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Österreich: Warum die FPÖ die Wahl gewann und wie es jetzt weitergeht

Die FPÖ auf Platz eins – und die Sozialdemokrat*innen blieben bei der Nationalratswahl unter Hoffnungsträger Andreas Babler bei 21 Prozent hängen. Wie kam es dazu? Und was steht Österreich jetzt bevor? Antworten auf die wichtigsten Fragen

von Robert Misik · 30. September 2024
Gekämpft wie ein Löwe: SPÖ-Chef Andi Babler (r.) am Wahlabend mit dem FPÖ-Vorsitzenden Herbert Kickl

Gekämpft wie ein Löwe: SPÖ-Chef Andi Babler (r.) am Wahlabend mit dem FPÖ-Vorsitzenden Herbert Kickl

Österreich hat an dem vergangenen Wahlsonntag ein Erdbeben erleben. Man kann es nicht anders sagen: Die Nationalratswahl ist ein demokratiepolitisches Desaster. Die rechtsextreme Freiheitliche Partei (FPÖ) unter Herbert Kickl, dem radikalsten Parteichef, den sie je hatte, wurde stärkste Partei – mit 29 Prozent der Stimmen. 

Die konservative Volkspartei (ÖVP) erreichte etwas mehr als 26 Prozent – ein Minus von mehr als elf Prozentpunkten. Die Sozialdemokraten (SPÖ) unter Andreas Babler stagnierten und liegen nun bei 21 Prozent – und erstmals nach 1945 nur mehr auf Platz drei. 

Wie konnte das passieren? Wieso konnten die Ultrarechten auf Platz eins hochschießen? Und wieso haben die Hoffnungen, die viele auf den Typus Andreas Babler setzten, nicht gefruchtet? 

Warum die FPÖ gewonnen hat

Die Freiheitlichen haben sich in den vergangenen Jahren noch einmal radikalisiert, aber das hat ihnen nicht geschadet, sondern sogar noch genutzt. In den vergangenen Jahren hat sich ein Milieu herausgebildet, das radikal verbittert ist, das radikal „dagegen“ ist. Die FPÖ hat noch in den allerletzten Wahlkampftagen in vollendeter Radikalität getrommelt: „Am Sonntag bringen wir das System zu Fall.“ Selbst am Tage der Wahlkampf-Schlussveranstaltung wurde bei einem Begräbnis eines Parteifunktionärs ein altes SS-Lied gesungen. Spitzenleute der Partei waren mittendrin.

Der Parteichef hat den Österreicher*innen in der Corona-Pandemie ein Pferdeentwurmungsmittel empfohlen. Menschen, die es eingenommen haben, sind gestorben. Dass so eine Partei dennoch gewinnen kann, zeigt, wie vergiftet die politische Atmosphäre schon ist, wie aufgehusst viele Menschen sind, durch Fake News und Verschwörungserzählungen verbittert und erregt; und es zeigt auch, wie das, was vor nicht langer Zeit noch als irrwitzig gegolten hätte, heute auch in einer breiteren Öffentlichkeit soweit als „normal“ gilt, dass eine relative Mehrheit der Wähler dafür stimmt. Das ist ein Alarmsignal. 

Kommt jetzt die Orbanisierung Österreichs, übernehmen die Putin-Freunde die Macht? 

Denkbar, aber noch lange nicht ausgemacht. Die konservative Volkspartei hat eine Allianz mit Kickl ausgeschlossen, den sie einen „Rechtsextremisten“ nennt. Sie hat sich aber eine Hintertür offen gelassen und redet gerne von den „Vernünftigen“ in der FPÖ. Dass die mit freiem Auge kaum zu finden sind, tut nichts zur Sache. Möglich, dass die Volkspartei herumlaviert um dann doch eine neuerliche Rechts-Ultrarechts-Regierung zu bilden, wie schon 2017 und im Jahr 2000 – allerdings unter radikal anderen Mehrheitsverhältnissen und unter rechtsextremer Führung.

Da das Gift der rechten Hegemonie auch weit in die konservative Basis und Anhängerschaft eingedrungen ist, werden viele ihre Funktionär*innen eine solche Allianz begrüßen. Andererseits: Die ÖVP hat das Heft in der Hand. Da sie als einzige Partei sowohl mit der FPÖ als auch mit SPÖ, liberalen NEOS und Grünen koalieren könnte, bestimmt de fakto sie, wer Österreich regiert. Verlockend könnte sein: Wenn sie eine Regierung mit der SPÖ bildet, könnte der amtierende Kanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer seinen Posten behalten. Dann würde dem Land eine Horrorregierung erspart bleiben. 

Hat Andreas Babler die Hoffnungen enttäuscht? 

Ja und nein. Zur Erinnerung: Andreas Babler, bis dahin ein populärer, linker Bürgermeister der Kleinstadt Traiskirchen, wurde vor einem Jahr in einem skurrilen Führungskampf überraschend zum Parteichef. Die damalige SPÖ-Vorsitzende, Pamela Rendi-Wagner war vom intriganten burgenländischen Parteichef Hans-Peter Doskozi, über Jahre gemobbt und unterminiert worden. Die Partei war überdies seit langer Zeit schon dem Hader anheimgefallen. Rendi-Wagner wollte in einer Art Parteitags-Duell mit Doskozil ihren Rivalen erledigen. Doskozil bestand aber auf einer Mitgliederbefragung. Bei der konnte dann auch das Antreten weiterer Kandidaten nicht verhindert werden und der geerdete Andreas Babler gelangt ein Überraschungscoup. Praktisch gleichauf mit Doskozil erreichte er knapp ein Drittel der Stimmen. Am Ende entschied ein Parteitag für Babler – jener legendäre Parteitag, bei dem es sogar zu einer Auszählungspanne kam.

Viele hegten danach die Hoffnung, dass Babler, ein moderner Typ, ohne Apparatschik-Stallgeruch und zugleich volkstümlich, genau der Richtige für die Sozialdemokratie mit ihrer inneren Auszehrung wäre. Etwa, weil er als integrer, geerdeter Typ die Glaubwürdigkeit bei all jenen wieder zurückgewinnen könnte, die sich von der Sozialdemokratie vergessen oder verlassen fühlten: bei den arbeitenden Klassen, den Malocher-Typen. Das ist auch unbestritten die Stärke des Vorsitzenden, aber auch seine relativen Schwächen lagen auf der Hand. Gerade für bürgerliche Milieus oder konservativere Arbeitnehmerschichten war er zu wenig „Kanzlerlike“, die politische Konkurrenz und die Medien, die ihn bekämpften, versuchten ihn als „Kommunisten“ zu framen.

Die SPÖ ist zerstritten

Dieses Problem der „Electability“ hätte man entschieden angehen müssen. Es ist aber in dieser Hinsicht zu wenig passiert – eigentlich praktisch nichts. Die Personaldecke der Partei ist auch dünn. Es hätte sicherlich geholfen, rund um Babler andere Führungsfiguren sichtbar zu machen, die auf Milieus ausstrahlen können, die Vorbehalte gegen ihn haben. Aber im Wahlkampf war alles auf Babler konzentriert, der seine Stärken ausspielte, der kämpfte wie ein Löwe. 

Mindestens ebenso wichtig: Da die Partei zerstritten ist, kämpften die Babler-Unterstützer. Diejenigen, die ihn weniger unterstützten, schauten mehr oder weniger fußfrei dabei zu. Schlimmer: die Wahlkampagne wurde durch Durchstechereien und geleakte E-Mails aus dem Führungskreis auch noch vorsätzlich sabotiert. 

Ein Zuviel an Professionalität wird man der Wahlkampagne schwerlich vorwerfen können. Die SPÖ erzielte teilweise hervorragende Ergebnisse in den Großstädten und Kleinstädten, in denen Babler-Unterstützer sich die Hacken abliefen – und stagnierte oder verlor in den ländlichen Regionen. Die Stadt-Land-Spaltung vertiefte sich noch einmal. Grosso modo gewann die SPÖ massiv Stimmen von den Grünen und verlor ebenso viel in das Nichtwählersegment.

Dass man Unzufriedene, Protestwähler*innen, mache „Wütende“ oder gar Wähler*innen der Freiheitlichen durch einen glaubwürdigen Kandidaten „von unten“ zurückgewinnen könnte – diese Hoffnung ist jedenfalls im ersten Anlauf keine Spur aufgegangen. Das magere Ergebnis hat viele Mütter und Väter. Aber eine innerlich verwundete Partei hätte auch niemand anders in einem Jahr sehr viel besser heilen können. 

Wie geht es jetzt weiter?

Andreas Babler hat noch am Wahlabend die Hand Richtung Volkspartei ausgestreckt, sich zu Regierungsgesprächen bereit erklärt. Das Wichtigste ist nun – auch aus demokratie- und staatspolitischer Verantwortung – eine Regierung unter Führung der Rechtsextremist*innen zu verhindern. Am Montag hat die SPÖ schon ein Verhandlungsteam nominiert. Beobachter*innen halten eine Regierung aus Volkspartei und Sozialdemokraten für die wahrscheinlichste Lösung. Aber im Grunde weiß niemand, wie es am Ende kommen wird. 

Autor*in
Robert Misik
ist Journalist und politischer Autor. Er lebt in Wien.

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5 Kommentare

Gespeichert von Armin Christ (nicht überprüft) am Di., 01.10.2024 - 09:43

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Das schlechte Abschneiden der SPÖ ist nicht schön, aber wie in anderen Ländern setzen die Rechten auf das Thema Migration und Flüchtlinge. Ursachen bekämpfung wäre da ganz sinnvoll, aber wer wagt es denn heute noch zu sagen, daß die Hauptursache dieses Phänomens die Kriege, Stellvertreterkriege und Finanzierung derselben durch die "Wertegemeinschaft" sind ?
Für Sozialdemokraten, ob in Österreich oder anderswo, muss es darum gehen sozialdemokratische Politik im Interesse der Bevölkerungsmehrheit zu machen und insbesondere die ehemals sozialdemkratische orientierte Arbeiterklasse zurück zu gewinnen.

Gespeichert von max freitag (nicht überprüft) am Mi., 02.10.2024 - 15:33

Antwort auf von Armin Christ (nicht überprüft)

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sein. Bei starkem Anstieg der Wahlbeteiligung den Stimmanteil gehalten, das ist doch mathematisch betrachtet ein Zugewinn an Stimmen, also Zustimmung zur erfolgreichen Politik unserer genossen in Österreich. Weiter so, wo wir sind, ist vorne