Vor den Neuwahlen: Wie ein neuer Antrag doch noch Abtreibungen legalisieren will
Auf den letzten Metern der Legislatur holt ein Antrag die Abtreibungsdebatte zurück in den Bundestag. Die Initiatorinnen halten die Neuregelung von Schwangerschaftsabbrüchen noch vor den Neuwahlen im Februar für möglich.
IMAGO / Panthermedia
Abtreibungen könnten laut einer Gruppe von Abgeordneten in dieser Legislatur noch legalisiert werden.
Der Zeitraum ist knapp, doch sie wollen es schaffen: Abgeordnete aus den Fraktionen von SPD, Grünen, Linken und dem Südschleswigschem Wählerverbund (SSW) wollen noch vor den Neuwahlen Abtreibungen in Deutschland legalisieren. Die Gruppe hat dazu am Donnerstag einen Antrag gestellt, der innerhalb von nur zwei Stunden mehr als 230 Unterstützende fand. Nach dem Willen der Initiatorinnen soll der Bundestag noch im Dezember über den Vorstoß beraten. Ein Gesetzesentwurf könnte dann noch in dieser Legislaturperiode beschlossen werden – also vor dem 23. Februar 2025. Die Initiatorinnen verwiesen auf positive Signale aus den Fraktionen von Union und FDP.
Der Antrag will Schwangerschaftsabbrüche außerhalb des Strafgesetzes regeln. „Die Regelung im Strafrecht bringt zum Ausdruck, dass ein selbstbestimmter Schwangerschaftsabbruch Unrecht ist. Das halten wir für nicht vereinbar mit den Grundrechten der Schwangeren“, sagte SPD-Rechtspolitikerin Carmen Wegge. Abtreibungen sind in Deutschland im Paragraf 218 des Strafgesetzbuches geregelt – damit sind sie grundsätzlich strafbar. Frauen werden allerdings nicht geahndet, wenn sie den Abbruch in den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft vornehmen und sich zuvor beraten lassen. Abtreibungen nach Vergewaltigungen und bei einer medizinischen Gefahr sind straffrei.
Zeitraum und Beratungspflicht sollen bleiben
Über die Abschaffung des Paragrafen 218 wird schon seit Jahren gestritten. Der neue Gesetzesentwurf hält daran fest, dass Abtreibung nur in den ersten drei Monaten rechtmäßig sind. Auch wäre eine Beratung weiter verpflichtend. Zwischen Beratung und Abtreibung müsste aber keine Wartezeit von Minimum drei Tagen liegen. Wird eine Abtreibung ohne Beratung durchgeführt, soll sich nur der Arzt oder die Ärztin strafbar machen – und nicht die Frau. Auch sollen die Krankenkassen die Kosten für den Abbruch tragen.
Ulle Schauws (Bündnis 90/Die Grünen) nannte den Antrag einen „Meilenstein für die Selbstbestimmung von Frauen“. SPD-Politikerin Carmen Wegge sagte: „Wir entkriminalisieren Frauen.“ Mit dem Gesetzentwurf solle das Selbstbestimmungsrecht der Frau und der Schutz des ungeborenen Lebens in Einklang gebracht werden. Die Versorgungslage für ungewollt schwangere Frauen sei in Deutschland dramatisch. Dadurch würden nicht weniger Abbrüche vorgenommen – aber Frauen würden im Zweifel medizinisch unsichere Angebote wahrnehmen. Viele würden auf Angebote im Ausland ausweichen. Laut der Elsa-Studie haben 4,5 Millionen Menschen in 85 Landkreisen in Deutschland kein Angebot für einen Schwangerschaftsabbruch in der Nähe ihres Wohnortes. Die Hälfte dieser Landkreise liegt demnach in Bayern.
Laut den Antragstellerinnen hält die grundsätzliche Strafbarkeit Ärzt*innen davon ab, Schwangerschaftsabbrüche anzubieten. Die Zahl der Praxen, die Abbrüche anbieten, habe sich in den vergangenen 20 Jahren fast halbiert. Die Situation würde sich verschärfen, wenn bald viele Ärzt*innen in den Ruhestand gehen. Die Elsa-Studie habe Hinweise darauf ergeben, dass bei einer teilweisen Legalisierung drei Viertel der Ärzt*innen Schwangerschaftsabbrüche anbieten wollen.
Ansprüche heruntergeschraubt
Der Vorstoß der Abgeordneten holt die Abtreibungsdebatte in den Bundestag zurück. Eine unabhängige Kommission hatte der Bundesregierung im Frühjahr empfohlen, Abtreibungen in Deutschland in den ersten drei Monaten zu legalisieren. Die Ampel-Regierung hatte diese Empfehlungen noch nicht umgesetzt. Die Unionsfraktion hatte mit einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht gedroht, sollte sie den Empfehlungen folgen.
Die Kommission empfahl dem Gesetzgeber auch, die Beratungspflicht abzuschaffen und unter Umständen auch spätere Abbrüche zu erlauben. Darauf aufbauend hatte die SPD im Sommer ein Positionspapier vorgelegt, das eine Frist für legale Abtreibungen aber nicht näher definierte. „Der Bruch der Ampel hat uns ein Stück weit die Füße weggehauen“, sagte Leni Breymaier, frauenpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, am Donnerstag. Deswegen habe man die Ansprüche heruntergeschraubt, um den Antrag anschlussfähig zu machen. Das Wichtigste sei nun eine Neuregelung außerhalb des Strafgesetzesbuches.
„Wir haben eine Chance, dieses Gesetz durchzubekommen"
Nach dem Ampel-Aus ringt die rot-grüne Minderheitsregierung um eine Reihe von Gesetzesprojekten. Um diese noch vor den Neuwahlen durchzubekommen, braucht sie Stimmen aus der Opposition. Für die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen könnte sie die bekommen, sagten die Antragstellerinnen am Donnerstag. Bis zum Nachmittag hatten noch keine Angehörigen von Union und FDP den Antrag unterschrieben, man habe aber im Vorfeld Signale für eine Zustimmung erhalten. „Wir haben eine Chance, dieses Gesetz durchzubekommen. Wenn wir diese Chance nicht sehen würden, hätten wir es nicht gemacht“, sagte Breymeier. Die Fraktionen von SPD, Grünen und Linken hätten zusammen 352 Stimmen im Bundestag – für eine Mehrheit bräuchte es 15 Stimmen mehr. Vor dem Ampel-Bruch hatten auch Abgeordnete aus der FDP-Fraktion das Vorhaben unterstützt.
Neben der Neuregelung von Schwangerschaftsabbrüchen sieht der Antrag unter anderem vor, dass die Krankenkassen die Kosten für Verhütungsmittel wie die Pille bis zum Ende des 22. Lebensjahres übernehmen. Abtreibungen sollen besser in die Ausbildung von Ärzt*innen integriert werden.