Afghanen klagen in Berlin: Eilanträge für Visum nach Deutschland
Nach dem Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan 2021 versprach die Bundesregierung, gefährdete Afghan*innen aufzunehmen. Jetzt will sie dieses Versprechen widerrufen. Die ersten Betroffenen klagen – doch ihnen läuft die Zeit davon.
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Afghanen verlassen Pakistan wegen angedrohter Massenabschiebung.
Sie haben eine Aufnahmezusage der Bundesrepublik, sitzen aber in Pakistan fest. 25 Afghan*innen plus Angehörige klagen jetzt beim Verwaltungsgericht Berlin auf ein Visum für Deutschland. Weil Pakistan mit der Abschiebung droht, haben sie auch Eilanträge gestellt.
Nach dem überstürzten Abzug der Bundeswehr 2021 hat Deutschland über 36.000 Menschen aus Afghanistan aufgenommen, darunter rund 20.000 ehemalige Ortskräfte der Bundeswehr. Über 2000 Afghan*innen warten aber noch in Pakistan, mit zunehmender Verzweiflung. Sie verließen Afghanistan, weil sie eine Aufnahmezusage Deutschlands erhalten haben. Die deutsche Botschaft in Pakistan, die für die Abwicklung der Ausreise nach Deutschland zuständig ist, hat die entsprechenden Aktivitäten jedoch eingestellt.
Ende Mai waren es laut Bundesregierung 2384 Personen, die Zusagen auf der Grundlage von vier unterschiedlichen Programmen haben, und in Pakistan festsitzen. 1245 gehören zum Bundesaufnahmeprogramm (BAP) für gefährdete Personen, etwa homosexuelle Aktivist*innen, 772 haben Zusagen im Rahmen des Übergangsprogramms erhalten, das dem BAP vorausging, 70 Personen gehören zu der noch älteren Menschenrechts-Liste und 297 Afghan*innen sind ehemalige Ortskräfte der Bundeswehr und anderer deutscher Organisationen.
Bundesregierung will jeden Fall erneut prüfen
In den Zahlen sind bereits die Angehörigen enthalten, die rund 80 Prozent ausmachen, darunter viele Kinder. Die Personen warten in sogenannten „Guesthouses“, die die deutsche GIZ (Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit) im Auftrag der Bundesregierung angemietet hat. Sie werden dort verpflegt, können faktisch aber nicht die Häuser verlassen.
Schon die Ampel-Regierung hat im Juli 2024 die Aufnahmeprogramme ausgesetzt, also keine neuen Zusagen gemacht. Seit März werden auch keine Afghan*innen mehr nach Deutschland ausgeflogen. Die neue schwarz-rote Bundesregierung will nun jeden Fall erneut prüfen. „Erteilte Aufnahmezusagen sollen nach Möglichkeit wieder entzogen werden“, erklärte jüngst Kanzleramtsminister Thorsten Frei (CDU).
Nur die Zusagen im Rahmen des Bundesaufnahmeprogramms sind handfeste deutsche Verwaltungsakte. „Sie können aufgrund von Widerrufsvorbehalten nur aus individuellen Gründen widerrufen werden, etwa wenn Sicherheitsbedenken oder Zweifel an der Identität der Personen bestehen“, erklärte Rechtsanwalt Matthias Lehnert bei einer Pressekonferenz der NGO „Luftbrücke Kabul“, die sich schon seit Jahren um gefährdete Afghan*innen kümmert. „Dass Deutschland jetzt eine rigidere Asylpolitik verfolgt, ist kein Grund für den Widerruf eines Verwaltungsakts“, betont Anwalt Lehnert. Bisher gab es auch nur drei Widerrufe von Zusagen nach dem Bundesaufnahmeprogramm.
Weitere Klagen werden folgen
Anders sieht es bei den anderen drei Programmen auf. Hier wurden die Zusagen oft per Email gegeben und sie werden nun seit März auch in hunderten Fällen per Email wieder zurückgezogen. Die Bundesregierung sieht darin „keine Widerrufe/Rücknahmen im rechtlichen Sinne“. Die Betroffenen müssen aber binnen einer Woche die Guesthouses verlassen und sind dann auf sich gestellt. „Deshalb hat sich die Zahl der Personen in den Guesthouses seit Mai auf 2263 reduziert“, berichtete Elaha Hakim von Luftbrücke Kabul.
Jetzt klagen 25 Afghan*innen mit fortbestehender Aufnahmezusage. Sie kommen aus allen vier Aufnahmeprogrammen. Es sind Frauen, Schwule, Ortskräfte und andere gefährdete Personen. Dazu kommen jeweils noch Familienangehörige, insgesamt rund 120 Personen. Mit der Klage soll die Bundesrepublik verpflichtet werden, den Betroffenen Visa auszustellen, so dass sie in Deutschland einreisen können. Dies ist aber nur die erste Welle, weitere Klagen werden folgen. Neben Lehnert hat sich ein Team von 25 Anwälten bereit erklärt, die Afghan*innen vor dem Verwaltungsgericht Berlin zu vertreten.
Ende des Monats droht Abschiebung
Neben den Klagen wurden auch Eilanträge gestellt, denn die Afghan*innen sind in Gefahr. Die pakistanische Regierung akzeptiert Afghan*innen mit deutscher Aufnahmezusage, aber ohne Aufenthaltsrecht in Pakistan nur noch bis zum 30. Juni im Land. Danach will sie auch diese Gruppe abschieben. In den letzten Monaten mussten bereits über eine Millionen Afghan*innen Pakistan verlassen. „Den besonders gefährdeten Personen mit deutscher Aufnahmezusage droht in Afghanistan Gefängnis, Folter und Tod, den Mädchen droht die Zwangsverheiratung“, sagte Eva Beyer von Luftbrücke Kabul.
Wenn die Eilanträge beim VG Berlin Erfolg haben, kann die Bundesregierung noch Beschwerde zum Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg einlegen. Neben den 25 Klagen von Personen mit bestehender Aufnahmezusage gibt es am VG Berlin noch Dutzende Klagen von Afghan*innen, deren Aufnahmezusage von der Bundesregierung informell zurückgezogen wurde. Auch sie klagen auf ein Visum für Deutschland.
„Es ist ein Skandal“
Die harte Haltung der Bundesregierung ist in der schwarz-roten Koalition umstritten. „Bei allen Personen mit bestehenden Aufnahmezusagen steht Deutschland im Wort“, sagte der SPD-Innenpolitiker Hakan Demir dem „Stern“. „Sie müssen kommen dürfen. Sofort. Nicht erst, nachdem sie sich ihr Recht eingeklagt haben.“ Die Grünen-Abgeordnete Shahina Gambir erklärt: „Es ist ein Skandal, dass diese Bundesregierung sehenden Auges Menschen in Lebensgefahr lässt, deren Schutzbedürftigkeit bereits festgestellt wurde. Dass die Betroffenen ihr Recht einklagen müssen, zeigt erneut, dass das Rechtsverständnis der unionsgeführten Bundesregierung alarmierend ist.“
Auch Clara Bünger (Linke) unterstützt die Klagen. „Diese Menschen haben oft alles aufgegeben und ihre gesamte Hoffnung in das Schutzversprechen der deutschen Regierung gesetzt. Dass die Bundesregierung jetzt Visa verweigert, während Pakistan droht, auch Menschen mit Aufnahmezusage nach Afghanistan abzuschieben, ist unverantwortlich und menschenverachtend.“