsangeboten für Aufklärung über die Absichten der AfD sorgen können. Das Ziel aller Maßnahmen muss sein, dass das Ganze nicht irgendwann wieder in sich zusammenfällt. Die beeindruckenden Demonstrationen, die gerade stattfinden, werden irgendwann an Kraft verlieren. Das liegt in der Natur der Sache. In dem Moment müssen dann Bündnisse wie unseres bereitstehen, die die Energie in andere Bahnen lenken und den Kampf gegen die Feinde unserer Demokratie aufrechterhalten. Darin sehen wir unsere Aufgabe.

Weitere interessante Rubriken entdecken

4 Kommentare

Gespeichert von Peter Boettel (nicht überprüft) am Sa., 03.02.2024 - 13:27

Permalink

"Wichtig ist natürlich, dass sich diejenigen, die die politischen Entscheidungen treffen, fragen, warum die AfD einen so großen Zulauf hat." sagte Andreas Stoch zu Recht. Damit die Menschen, die demonstriert haben und weiter demonstrieren, merken, dass ihr Aufstehen und Mut nicht umsonst war, sollten deshalb die politisch Verantwortlichen endlich merken, dass sie Entscheidungen im Sinne ihres Amtseids für die Bevölkerung und nicht allein für die Reichen treffen müssen.
Allerdings muss ich weiterhin daran zweifeln, dass "Blockademinister" Lindner endlich die Gründe erkennt, die den Rechten diesen Zulauf gewähren und - ich kann es nicht oft genug wiederholen - werde leider immer wieder an das Verhalten der Vorläuferpartei der FDP in der Weimarer Zeit erinnert.

Gespeichert von max freitag (nicht überprüft) am Mo., 05.02.2024 - 10:23

Permalink

des Geschehens. Es ist ja nun leider so, dass nicht jeder so kann, wie er gerne möchte. Daher sollte geprüft werden, ob nicht eine finanzielle Förderung möglich wäre für solche Demonstrationsteilnehmer, die an solchen Demonstrationen für mehr Gerechtigkeit, Demokratie und Weltoffenheit teilnehmen möchten, sich dies aber finanziell nicht leisten können (Anreise, Übernachtung am Demonstrationsort o.ä) . Schon ein Kostenzuschuss wäre sicher gut geeignet, auch diesen Personen die Teilnahme zu ermöglichen bzw die Teilnahmebereitschaft aufrecht zu erhalten bei all denen, die sich die Teilnahme bisldato "vom Munde absparen" mussten. Es sind ja Mittel in den Bundeshaushaushalt eingestellt, für die Demokratieförderung- die könnten hier doch zweckentsprechend eingesetzt werden. In Betracht käme auch die Organisation von Mitfahrgelegenheiten. Da könnte sich die Partei engagieren, aber auch die Nichtregierungsorganisationen, denen ja auch Mittel des Bundes zum Zwecke der Demokratieförderung bereitgestellt werden. Ich bin sicher, mit solchen Maßnahmen gelingt, was unbedingt gelingen muss- jedenfalls bis zu den diesjährigen Wahlen, nämlich die Verstetigung des Demonstrationsgeschehens.