Inland

Kommt das Gewalthilfegesetz? „Ich erwarte, dass auch die Union zustimmt“

Fast täglich wird in Deutschland eine Frau Opfer ihres Partners oder Ex-Partners. Am Mittwoch berät das Kabinett über den Entwurf für ein Gewalthilfegesetz. Die frauenpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion Leni Breymaier macht jetzt Druck.

von Lea Hensen · 27. November 2024
Leni Breymaier, die frauenpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion

Leni Breymaier, die frauenpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion

Schwangerschaftsabbrüche sind in Deutschland rechtswidrig, werden aber in den ersten drei Monaten nicht geahndet. Sie haben gemeinsam mit anderen Abgeordneten einen Vorstoß für die Legalisierung in den Bundestag eingebracht. Wie war die Reaktion darauf?

Aus der SPD kamen viele positive Rückmeldungen, auch Bundeskanzler Olaf Scholz hat den Gesetzesentwurf als SPD-Abgeordneter mitgezeichnet. Die Union sagt dagegen, wir brauchen eine breite Debatte und klammert sich an die Urteile des Bundesverfassungsgerichts von 1975 und 1993, die jeweils Versuche einer Legalisierung von Abtreibung kippten. Mit der katholischen Kirche zusammen ist die Union die letzte Instanz, die meint, man kann ungeborenes Leben durch Strafandrohung schützen. Ich glaube, wir schützen das ungeborene Leben durch bessere Bedingungen, Kinder großzuziehen – also bezahlbare Wohnungen, gute Kinderbetreuung, ordentliche Arbeitsplätze. Tatsächlich haben wir trotz der grundsätzlichen Strafbarkeit von Abtreibungen in Deutschland keine niedrigeren Abbruchsraten als andere Länder.

Die Union hat bereits angekündigt, vors Bundesverfassungsgericht ziehen zu wollen, wenn Abtreibungen legalisiert werden.

Dann ist das so. Wir haben unsere Anträge sehr gründlich vorbereitet und geprüft und wir sind sicher, dass sie beim Bundesverfassungsgericht Bestand haben.

Der eingebrachte Gesetzesentwurf geht weniger weit als die Empfehlungen einer Kommission aus dem Sommer, die die Ampel-Regierung im eingesetzt hatte. Wo haben Sie Abstriche gemacht?

Die Beratungspflicht bleibt bestehen, doch müssen nicht mehr drei Tage zwischen Beratung und Eingriff liegen. Wenn es nach mir ginge, bräuchten wir gar keine Beratungspflicht mehr. Die Kommission hatte zudem empfohlen, Abbrüche bis zur zwölften Woche auf jeden Fall und bis zur 22. Woche nach Ermessen des Gesetzgebers zu legalisieren. Die SPD-Fraktion hat hier auch eine weitergehende Beschlusslage. Um den Vorschlag möglichst breit anschlussfähig zu machen, haben wir einige Abstriche gemacht, dazu gehört auch die Zwölfwochenfrist beizubehalten. Ich finde, wir machen uns hier in Deutschland etwas vor – in den Niederlanden sind Abtreibungen bis zur 24. Woche erlaubt und niederländische Ärztinnen berichten, dass sie Spätabtreibungen dort an deutschen Frauen vornehmen, die hier wegen der vielen Hürden und der schlechten Versorgungslage regelmäßig die Fristen reißen.

Hätten Sie sich bei anderen frauenpolitischen Vorhaben ähnliche Kompromissfähigkeit gewünscht?

Die Frage ist ja, macht man einen tollen Gesetzentwurf, der eventuell nicht beschlossen wird, oder macht von Anfang an einen Kompromiss und kriegt diesen durchgesetzt. Wir Initiatorinnen des Gesetzesentwurf haben von Anfang geschaut, wo die geringsten Widerstände sein dürften. Ich bin im Moment zuversichtlich, dass wir das Gesetz durchbekommen. Allerdings kostet es erstmal kein Geld, Schwangerschaftsabbrüche aus dem Strafgesetzbuch einem anderen Regelungsort zuzuführen. Bei vielen Kompromissen geht es in aller Regel ums Geld, zum Beispiel beim Gewalthilfegesetz.

Leni
Breymaier

Die Frage ist ja, macht man einen tollen Gesetzentwurf, der eventuell nicht beschlossen wird, oder macht von Anfang an einen Kompromiss und kriegt diesen durchgesetzt.

Sie fordern, dass die Krankenkassen die Kosten für Schwangerschaftsabbrüche übernehmen, allerdings verschlechtert sich deren Finanzlage von Jahr zu Jahr. Ist das finanziell überhaupt möglich?

Die Krankenkassen übernehmen bereits jetzt die Kosten von Abtreibungen bei Niedrigverdienerinnen und das betrifft etwa 80 Prozent der Abbrüche. Außerdem leisten wir hier echten Bürokratieabbau, da die Abrechnungen heute einen wahnsinnigen zusätzlichen bürokratischen Aufwand für Ärztinnen und Ärzte bedeuten. Denn was eigentlich unter Strafe steht, kann nicht einfach so abgerechnet werden. Da gibt es Unmengen zusätzlicher Formulare. Das wiederum sorgt auch für schlechteren Zugang zu Abbrüchen, weil die Ärztinnen und Ärzte darauf schlicht keine Lust haben.

Wie müsste der Zeitplan aussehen, damit das Gesetz noch beschlossen werden kann?

Wir haben den Antrag fristgerecht eingereicht und innerhalb von zweieinhalb Stunden Unterschriften gesammelt. Laut Geschäftsordnung haben wir nun das Recht, das Gesetzesvorhaben innerhalb von drei Kalenderwochen im Bundestag einzubringen. Das wäre dann in der ersten Dezemberwoche.  

Die Regierung will vor der Neuwahl am 23. Februar auch das Gesetz zum Schutz vor Frauen gegen Gewalt beschließen. Ist das überhaupt machbar?

Wir kämpfen für das Gewalthilfegesetz. Am 27. November wird es im Kabinett beschlossen. Der Lagebericht aus dem Innenministerium hat gezeigt, dass die Femizid-Raten in Deutschland weiter gestiegen sind. Vor drei Jahren wurde jeden dritten Tag in Deutschland eine Frau von ihrem Partner oder Expartner ermordet, ein Jahr später war es jeden zweiten Tag und inzwischen sind wir bei fast jedem Tag. Wir haben 360 tote Frauen im Jahr. Es besteht also ein Handlungsdruck für alle und ich erwarte, dass das Gewalthilfegesetz so schnell wie möglich umgesetzt wird und auch, dass die Union dem zustimmt.

Die Zeit ist knapp. Welche anderen familien- oder frauenpolitische Vorhaben wünschen Sie sich für die verbleibende Legislaturperiode?

Grundsätzlich ist in dieser Legislaturperiode frauenpolitisch leider nicht wahnsinnig viel passiert. Das Gewalthilfegesetz ist lange ins Stocken geraten, dafür haben wir das Werbeverbot für Abtreibungen in Paragraf 219a gestrichen und Frauen und Beschäftigte besser vor Gehsteigbelästigungen durch Abtreibungsgegner geschützt. Ich fände es großartig, wenn wir noch eine Gesetzesänderung durchsetzen könnten, die Frauen mit einer Fehlgeburt einen gestaffelten Mutterschutz bietet. Damit sind alle einverstanden, das wäre also machbar. Auch zum Kinderschutz kann noch was gehen. Es ist eine besondere Zeit, sich plötzlich ganz andere Mehrheiten suchen zu müssen.

 

Geschichte der Abtreibungsdebatte

Der Streit um eine Legalisierung von Abtreibungen läuft schon seit Jahrzehnten. Den Paragrafen 218 im Strafgesetzbuch gibt es schon seit 1871 – seitdem steht also jede Abtreibung grundsätzlich unter Strafe. Seit 1927 sind aber Abbrüche aus medizinischen Gründen erlaubt. In den 1970ern nahm das Thema große Fahrt auf, als sich im „Stern"-Magazin 374 Frauen – unter ihnen Prominente wie Schauspielerin Romy Schneider – dazu bekannten, schon einmal abgetrieben zu haben. Das war damals nur im Ausland möglich und damit abhängig von finanziellen Mitteln. 

Die Regierungskoalition aus SPD und FDP führte daraufhin erstmals die heute geltende Fristenregelung ein, nach der Abtreibungen in den ersten drei Monaten straffrei bleiben, wenn sich die Frau zuvor hat beraten lassen. Das Gesetz wurde nach einer Klage der Union 1975 vom Bundesverfassungsgericht gekippt. Die Reformbestrebungen liefen erst nach der Wiedervereinigung wieder an. Denn in der DDR galt die Fristenregelung bereits seit 1972. Ein Vorschlag für eine gesamtdeutsche Regelung wurde 1992 zunächst erneut vom Verfassungsgericht gekippt, seit 1995 gilt die Regelung nach heutiger Form: Schwangerschaftsabbrüche sind strafbar, werden aber bis zur zwölften Woche nicht geahndet, wenn eine Beratung bescheinigt werden kann. 

Autor*in
Lea Hensen
Lea Hensen

ist Redakteurin des „vorwärts“.

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