Abtreibungsverbot in Polen: Abrechnung bei den nächsten Wahlen?
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Am 27. Januar veröffentlichte das polnische Verfassungsgericht die Begründung für ihr Urteil zum Abtreibungsrecht vom Oktober letzten Jahres. Damit wurde das Urteil – das die Abtreibung wegen schwerer gesundheitlicher Schädigung des Fötus für verfassungswidrig erklärte – rechtskräftig. Die gesellschaftlichen Reaktionen ließen nicht auf sich warten: in den folgenden Tagen kam es wieder zu großen Demonstrationen gegen diese De-Facto-Abschaffung der legalen Schwangerschaftsunterbrechung in Polen. Allerdings haben diese Proteste bisher nicht die Größenordnung der Demonstrationen im Oktober und November erreicht. Auch die Analyse von Nutzerdaten in den sozialen Medien signalisiert ein deutlich geringeres Interesse als vor drei Monaten.
Geringere Proteste als im Herbst
Über die Gründe hierfür kann im Moment nur spekuliert werden. Vermutlich ist die Entwicklung der Covid19-Pandemie in den letzten Wochen dann doch nicht ohne Auswirkung auf das Verhalten auch junger Menschen geblieben. Auch in Polen war die zweite Welle deutlich stärker und tödlicher als die erste. Wer die Pandemie im Oktober noch nicht so richtig ernst genommen hatte, sah sich nach Wochen steigender Infektions- und Sterbezahlen möglicherweise eines Besseren belehrt.
Hinzu kommt der Winter, der in den letzten Tagen Schneefall und Temperaturen unter Null mit sich brachte – alles zusammen keine idealen Bedingungen für Demos mit Happening-Charakter wie im Herbst. Möglicherweise zahlt aber die Streikbewegung nun die Rechnung für ihr politisch nicht sehr kluges Verhalten im Herbst: Aus Protesten gegen eine Gerichtsentscheidung versuchte die Bewegung des „Allpolnischen Frauenstreiks“ unter Führung der Breslauer Aktivistin Marta Lempart eine Art „regime change“-Bewegung zu machen. Das entsprach vermutlich dann eben doch nicht der Stimmungslage eines Teils der Protestierenden – und mit Sicherheit nicht dem der schweigenden Mehrheit der Pol*innen, die keine Verschärfung der Abtreibungsgesetzgebung möchte, aber eben auch keine parteipolitische und ideologische Aufladung dieser Frage.
Unterstützung für Familien gefordert
Allerdings ist das letzte Wort in dieser Frage noch nicht gesprochen. Erst die nächsten Tage werden zeigen, ob es der Protestbewegung gelingt, eine ähnliche Dynamik wie im Herbst zu entwickeln. Sehr wahrscheinlich ist dies allerdings nicht. Die Gesellschaft wartet eher auf den nächsten Zug des Regierungslagers. Vermutlich wird dieser in Form von Unterstützungs- und Fördermaßnahmen für Familien mit behinderten Kindern kommen – bisher betrafen ca. die Hälfte der legalen Abtreibungen die Diagnose Trisomie, davon mehr als die Hälfte die Diagnose Trisomie 21, also das Down-Syndrom.
Die linke Oppositionsfraktion Lewica will dagegen möglichst bald einen Gesetzentwurf zur Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruch in den Sejm einbringen. Dies betrifft nicht die abtreibenden Frauen, sondern die Ärzt*innen, die den Eingriff durchführen und die nach der bestehenden Gesetzgebung diejenigen sind, die strafrechtlich verantwortlich sind. Dass dieser Antrag eine Mehrheit findet, ist äußerst unwahrscheinlich, aber er zwingt vor allem die zur EVP gehörende bürgerlich-liberale Oppositionspartei PO dazu, sich in der Sache klar zu positionieren.
Abrechnung bei den kommenden Wahlen?
Wirklich abgerechnet werden wird in dieser Frage aber vermutlich erst bei den nächsten Wahlen. Die PiS hat in der Folge des Abtreibungsurteils und des zuletzt eher durchmischten Managements der Corona-Krise deutlich an Unterstützung verloren. Ihre Umfragewerte fielen von 44 Prozent im September auf 35 Prozent Ende Januar. Vor allem bei den Jungwähler*innen und der urbanen akademischen Mittelschicht dürfte die Partei nach der Abtreibungsentscheidungen keinen Fuß mehr auf den Boden bringen. In einer Sache hat Marta Lempart nämlich Recht: „Diejenigen, die heute im Polizeikessel tanzen, werden einst regieren“. Die PiS verliert mit diesem bedingungslos an den Positionen des Vatikans orientierten Urteil noch mehr als bisher die Unterstützung der zukünftigen Funktionseliten des Landes.