Inland

Demos gegen Rechtsextremismus: Was die Menschen auf die Straße treibt

Die jüngsten Demonstrationen gegen Rechtsextremismus mit mehr als zwei Millionen Teilnehmer*innen waren ein Weckruf für die Zivilgesellschaft in Deutschland. Was die Demonstrierenden antreibt und was sie sich wünschen, hat jetzt das Rheingold-Institut untersucht.

von Jonas Jordan · 31. Januar 2024
Rund 100.000 Menschen sind am Wochenende in Düsseldorf gegen Rechtsextremismus auf die Straße gegangen.

Rund 100.000 Menschen sind am Wochenende in Düsseldorf gegen Rechtsextremismus auf die Straße gegangen.

Einmal im Jahr veröffentlicht das Rheingold-Institut eine Studie, die sich mit der gesellschaftlichen Situation in Deutschland beschäftigt. In diesem Jahr gaben die in Köln ansässigen Forscher*innen zusätzlich eine sogenannte Blitzstudie heraus, die die jüngsten Proteste gegen Rechtsextremismus hierzulande thematisiert. Diese kommt zu interessanten Ergebnissen. 

Demnach stimmen 61 Prozent der repräsentativ befragten Personen der Aussage zu, dass die Demonstrationen ihnen das Gefühl geben, dass sich in Deutschland etwas bewegt. 29 Prozent geben an, an künftigen Demonstrationen gegen Rechtsextremismus und für die Demokratie teilnehmen zu wollen. Für viele seien diese zuletzt wie eine Art Weckruf gewesen, sagt Stephan Grünewald, Psychologe und Gründer des Rheingold-Instituts, während eines Pressegesprächs am Mittwochvormittag. Neben einer Online-Befragung haben seine Mitarbeiter*innen Ende Januar auch 26 Proband*innen qualitativ interviewt.

„Viele haben uns erzählt, sie hätten eine politische Heimat gefunden.“

Viele von ihnen gaben an, geradezu Erleichterung verspürt zu haben, aus einem Gefühl der Erstarrung herauszukommen, berichtet Grünewald. „Sie haben es als befreiend erlebt, dass man handlungsfähig war und etwas tun konnte.“ Viele Menschen freuten sich, Teil dieser kraftvollen Bewegung zu sein. Er fügt an: „Viele haben uns erzählt, sie hätten eine politische Heimat gefunden.“ 

Zugleich mahnt der Forscher. Zum einen gebe es eine große Gefahr, dass die Demos durch extreme Gruppierungen gekapert werden könnten, wodurch dieses besondere Gemeinschaftsgefühl verloren ginge. Zugleich „gibt eine große Sehnsucht, dass das jetzt weitergeht, nicht verpufft, sondern zu einer breiten Welle wird“, sagt Grünewald. Wenn dies erlahme und die Erwartungen enttäuscht würden, könne die dann entstehende Stimmung zum Bumerang für die Regierung werden. 

Ein neues Wir-Gefühl

Grünewalds Kollegin Birgit Langebartels ergänzt: Es werde eine sehr deutliche Erwartungshaltung an die Ampel-Regierung formuliert, ebenso gemeinschaftlich an einem Ziel zu arbeiten, wie es die Demos gezeigt hätten. Denn ähnlich wie in der Energiekrise 2022 sähen viele jetzt die konkrete Chance gemeinsam mit anderen etwas zur Krisenbewältigung beitragen zu können. Voller Stolz blickten viele Teilnehmer*innen der Studie auf das Erreichte, wenn sie abends in den Nachrichten die Bilder von der Massenbewegung sehen, die sie mitgetragen haben.

Das gemeinsame Aufstehen gegen Rechtsextremismus und für die Demokratie schaffe Gefühle der Einheit im ‚Dagegen‘, die mit einem lange vermissten, gesellschaftlichen Wir-Gefühl verbunden sind. Dieses Wir-Gefühl bestärke vor allem die Menschen, die sich im Vorfeld der Demonstrationen politisch heimatlos gefühlt haben. Bei den Demonstrationen fänden sie jetzt eine temporäre politische Heimat. Hier erlebten sie, dass es doch eine große außerparlamentarische Mitte „dazwischen“ gebe, zu der man sich zugehörig fühlen könne. Dieses Zugehörigkeitsgefühl verstärke sich vor allem im Gespräch mit unbekannten Gleichgesinnten während der Demos. Auch die Gruppendiskussionen anlässlich der Studie wurden laut den Forscher*innen positionsübergreifend nach anfänglich heftigen Auseinandersetzungen als wertvoll und wohltuend erlebt.

Klare Erwartung an die Politik

Von der Politik werde nun erwartet, dass diese Bewegungsmotive aufgegriffen und unterstützt würden. Die existierenden Probleme und das damit verbundene Gefühl der alltäglichen Ohnmacht sollten aktiv benannt werden. Krisen sollten nicht beschwichtigend klein geredet, sondern der verspürte Ernst der Lage solle – ähnlich wie bei der Energie-Krise – klar benannt und mit konkreten Herausforderungen beziehungsweise Handlungsaufforderungen für alle verbunden werden. Es werde außerdem erwartet, dass die Ampel Einigkeit und eine produktive Problemlösungshaltung vorlebe. Sie solle aber auch Begegnungsräume eröffnen, die den Austausch und das Gespräch zwischen Andersdenkenden eröffne und somit der wachsenden gesellschaftlichen Entzweiung entgegenwirke. „Wenn die Bewegung, die durch die Demonstrationen entstanden ist, nicht aufgegriffen wird, kann es sich auch gegen die Politik generell verkehren,” sagt die Studienleiterin Birgit Langebartels.

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

Weitere interessante Rubriken entdecken

0 Kommentare
Noch keine Kommentare