Inland

TV-Duell: Wieso die Angabe von Merz zur „irregulären Migration" falsch ist

Fast eine halbe Stunde lang debattieren Bundeskanzler Olaf Scholz und Friedrich Merz im ersten TV-Duell am Sonntagabend über die Ausrichtung in der Migrationspolitik. Ein Blick auf die Zahlen zeigt, dass nicht alle Angaben des Unions-Kanzlerkandidaten korrekt sind.

von Jonas Jordan · 10. Februar 2025
Die Migrationspolitik spielte im TV-Duell zwischen Bundeskanzler Olaf Scholz und Friedrich Merz eine große Rolle.

Die Migrationspolitik spielte im TV-Duell zwischen Bundeskanzler Olaf Scholz und Friedrich Merz eine große Rolle.

Spätestens seit Friedrich Merz im Bundestag einen Entschließungsantrag gemeinsam mit der AfD hat beschließen lassen, tobt der Streit um die Ausrichtung der Migrationspolitik in Deutschland heftiger denn je. Schon zuvor kündigte der Kanzlerkandidat der Union an, als Bundeskanzler wolle er alle Grenzen schließen und Asylbewerber*innen direkt abweisen lassen. Das klingt nach dramatischen Zuständen, einer Notlage, die für Merz‘ Ankündigung notwendig wäre. Allerdings zeigt ein Blick auf die Zahlen etwas anderes, wie Bundeskanzler Olaf Scholz am Sonntagabend im TV-Duell mit Merz verdeutlichte.

Wie viele Asylanträge gab es während der Amtszeit von Olaf Scholz?

Friedrich Merz sprach in der TV-Debatte von mehr als zwei Millionen „irregulären Migranten“ während der Amtszeit von Olaf Scholz. Diese Zahl stimmt nicht. 

Im Jahr 2024 wurden in Deutschland rund 251.000 Asylanträge gestellt. Damit sank ihre Zahl laut Mediendienst Integration um circa 29 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Einen Höchststand hatte sie während der sogenannten Flüchtlingskrise im Jahr 2016 mit etwa 746.000 Anträgen erreicht, als vor allem viele Menschen vor dem Bürgerkrieg in Syrien flohen. Einen Tiefststand innerhalb der vergangenen Jahre gab es während der Corona-Pandemie im Jahr 2020 mit ungefähr 122.000 Anträgen. Insgesamt gab es nach Angaben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge gut 800.000 Asylgesuche seit Scholz' Amtsbeginn.

Auf Merz‘ Zahl kommt man höchstens annähernd, wenn man die rund eine Millionen Ukrainer*innen mitzählt. Die reisen allerdings visumsfrei nach Deutschland ein und zählen daher nicht zu den irregulären Migrant*innen. Die Angabe von Friedrich Merz ist also grob falsch.

Wie viele Asylgesuche gab es zuletzt?

Scholz verwies im TV-Duell darauf, dass es zuletzt im Januar die niedrigste Zahl von Asylgesuchen seit 2016 gegeben habe. Nach vorläufigen Zahlen des Bundesinnenministeriums gab es im Januar dieses Jahres 12.350 Asylgesuche. Das ist im Vergleich zum Januar 2024 ein Rückgang um 37 Prozent. Allerdings ist es nur der zweitniedrigste Wert der vergangenen zehn Jahre. Noch weniger waren es im Jahr 2021. Damals war jedoch die Mobilität weltweit aufgrund der Corona-Pandemie stark eingeschränkt. „Die Grenzkontrollen wirken und werden fortgesetzt“, kommentierte das Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt (SPD) kürzlich auf X. Seit Ende September 2024 gibt es vorübergehende Kontrollen an allen deutschen Grenzen.

Wie viele Menschen kamen „irregulär“ nach Deutschland?

Scholz sagte im TV-Duell, dir irreguläre Migration sei 2024 um rund 35 Prozent gesunken. Das ist korrekt. Sogenannte irreguläre Einwanderer*innen bezeichnet Menschen, die aus Kriegs- oder von Armut geprägten Gebieten kommen und kein Visum für die Einreise in die Europäische Union erhalten haben - der Familiennachzug gehört explizit nicht dazu. Die Bundespolizei zählte im vergangenen Jahr rund 83.000 unerlaubte Einreisen nach Deutschland. Diese Zahl ist laut Mediendienst Integration um 36 Prozent niedriger als im Vorjahreszeitraum und wohl auch darauf zurückzuführen, dass seit September 2024 auch an den Grenzen zu Frankreich, Luxemburg, den Niederlanden, Belgien und Dänemark Kontrollen stattfinden.

Wie viele Abschiebungen gab es im vergangenen Jahr?

Zwischen Januar und November 2024 wurden insgesamt 18.384 Personen aus Deutschland abgeschoben. Das sind rund 21 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Insgesamt wurde die Zahl der Abschiebungen während Scholz' Kanzlerschaft um circa 70 Prozent gesteigert, wie er im TV-Duell ebenfalls anmerkte.

Schon 2023 war die Zahl der Abschiebungen gegenüber dem Vorjahr um 27 Prozent gestiegen. Darunter fallen auch mehr als 5.000 Personen, die im Zuge der Dublin-III-Verordnung in ein anderes EU-Mitgliedsland überstellt wurden. Diese Verordnung regelt, dass dasjenige EU-Land für den Asylantrag der betreffenden Person zuständig ist, in das sie zuerst eingereist ist. Konkret heißt das: Kommen geflüchtete Menschen in Griechenland, Italien oder Bulgarien an und stellen dort einen Asylantrag, dürfen sie das später in Deutschland nicht noch ein zweites Mal tun.

Wie viele Personen reisen freiwillig aus Deutschland aus?

In den ersten drei Quartalen des Jahres 2024 haben mehr als 25.000 ausreisepflichtige Personen freiwillig Deutschland verlassen. Auch hier ist ein Plus von circa zehn Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum zu verzeichnen.

Wie viele Menschen werden an den Grenzen zurückgewiesen?

Scholz sagte, 40.000 Menschen seien im vergangenen Jahr an den deutschen Außengrenzen zurückgewiesen worden. Das ist ebenfalls korrekt. Es waren sogar noch etwas mehr. Etwa 41.600 Personen, die irregulär nach Deutschland einreisen wollten, hat die Bundespolizei zwischen Januar und November 2024 an den deutschen Grenzen zurückgewiesen – das sind 23 Prozent mehr Zurückweisungen als im gesamten Vorjahr. Damals waren es 34.860 Zurückweisungen. 

Die meisten Zurückweisungen gab es im vergangenen Jahr an der polnischen Grenze (circa 11.000) und an Flughäfen (rund 6.700). Im Gesamtjahr 2023 wurden vor allem Personen an der Schweizer (circa 15.300) und an der österreichischen Grenze (11.500) zurückgewiesen. Seit der Einführung von stationären Grenzkontrollen an den östlichen Grenzen hat die Zahl der Zurückweisungen dort deutlich zugenommen.

Personen, die an der Grenze ein Asylgesuch äußern, dürfen nicht zurückgewiesen werden. Allerdings sank deren Zahl von 57.000 im Jahr 2023 auf 25.500 im vergangenen Jahr. 

Wie viele Menschen sind ausreisepflichtig?

Zum 31. Dezember 2024 waren mehr als 220.000 Menschen ausreisepflichtig. Bei Ausreisepflichtigen handelt es sich um abgelehnte Asylbewerber*innen sowie um ausländische Studierende, Arbeitnehmer*innen oder Tourist*innen, deren Visum abgelaufen ist. 

Im Vergleich zu 2022 ging die Zahl der ausreisepflichtigen Personen um 27 Prozent zurück. Ein Grund dafür ist die Einführung des sogenannten Chancenaufenthaltsrechts durch die damalige Ampel-Regierung, mit dem Ziel, die Praxis der Kettenduldungen zu beenden. Denn geduldete Menschen machen mehr als 80 Prozent der ausreisepflichtigen Personen aus.

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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