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Wahl in Österreich: „Ein Bundeskanzler Kickl wäre brandgefährlich“

Vor der Nationalratswahl am Sonntag in Österreich bahnt sich ein Dreikampf zwischen ÖVP, FPÖ und SPÖ an. Die SPÖ-Politikerin Julia Herr erklärt im Interview, wie ein Wahlsieg der Sozialdemokrat*innen im Endspurt gelingen kann.

von Jonas Jordan · 24. September 2024
Julia Herr ist Nationalratsabgeordnete und Klubobmann-Stellvertreterin der SPÖ.

Julia Herr ist Nationalratsabgeordnete und Klubobmann-Stellvertreterin der SPÖ.

Inwieweit wurde der Wahlkampf durch die Überflutungen in Wien und Niederösterreich überschattet?

Wir hatten ein paar Tage Wahlkampfpause. Die Fernsehduelle und sämtliche Wahlkampfveranstaltungen wurden abgesagt. Wir hatten der Opfer dieser Unwetterkatastrophe zu gedenken. Es war angebracht, innezuhalten. Zugleich hat es den Wahlkampf maßgeblich verändert.

Welche Rolle spielt der Kampf gegen den Klimawandel nun im Wahlkampf?

Themen wie Bodenverbrauch und Renaturierung werden jetzt diskutiert. Wir wollen die Naturkatastrophe nicht für den Wahlkampf missbrauchen. Gleichzeitig gilt es, darauf hinzuweisen, dass Starkwetterereignisse sich häufen aufgrund der Klimakatastrophe. 

Denn viele Wähler und Wählerinnen verbinden das, was geschehen ist, nicht automatisch mit der Klimakrise. Für viele Menschen beginnt jetzt auch erst die Aufräumarbeit. Sie werden die nächsten Wochen noch mit der Katastrophe zu kämpfen haben. Die Häuser sind zerstört. Da ist an Wahlkampf für viele Teile Österreichs nicht zu denken.

Wie ist die Stimmungslage in der SPÖ wenige Tage vor der Wahl?

Wir stehen vor einer Richtungsentscheidung. Sämtliche Umfragen zeigen einen Dreikampf zwischen SPÖ, ÖVP und FPÖ in der Frage, wer die kommende Regierung anführt. Das ist für uns ein Motivations-Push. Denn wir hatten schon einmal ein schwarz-blaue Bundesregierung. Sie war für den Sozialstaat verheerend. Wir haben Löcher im Budget aufgrund von Reformen, die ÖVP und FPÖ durchgeführt haben, wenn ich an die Kassenreform denke, wo den Versicherten bei ihren Gesundheitsleistungen Geld genommen wurde. Gleichzeitig stehen wir knapp vor einer Neuauflage.

SPÖ-Chef Andreas Babler wird einerseits teils begeistert von mehr als 1.000 Menschen bei seinen Auftritten empfangen, andererseits verharrt die SPÖ in Umfragen bei 21 Prozent. Wie passt das zusammen?

In unserem Wahlkampf sind Millionärssteuern ein zentrales Thema. Während bei Erhebungen zwar immer eine klare Mehrheit der Bevölkerung einen gerechten Beitrag der Vermögenden in diesem Land befürwortet, führt diese Position mancherorts auch zu viel Gegenwind. Wir bleiben aber natürlich bei unserer Position, denn wir sind überzeugt, dass es ein gerechtes Steuersystem benötigt.

Julia 
Herr

Die SPÖ ist die einzige Alternative.

Bei der Europawahl lag die SPÖ lediglich 2,2 Prozentpunkte hinter der FPÖ auf Platz drei. Was braucht es im Endspurt, um die Wahl zu gewinnen?

Wir sehen, dass noch viele Menschen unentschlossen sind, vor allem Wählerinnen. Viele Frauen tendieren dazu, FPÖ zu wählen. Gleichzeitig ist ihnen aber das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper wichtig. 

Deswegen müssen wir die Inhalte in den Vordergrund stellen und noch mal darauf hinweisen: Wofür steht eigentlich die FPÖ? Wofür steht eigentlich die ÖVP? Und was ist die Alternative dazu? ÖVP und FPÖ bilden zwei Seiten einer Medaille, auch wenn man sich die Parteiprogramme anschaut. Beim Wirtschaftsprogramm weiß man nicht, wer von wem abgeschrieben hat. 

Die SPÖ ist die einzige Alternative. Wir sind für das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper. Wir setzen uns für das Recht, von Teilzeit in Vollzeit zurückzukehren, ein. Wir schauen darauf, dass Frauen von ihrer Pension leben können. Wir wollen die sehr hohe Arbeitslosigkeit von Frauen über 50 bekämpfen.

Julia
Herr

So viel wie Andreas Babler tourt niemand anderer durch Österreich

Derzeit führt die FPÖ in Umfragen mit 27 Prozent. Wie hoch ist die Gefahr, dass es erstmals einen rechtspopulistischen Bundeskanzler geben könnte?

Diese Gefahr ist riesig. Die Konservativen sagen zwar, dass sie Kickl nicht zum Kanzler machen werden. Doch das ist falsch. Wir haben das vor sämtlichen Wahlen in den Bundesländern gesehen: in Oberösterreich, in Salzburg und in Niederösterreich. Sobald ÖVP und FPÖ eine mathematische Mehrheit hatten, haben sie sie immer genutzt. Ein Kanzler Kickl wäre für Österreich brandgefährlich.

FPÖ-Chef Kickl wirkt deutlich blasser als seine Vorgänger Haider oder Strache. Zudem liegt die Ibiza-Affäre erst wenige Jahre zurück. Wie ist der Höhenflug der Rechten zu erklären?

Die FPÖ hat an ihrer Spitze HC Strache mit Herbert Kickl ausgetauscht. Dadurch hat sie es geschafft, den Anschein zu erwecken, man habe sich von der Ibiza-Affäre distanziert und sich neu aufgestellt. 

Die Positionen sind gleichgeblieben, zum Beispiel was die Umgestaltung von Medien betrifft. Kickl hat Orbán als Vorbild bezeichnet. Wenn wir uns die Medienlandschaft in Ungarn anschauen, ist das nichts anderes als die Fortsetzung des Ibiza-Videos, wo HC Strache darüber spricht, wie man sich die mächtigste Zeitung im Land gefügig machen will. 

Die Korruption der FPÖ wurde dann überschattet von der Korruption der ÖVP und Sebastian Kurz. Er steht jetzt ebenfalls nicht mehr zur Wahl. Die Politik von ÖVP und FPÖ ist jedoch gleichgeblieben, der Korruptions-Sumpf noch immer da.

Darin könnte doch eine Chance für die SPÖ liegen.

Eigentlich müsste das eine Situation sein, wo wir als SPÖ profitieren. Deswegen werde ich bis zur letzten Minute dafür laufen, eine Alternative zu dieser schwarz-blauen Misere darzustellen.

Wie sieht Ihr Wahlkampf in den verbleibenden Tagen bis zur Wahl aus?

Wahlkampf auf der Straße. Wir sind davon überzeugt, dass es im persönlichen Gespräch am besten möglich ist, die wichtigsten Themen anzusprechen. Dementsprechend schaut mein Terminkalender aus – von Verteilaktion zu Verteilaktion, von Schuldiskussion am Morgen zu Podiumsdiskussion am Abend. 

Auch Andreas Babler verfolgt dieses Konzept. So viel wie unser Bundesparteivorsitzender durch Österreich tourt, tourt niemand anderer. Seine Auftritte sind gut besucht. Es kommen viele Menschen, die keine Parteimitglieder, sondern neugierig darauf sind, was er zu erzählen hat.

Gleichzeitig haben wir viele Parteieintritte. Wir haben im letzten Jahr mehr Mitglieder gewonnen, als die Grünen oder die Neos in Österreich an Mitgliedern haben. Jetzt versuchen wir, all diese neuen Mitglieder zu mobilisieren und auf die Straße zu bringen.

Wenn es der SPÖ gelingt, stärkste Kraft zu werden, wer wären Ihre Wunschkoalitionspartner für die künftige Bundesregierung?

Wir müssen uns nach der Wahl anschauen, was rechnerisch möglich ist. Das langfristige Ziel muss sein, eine Koalition ohne ÖVP und FPÖ zu ermöglichen, also eine Koalition ohne konservative Kräfte. Denn seit ich auf der Welt bin, sitzt bei uns die konservative Partei in der Bundesregierung.

Julia
Herr

Wenn jeder, der überlegt, die KPÖ zu wählen, stattdessen Andreas Babler wählt, sind wir auf Platz eins und können die kommende Regierung anführen.

Welche Rolle könnten kleinere Parteien wie die KPÖ oder die Bierpartei spielen, die laut Umfragen an der Schwelle zur Vier-Prozent-Hürde liegen?

Sie können die SPÖ auf Platz eins verhindern. Wenn jeder, der überlegt, die KPÖ zu wählen, stattdessen Andreas Babler wählt, sind wir auf Platz eins und können die kommende Regierung anführen.

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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