Inland

Fortschritte in der Frauenpolitik: „Deutschland muss zum Treiber werden“

Mit dem Erstarken des Rechtspopulismus in Europa werden zunehmend Frauenrechte infrage gestellt. Wo Deutschland jetzt Zeichen setzen kann, erklärt SPD-Politikerin Leni Breymaier im Interview.

von Vera Rosigkeit · 7. März 2024
Leni Breymaier

Leni Breymaier ist Sprecherin der Arbeitsgruppe Familie, Senioren, Frauen und Jugend in der SPD-Bundestagsfraktion

Mit Blick auf den diesjährigen Weltfrauentag: Wo sehen Sie heute die größten Herausforderungen?

Zum einen geht es darum, Frauen durch die paritätische Besetzung von Parlamenten und anderen Gremien gleichstellungspolitisch voranzubringen. Es geht auch darum, Gewalt gegen Frauen zurückzudrängen und den Opfern zu helfen. Und es geht darum, Sorgearbeit gerechter zu verteilen und nicht zuletzt um die reproduktive Selbstbestimmung. Das ist ein Teil der Kraft, den die aktiven Frauen einbringen.

Ein anderer Teil der Kraft geht in das Abwehren antifeministischer Aktivitäten weltweit und in Deutschland. Aktivitäten, die alles infrage stellen, was erreicht wurde und dabei auch sehr aggressiv unterwegs sind, um die Dinge zurückzudrängen. 

Können Sie ein Beispiel nennen?

Ein Beispiel ist diese elende Diskussion über die Sprache und über das Gendersternchen. Nach aller Rechtsprechung und Lebenswirklichkeit gibt es eben nicht nur Frauen und Männer, sondern allerlei dazwischen. 

Dass der Versuch, dass sprachlich aufzunehmen, eine solche Welle an Aggressionen auslöst, ist unfassbar. Auch, wenn man sieht, was die Politik daraus macht, zum Beispiel der bayerische Ministerpräsident oder der Innenminister in Baden-Württemberg. Die könnten auch einfach sagen, lasst die Leute doch machen, anstatt diese rechtspopulistischen Bälle aufzunehmen und sie damit noch zu vergrößern.

Ein anderes Beispiel ist, dass das Recht auf Abtreibung weltweit massiv infrage gestellt wird. Frankreich ist hier eine hoffnungsvolle Ausnahme. 

Wir haben vor knapp zwei Jahren in den USA gesehen, wie schnell im Supreme Court mit konservativer Mehrheit die fast 50 Jahre alte Regelung für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch aufgelöst wird. 

Das Gleiche haben wir in Polen gesehen, wo seit 2020 Abtreibungen praktisch nicht mehr möglich sind. Und parallel dazu Sexualaufklärung an Schulen verboten ist und keine Verhütungsmittel für junge Leute unter 18 Jahren verschrieben werden dürfen. Zeitgleich gab es in Deutschland die gleiche Intention, als plötzlich Ärztinnen und Ärzte verklagt wurden, weil sie auf ihrer Internetseite darüber informiert haben, dass sie Abtreibungen vornehmen. 

Das war die Debatte zum Paragrafen 219a?

Richtig. Das haben wir abgewehrt und den Paragrafen 219a schon zu Beginn der Ampelregierung gestrichen. Aber die Debatte hat Jahre gedauert, sie hat Ärzt*innen und Mitarbeiter*innen von Beratungsstellen verunsichert. 

Und nun haben wir eine neue Bewegung von singenden, betenden und Fotos von Föten hochhaltenden Menschen vor Beratungsstellen und Abtreibungskliniken stehen. Jetzt müssen wir auf diese sogenannte Gehsteigbelästigung reagieren und sie verbieten. Es sind Bewegungen unterwegs, die nicht spontan sind, sondern organsiert und auch mit Geld hinterlegt. Da müssen wir wachsam sein und uns fragen, wo diese vielen Gelder für diese massiv antifeministische Aktivitäten herkommen.

Sind diese Bewegungen Teile rechtspopulistischer Kräfte?

Die Frage ist hier, was zuerst da war: Sind sie eine Auswirkung des Rechtspopulismus oder sind sie Teil dessen? Menschen, die frauenfeindlich sind in dem Sinne, dass sie Frauen einen bestimmten Platz in der Gesellschaft zuweisen, vorzugsweise zu Hause und in der Sorgearbeit für die Familie, fühlen sich durch diese Bewegungen auf jeden Fall gestärkt. 

Radikale Abreibungsgegner*innen stehen nicht zum ersten Mal in Frankfurt am Main vor der Beratungsstelle pro familia. Die Bundesregierung hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, der sogenannte Gehsteigbelästigung als Ordnungswidrigkeit einstuft. Reicht das?

Wir haben uns beim Gesetz mit Jurist*innen und Mitarbeiter*innen von Beratungsstellen abgestimmt. Auch ich dachte zunächst, dass das ins Strafrecht gehört. Nun ist es eine Ordnungswidrigkeit und Jurist*innen sagen, dass das reicht. Als Ordnungswidrigkeit kann die Gehsteigbelästigung mit einem Bußgeld sanktioniert werden. Es geht ja darum, als Gesellschaft ein Zeichen zu setzen. 

Wenn der Gesetzgeber wie im Paragraf 218 festgeschrieben verlangt, dass sich Frauen im Fall eines Schwangerschaftskonfliktes und möglichen Schwangerschaftsabbruchs beraten lassen müssen, muss auch dafür gesorgt werden, dass sie nicht psychisch unter Druck gesetzt werden. 

Nebenbei bemerkt macht pro familia nicht den ganzen Tag Abtreibungsberatung, sondern berät auch Menschen in Sachen Familienplanung, beispielsweise bei einen nicht erfüllten Kinderwunsch.

Vor einem Jahr wurde auf Grundlage des Koalitionsvertrages die Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin ins Leben gerufen. Es geht um die Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch. Liegen bereits Ergebnisse vor?

Die Kommission wird ihre Ergebnisse voraussichtlich im April vorlegen. Wir haben innerhalb unserer Bundestagsfraktion eine Begleitgruppe gegründet. 

Die SPD hatte im Wahlprogramm  festgelegt, dass Schwangerschaftskonflikte nicht ins Strafgesetzbuch gehören. Seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts 1993 haben wir in Deutschland aber nicht mehr über Abtreibungen diskutiert. Das ist deshalb sträflich, weil langsam Ärztinnen und Ärzte, die sich dafür entschieden haben, Abtreibungen vorzunehmen, Stück für Stück in Rente gehen. Damit haben wir in Deutschland inzwischen eine sehr schlechte Versorgungslage. 

Frauen in Bayern und Baden-Württemberg fahren Hunderte von Kilometern, um an die Beratung zu kommen und dann auch, um den Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen. Unsere Begleitgruppe, bestehend aus Abgeordneten der Arbeitsgruppen Familie, Gesundheit und Recht, befasst sich mit dem Paragafen 218 und die für uns schwierigeren Fragen der Leihmutterschaft und Eizellenspende. Da kommt eine große Debatte auf uns zu. Ich hoffe, dass wir sie solidarisch führen können.

Mit Blick auf die Koalition: Wo sehen Sie frauenpolitische Fortschritte, was fehlt?

Je konservativer und rechtspopulistischer sich Europa aufstellt, desto mehr könnte Deutschland jetzt Zeichen setzen. Gleichstellungspolitisch haben wir immer von Europa profitiert. Wir wurden getrieben. Jetzt sollten wir die Rolle wechseln und zum Treiber werden, sowohl bei Abtreibung als auch bei Parität. 

Es gibt ein paar Sachen, die sind in der Koalition einfach klar: Die Abschaffung des 219a war gleich fertig und auch bei mehr Gewaltschutz und Frauenhäuser sind wir uns einig. Aber das kostet natürlich auch Geld. 

Trotzdem müssen wir als SPD in dieser Koalition möglichst viel umsetzen und uns gleichzeitig fragen, was wir jenseits der Ampel-Koalition frauenpolitisch erreichen wollen. Das muss sich im nächsten Wahlprogramm wiederfinden. Die SPD hat hier historisch und gesellschaftspolitisch eine hohe Verantwortung und eine hohe Glaubwürdigkeit. 

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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