Nach Merz' Tabubruch: 10.000 Menschen demonstrieren in Bonn
Hunderttausende Menschen sind an diesem Wochenende überall im Land gegen den Rechtsruck auf die Straße gegangen. In Bonn kamen am Sonntag 10.000 Menschen zusammen. Die Botschaft: „Wir stehen für Vielfalt.“
Jonas Jordan | vorwärts
Bonn ist bunt: 10.000 Menschen kamen am Nachmittag auf dem Marktplatz zusammen, um gegen den Rechtsruck zu demonstrieren.
Die Sonne scheint, der Himmel ist blau und der Bonner Marktplatz voll. Mehr als 10.000 Menschen sind in der Bundesstadt vor dem Alten Rathaus zusammengekommen, um für Demokratie, Menschenrechte und Vielfalt zu demonstrieren. Um 12 Uhr soll es losgehen. Kurz vorher heizt die Band „Jedöns“ mit Karnevals-Punkrock ein. Zur Kundgebung aufgerufen hat ein breites Bündnis aus Zivilgesellschaft, Parteien und Kirchen gemeinsam mit Amnesty International. „Wir wollen in keiner Gesellschaft leben, in der Hass und Hetze regieren“, ruft deren Vorstandssprecher Wassily Nemitz den Menschen auf dem Marktplatz zu.
„Ein Bonn, das bunt und offen ist“
Diese sehen das offenbar genauso. Viele haben selbst gebastelte Schilder dabei mit Aufschriften wie „Keine Kekse für Nazis“, „Friedrich, bleib friedlich!“ oder „Who the fuck is Alice“. Eine Frau verkündet: „Biete Nachhilfe in Geschichte“. Das Publikum ist bunt gemischt, von Kleinkindern bis zu rüstigen über 80-Jährigen. Vor der Bühne haben sich Vertreter*innen von Parteien wie SPD, Grünen, Linken, aber auch der CDU versammelt. Die Bonner Oberbürgermeisterin Katja Dörner (Grüne) spricht von einem „überwältigenden Anblick“ und einem „wahnsinnig starken Signal“. Sie betont: „Wir lassen uns niemals einreden, dass wir in dieser Stadt gespalten sind. Wir stehen für Vielfalt.“
Auch die SPD-Bundestagsabgeordnete Jessica Rosenthal sieht „ein Bonn, das bunt und offen ist“. Sie spricht über ihre Erlebnisse im Bundestag und sagt: „Es war die schlimmste Woche in Berlin, die ich je erlebt habe.“ Besonders bewegt habe sie die Entscheidung von Albrecht Weinberg: „In dem Moment, wo jemand, der den Holocaust erlebt hat, sein Bundesverdienstkreuz zurückgibt, muss auch Friedrich Merz erkennen, dass er auf dem falschen Weg ist.“ Rosenthal fügt an: „Als Mitglied des Bundestages schäme ich mich dafür.“
CDU-Kandidat Streeck kritisiert „Cancel Culture“
Anders ergeht es dem Virologen und Bonner CDU-Bundestagskandidaten Hendrik Streeck, der Merz‘ Vorgehen in dieser Woche öffentlich verteidigte. Als er die Bühne betritt, wird Streeck mit Pfiffen und Buhrufen begrüßt. Sein inhaltlich wirrer Redebeitrag führt nicht dazu, dass diese abebben. Über Merz und die gemeinsame Abstimmung mit der AfD verliert er kein Wort.
Stattdessen spricht Streeck über die angebliche „Cancel Culture“, die zur aufgeheizten Stimmung in Deutschland beitrage. Streeck behauptet, er wisse, wie sich Minderheiten in diesem Land fühlten. Er habe das selbst während der Corona-Pandemie erlebt. Dietmar Pistorius von der Evangelischen Kirche erwidert als folgender Redner: „Lassen Sie mich das möglichst gewaltfrei formulieren: Es gibt die große Bitte der Menschen hier an die konservative Partei in Deutschland, Vertrauen zu schaffen, dass sie nicht gemeinsam mit rechtsextremen Kräften stimmt.“ Großer Applaus dafür.
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo