Brandmauer-Demo in Berlin: 160.000 gegen Friedrich Merz und die AfD
Bei einer der größten Demonstrationen der vergangenen Jahre sind am Sonntag in Berlin mehr als 160.000 Menschen auf die Straße gegangen. Sie protestierten gegen die Zusammenarbeit von CDU-Chef Friedrich Merz und der AfD. Zu den Rednern gehörte auch ein ehemaliges CDU-Mitglied.
picture alliance / epd-bild | Rolf Zöllner
Vom Reichstagsgebäude zur CDU-Parteizentrale: In Berlin demonstrierten rund 160.000 Menschen unter dem Motto „Wir sind die Brandmauer“
Schon die U-Bahn ist propevoll. Der Bahnhof „Bundestag“ wird gar nicht mehr angefahren. Zu voll, sagen die Berliner Verkehrsbetriebe. Also strömen die Menschen vom Hauptbahnhof oder vom Brandenburger Tor aus auf die Wiese vor dem Reichstagsgebäude. 160.000 werden es am Ende sein wie die Polizei später mitteilt. Die Veranstalter*innen sprechen sogar von 250.000 Teilnehmer*innen. Unter ihnen sind auch die SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Lars Klingbeil sowie Generalsekretär Matthias Miersch. Es ist eine der größten Demonstrationen, die die Hauptstadt in den vergangenen Jahren erlebt hat. „Aufstand der Anständigen – Demo für die Brandmauer“ lautet das Motto.
„Die Demokratie hat einen Merz-Infarkt“
Anlass ist das Vorgehen von CDU-Chef und -Kanzlerkandidat Friedrich Merz in der vergangenen Woche. Merz hatte am Mittwoch zwei Anträge und am Freitag einen Gesetzentwurf zur Abstimmung gestellt und dabei auf die Stimmen der AfD gesetzt. Nur bei einem Antrag ging die Rechnung auf. Die Demonstrierenden vor dem Reichstagsgebäude haben dazu eine klare Meinung und drücken sie auf zahlreichen Schildern aus, die sie in die Luft halten. „Die Demokratie hat einen Merz-Infarkt“, steht auf einem, „Kein Merz im Februar“ auf einem anderen.
„Man macht nicht gemeinsame Sache mit denen, die die Menschenwürde mit Füßen treten. Punkt!“, stellt gleich der erste Redner klar, der frühere Vorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm. In einer gemeinsamen Erklärung hatten die Kirchen bereits in der vergangenen Woche deutliche Kritik an Friedrich Merz geübt. Auf der Reichstagswiese legt Bedford-Strohm nach: „Eure Job-Description ist nicht, Ängste zu verstärken, sondern Lösungen zu finden“, sagt er in Richtung der Politik. „Wir werden dafür eintreten, dass dieses Land seine Seele nicht verliert“, verspricht Bedford-Strohm.
„Die Partei des Hasses ist das Grundproblem dieses Landes“
Vor der Bühne, die zwischen Reichstagsgebäude und Kanzleramt aufgebaut wurde, werden Europa- und Regebogenfahnen geschwenkt. Auf der Treppe des Reichstagsgebäudes ist der Schriftzug „#WeRemember“ zu erkennen. Stunden vor der gemeinsamen Abstimmung von CDU/CSU, FDP und AfD am Mittwoch hatte der Bundestag an die Opfer des Holocausts erinnert. „Wir haben uns das Versprechen gegeben, dass dieses Land darauf gebaut ist, dass die Würde des Menschen unantastbar ist“, sagt der zweite Redner, der Publizist Michel Friedmann.
Mehr als 40 Jahre war er Mitglied der CDU. Nach dem Tabubruch von Friedrich Merz ist er ausgetreten. „Die CDU ist eine demokratische Partei“, betont Friedmann dennoch in seiner Rede. Auch wenn Merz‘ Vorgehen ein Fehler sei, „der für mich unentschuldbar bleibt“, dürfe man die AfD nicht aus dem Blick verlieren. „Die Partei des Hasses ist das Grundproblem dieses Landes“, ruft Friedmann. Entscheidend sei deshalb, den demokratischen Parteien den Rücken zu stärken. „Es ist Zeit, dass wir nicht mehr reagieren, sondern agieren.“
Das wollen auch die Teilnehmer*innen der Demonstration. Auf Geheiß der Veranstalter*innen machen sich die ersten bereits auf den Weg durch den Tiergarten. Über den „großen Stern“ geht in Richtung Konrad-Adenauer-Haus, die CDU-Zentrale. Die meisten bleiben jedoch vor der Bühne stehen als Serpil Unvar sie betritt. Ihr Sohn Ferhat wurde am 19. Februar 2020 in Hanau neben acht weiteren Opfern von einem Rechtsextremisten erschossen.
„Antifaschismus ist kein linkes Projekt.“
„Diese Woche hat gezeigt, wie verbreitet Rassismus im Bundestag ist, nicht nur bei der AfD“, sagt Serpil Unvar. „Diese Woche hat aber auch gezeigt, wie viele damit nicht einverstanden sind.“ Außer in Berlin sind an diesem Wochenende in zahlreichen weiteren Städten bundesweit insgesamt mehrere Hunderttausend Menschen auf die Straße gegangen. „Solange die Zivilgesellschaft keinen Druck macht, passiert gar nichts“, sagt Unvar und: „Antifaschismus ist kein linkes Projekt. Wir brauchen dafür auch die Konservativen.“
„Wir demonstrieren nicht gegen die CDU, sondern gegen den Kurs, den sie genommen hat“, betont deshalb auch Christoph Bautz, Geschäftsführer von „Campact“, die die Demonstration maßgeblich organsiert hat. Bautz dankt namentlich den zwölf Bundestagsabgeordneten der CDU, die am Freitag gegen den Gesetzentwurf ihrer Fraktion gestimmt oder nicht an der Abstimmung teilgenommen haben. Gleichzeitig stellt er klar: „Friedrich Merz hat sich an unserer Demokratie versündigt und diese Sünde ist unverzeihlich.“
„Friedrich Merz darf nicht Bundeskanzler dieses Landes werden.“
Für Bautz ist deshalb klar: „Auf Friedrich Merz ist kein Verlass, wenn es darum geht, dieses Land gegen seine Feinde zu verteidigen. Genau deshalb darf Friedrich Merz auch nicht Bundeskanzler dieses Landes werden.“ Das sieht auch Klima-Aktivistin Luisa Neubauer so. „Ich hatte gedacht, dass man sich in demokratischen Grundsätzen aufeinander verlassen kann“, sagt sie. „Doch wir wurden bitter enttäuscht.“
Sorge macht Neubauer auch noch etwas anderes. „Man muss befürchten, dass Friedrich Merz bis heute nicht verstanden hat, was das eigentlich Problem ist.“ Nach der Abstimmung am Freitag hatte Merz gesagt, er sei mit sich im Reinen. „Wer einmal den Anstand aus dem Fenster wirft, der findet ihn nicht wieder“, ruft Neubauer den Menschen vor dem Reichstagsgebäude zu und verspricht: „Wir machen das hier zu einem Dauer-Thema – und zu einem Dauer-Problem für Friedrich Merz.“
Als der Horizont dann von der untergehenden Sonne bereits rot gefärbt ist, macht sich auch die große Masse der Demonstrierenden auf in Richtung CDU-Parteizentrale. Im Schneckentempo geht es durch den Tiergarten. Erst auf der „Straße des 17. Juni“ ist mehr Platz und der Zug kann beschleunigen. Das Konrad-Adenauer-Haus erreichen dennoch nicht alle. Wegen des großen Andrangs muss der Zugang von der Polizei begrenzt werden.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.