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Dreier-Koalition in Österreich: Was die Regierung aus ÖVP, SPÖ und Neos vorhat

Erstmals wird Österreich von einer Dreierkoalition regiert werden. ÖVP, SPÖ und Neos haben sich auf einen Koalitionsvertrag geeinigt. Dass es dabei einen Umweg über Verhandlungen mit der rechtsextremen FPÖ gab, sollte eine Mahnung für die bevorstehenden Gespräche in Deutschland sein.

von Robert Misik · 28. Februar 2025
Der Vertrag steht: SPÖ-Chef Andreas Babler, der ÖVP-Vorsitzende Christian Stocker und die Vorsitzende der Neos Beate Meinl-Reisinger nach den Koalitionsverhandlungen am 27. Februar in Wien

Der Vertrag steht: SPÖ-Chef Andreas Babler, der ÖVP-Vorsitzende Christian Stocker und die Vorsitzende der Neos Beate Meinl-Reisinger nach den Koalitionsverhandlungen am 27. Februar in Wien

Am Ende hat Österreich dann doch noch die Kurve gekriegt. Beinahe ein halbes Jahr nach den Nationalratswahlen vom 29. September steht jetzt eine Regierung aus Volkspartei, Sozialdemokraten und liberalen Neos, sofern es nicht noch zu unvorhergesehenen Kapriolen kommt. Eine kleine Hürde muss noch genommen werden: Die Neos brauchen eine Zweidrittelmehrheit bei der Mitgliederversammlung am kommenden Wochenende. Aber die Fallgrube sollte zu umschiffen sein. 

Eine Koalition der Vernünftigen“

Es ist letztendlich eine „Koalition der Vernünftigen“, in zweifacher Hinsicht. Einerseits ist es ein Gebot der Vernunft, die rechtsextreme FPÖ mit ihrem radikalen Vormann Herbert Kickl (dem österreichischen Björn Höcke) von den Machtbastionen fernzuhalten. Und zudem gibt es viel zu tun, vor allem ökonomisch und gesellschaftspolitisch, Aufgaben, bei denen keine Schlagwörter und Phrasen helfen, sondern eine vernünftige Balance zum Ausgleich von Zielkonflikten. 

Österreich droht schließlich ein Budgetdefizit von rund vier Prozent. Das Land ist seit längerem in einer Rezession, und neben der konjunkturellen Probleme gibt es die auch in Deutschland bekannten strukturellen Krisen der Industrie. Die harte Budgetkonsolidierung, die die neue Regierung plant, ist einerseits notwendig, darf aber andererseits nicht zusätzlich die Wirtschaft abwürgen.

Das ist natürlich der größte Brocken. Und es liegt in der Natur der Sache, dass unklar ist, ob die Kompromisse, auf die sich ÖVP, SPÖ und Neos geeinigt haben, überhaupt halten können. Schmiert die Wirtschaft noch mehr ab, dann wird das Defizit noch größer – und dafür sind letztlich die geopolitische Lage, Krieg und Instabilität und das Verhalten der US-Regierung nicht unentscheidend. Also lauter Dinge, die nicht wirklich im direkten Einflussbereich einer österreichischen Bundesregierung liegen.

Die Regierungspläne sind ansehnlich

„Wir müssen sanieren“, es werden „harte Jahre“, man sorge aber dafür, dass es dabei „gerecht zugeht“, das waren die Kernaussagen bei der Präsentation des Dreierprogramms am Donnerstag. Man habe die nötigen Kompromisse gefunden, sich wechselseitig „Erfolge gegönnt“, so SPÖ-Parteichef Andreas Babler und der neue ÖVP-Bundeskanzler Christian Stocker bemühte gleich die Romantik österreichischer Lebensart: „Beim Reden kommen die Leut‘ zsam“, was so viel heißt wie: Wenn man sich hinsetzt und vernünftig redet, dann lösen sich Konflikte auf.

Tatsächlich sind die Regierungspläne, gemessen an der düsteren Ausgangsposition, ansehnlich: Es gibt kein reines Austeritätsprogramm, die Budgetkonsolidierung wird zwar überwiegend von den Haushalten finanziert, aber es gibt auch höhere Beiträge der Banken und von Vermögenden. Beim Trigger-Thema Migration gibt es einerseits Restriktionen beim weiteren Zuzug, zugleich aber viele Pläne im Detail, wie Integration belohnt werden soll. Auch eine Kindergrundsicherung soll kommen.

Viele neue Gesichter bei der SPÖ 

Vor allem die Sozialdemokraten gehen mit erstaunlichen, neuen Protagonisten in die Regierung, die oft beschworene Auswahl der „besten Köpfe“, sie wurde recht gut hinbekommen. Ökonomie-Star Markus Marterbauer wird Finanzminister, die charismatische Verwaltungsgerichts-Vizepräsidentin Anna Sporrer übernimmt Justiz, Eva-Maria Holzleitner, das größte Talent der Sozialdemokratie, wird für Frauen und Wissenschaft zuständig. Andreas Babler, der Parteichef, der viel gescholten wurde, hat seine Feuertaufe gut hinbekommen.  

Im zweiten Anlauf hat auch der Schock die Dreierkoalitionäre zusammengeschweißt, nachdem die Verhandlungen im Januar schon einmal gescheitert waren und FPÖ-Chef Herbert Kickl daraufhin eine Koalition mit den Konservativen bilden wollte – ein Unternehmen, das ebenso im Fiasko endete. Es ist somit die staatspolitische Notwendigkeit und eine Art von Unumgänglichkeit, die jetzt eine Regierung von ÖVP, SPÖ und Neos ermöglichte – um nicht zu sagen erzwang.

Gefahren für die Regierung drohen eher von innen

Bei der Regierungspräsentation dominierten die nüchternen, sachlichen Töne – und gefühlsmäßig auch der Respekt vor der Aufgabe. Vielleicht kein schlechter Anfang, denn Phrasendrescher und Blenderei hat das Land in den vergangenen Jahren zur Genüge erlebt. Man kann die Hoffnung hegen, dass das so weiter geht. Die ÖVP stellt den Kanzler und einige ihr wichtige Ressorts, die Sozialdemokraten, bei den Wahlen mit rund 21 Prozent eher abgeschlagen, konnten große Ressorts ergattern – ein Portfolio, wo man schon eine progressive Handschrift hinterlassen kann. Die Liberalen werden das Außenamt und die Bildung erhalten.

Instabilitäten drohen zunächst eher aus dem Innenleben der Parteien. Die Sozialdemokratie ist noch immer von den Konflikten der vergangenen Jahre gezeichnet und trugen den Kampf um die Ministerämter kurz sogar auf offener Bühne aus. Und bei den Neos gibt es eine kleine, aber signifikante Minderheit, die mit der Lindner-Musk-Milei-Ideologie liebäugelt. Wenn der Regierung Gefahr droht, dann durch die inneren Zerwürfnisse innerhalb der beteiligten Parteien.

Eine Lehre für Deutschland und Friedrich Merz

Womöglich war es aber retrospektiv gar nicht so schlecht, dass FPÖ-Chef Herbert Kickl im Januar mit der Regierungsbildung betraut wurde, mit seinen Forderungen aber radikal übertrieb und vor aller Augen gescheitert ist. Er versucht sich zwar jetzt zum Opfer „der Globalisten“ und sonstiger sinistrer Kräfte zu stilisieren, aber mit beschränktem Erfolg. Und Konservative, Sozialdemokraten und Neos haben so auch auf die harte Tour gelernt, dass sie aufeinander angewiesen sind, und dabei auch darauf achten müssen, die jeweils andere Seite nicht zu überfordern. 

Insofern bietet das österreichische Exempel auch eine Lehre für Deutschland. Wenn ein konservativer Wahlgewinner sich nicht einer rechtsextremen Partei ausliefern will, dann sollte er vielleicht überlegen, ob große Jubelreden über das Ende der Linken, Geifer über Andersdenkende („Spinner“) oder parlamentarische Anfragen im Trump-Stil zur Diffamierung der Zivilgesellschaft wirklich die schlauesten Taktiken sind.

ÖVP, SPÖ und Neos haben verstanden

Und umgekehrt muss auch jeden klar sein, dass man bei schwierigen Mehrheitsverhältnissen Kompromisse braucht und man sein Blatt auch nicht übertrieben ausreizen darf. Die Parteien der Mitte haben in Österreich ja im Januar die Verhandlungen auf verantwortungslose Weise zu kollabieren gebracht, und dann wenigstens im zweiten Anlauf verstanden, dass das vielleicht keine so brillante Idee war. 

SPÖ-Vizeparteichefin Doris Bures feierte den Tag der Regierungsbildung wohl nicht zufällig mit einem Zitat-Posting der früheren US-Richterin Ruth Bader Ginsburg: „Kämpfe für die Dinge, die dir wichtig sind, aber auf eine Weise, die andere dazu bringt, sich dir anzuschließen.“

Autor*in
Robert Misik
ist Journalist und politischer Autor. Er lebt in Wien.

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