Mehr Frauen in die Parlamente: Warum es Parität im Wahlgesetz braucht
Erik_AJV - stock.adobe.com
Sie sind Mitglied der Wahlrechtskommission, die Vorschläge für eine Verkleinerung des Bundestages vorlegen soll und gleichzeitig auch über Möglichkeiten berät, den Anteil an Frauen im Deutschen Bundestag zu erhöhen. Wie ist aktuell der Stand der Debatte?
Der aktuelle Stand ist, dass die eine Hälfte der Kommission davon überzeugt ist, dass ein Paritätsgesetz verfassungsrechtlich möglich ist, die andere Hälfte es für nicht verfassungskonform hält. Solange man sich allerdings hinter Fragen der Verfassungskonformität versteckt, kommt man nicht weiter. Meiner Meinung nach muss man sich erst einmal entscheiden, was man politisch erreichen will. Und wenn man den Willen hat, dass Frauen paritätisch im Deutschen Bundestag vertreten sein sollen, dann gibt es sicherlich auch rechtskonforme Wege, dieses Ziel umzusetzen.
Wie könnte ein Paritätsgesetz aussehen?
Tatsächlich könnten wir ein solches Gesetz ins Wahlrecht einbauen, so wie es Frankreich, Spanien und andere Länder auch gemacht haben. Die Juristin Silke Laskowski und ich haben einen Vorschlag gemacht, der sowohl die Verkleinerung als auch die Parität gut in den Griff bekommen würde – ein regionalisiertes und personalisiertes Verhältniswahlrecht. Es handelt sich dabei um das System, das in den skandinavischen Ländern angewandt wird; in Deutschland übrigens auch bei den Landtagswahlen im Saarland. Es ein reines Verhältniswahlrecht: Das Wahlgebiet wird in sog. Mehrpersonenwahlkreise eingeteilt. Zuerst wird ermittelt wieviele Mandate einer Partei bundesweit zustehen, und dann wieviele Mandate jeder Partei in den Mehrpersonenwahlkreisen zustehen. Es gibt eine Stimme, mit der man eine Partei wählt. Sind die Listen alternierend besetzt, kommt annähernd Parität im Parlament zustande.
In einigen skandinavischen Ländern ist es möglich mit sog. Präferenzstimmen die Reihenfolge der von den Parteien vorgeschlagenen Listen zu verändern. Im Saarland, wo die SPD ihre Listen nach dem Reißverschlussprinzip besetzt hat, hatten wir bei der Konstituierung des Landtages zunächst einen Mann mehr in der SPD-Fraktion. Nach der Regierungsbildung ist eine Frau nachgerückt und jetzt sind in erstmals mehr Frauen als Männer in der saarländischen SPD-Fraktion. Hätten die anderen Parteien das ebenfalls so gehandhabt, hätten wir im saarländischen Landtag einen Frauenanteil von um die 50 Prozent.
Wie sähe das Modell aus, wenn wir beim jetzigen Wahlsystem bleiben?
Wenn wir beim jetzigen System bleiben, in dem die Hälfte der Mandate über Wahlkreise, die andere Hälfte über Listen ermittelt werden, muss für Listen- und Direktmandate Parität sichergestellt werden. Bei den Listen geht das einfach mit alternierenden Listen. Das kann man i im Wahlrecht als Voraussetzzung für die Einreichung der Listen verankern. Bei den Direktmandaten könnte mandie Anzahl der Wahlkreise halbieren, aber künftig würden dann zwei Abgeordnete pro Wahlkreis gewählt werden: der Mann mit den meisten Stimmen sowie die Frau mit den meisten Stimmen. Für diverse Personen kann man auch Regelungen finden.
Das würde aber bedeuten, dass alle Parteien verpflichtet würden, ihre Listen per Reißverschlussprinzip zu besetzen?
Genau. Das wäre ein Eingriff in die Freiheit der Parteien, was man verfassungsrechtlich auch gut begründen muss. Das ist aber möglich. Bislang hat das Bundesverfassungsgericht in der Sache ja noch nicht entscheiden. Insofern wäre es zur Zeit das wichtigste, eine Entscheidung aus Karlsruhe zu haben. Um die zu bekommen, müsste man aber erst einmal eine Regelung im Wahlrecht verankern.
Klingt nach Henne oder Ei?
Unser Vorschlag ist, das Wahlgesetz so zu ändern, dass die Regelungen zur Verkleinerung ab der kommenden Wahlperiode gelten und die zur Parität mit Wirkung für die übernächste Wahlperiode. Dann hätte das Bundesverfassungsgericht ausreichend Zeit, hier ein Urteil zu fällen, ohne dass die Verkleinerung gefährdet wäre. Obwohl ich davon ausgehe, dass auch die in Karlsruhe landen wird.
Welche Chancen räumen Sie einem Paritätsgesetz innerhalb der Kommission ein?
Die Kommission hat den Auftrag verfassungskonforme Vorschläge zu erarbeiten. Sowohl die Grünen, als auch die Linke und die SPD sehen durchaus Möglichkeiten, ein Paritätsgesetz verfassungskonform einzuführen. Leider gibt es aktuell aber keine Einigung in der Ampel-Koalition dazu.
Parallel zur Arbeit der Kommission hat die Initiative „Parität jetzt!“ eine Kampagne für ein Paritätsgesetz gestartet. Die Akteur*innen sprechen von einem „historischen Zeitfenster“. Was ist gemeint?
Ziel dieser Kampagne ist, in dem anstehenden Gesetzgebungsverfahren zur Verkleinerung des Bundestages auch Paritätsregelungen zu verankern. Das Zeitfenster dafür ist jetzt! Man kann sich ja durchaus darauf verständig, dass die Regelungen zur Parität erst für die übernächste Wahlperiode wirksam werden. Wenn die Wahlrechstreform beschlossen ist, ist das Zeitfenster zu. Nur für den Fall, dass das Bundesverfassungsgericht die Verkleinerung nicht so akzeptieren sollte, wie sie geplant wird, gäbe es noch eine Chance. Darauf würde ich mich nicht verlassen wollen. Wenn es uns in dieser Wahlperiode nicht gelingt, Parität im Wahlrecht zu verankern, wird es so schnell keine Gelegenheit mehr geben.
Wenn es gelingt, müssten dann in Zukunft auch mehr Frauen kandidieren oder woran liegt es, dass ihr Anteil im Bundestag unter 34 Prozent liegt?
Das liegt nicht in erster Linie am Wollen der Frauen, sondern am Dürfen. Wenn in den Wahlkreisen deutlich weniger Frauen kandidieren, sagt das ja noch nichts darüber aus, wieviele Frauen sich innerparteilich um ein Mandat bemüht haben. Und Frauen werden auch nicht immer in den gewinnbaren Wahlkreisen nominiert. Nur etwa ein Viertel der direkt gewählten Abgeordneten sind Frauen obwohl gut ein Drittel der direkt Kandidierenden Frauen sind.. Dies lässt die Vermutung zu, dass Frauen tendenziell eher in Wahlkreisen kandidieren dürfen, die nicht so gut gewinnbar sind.
Auch in dieser Wahlperiode liegt der Frauenateil mit gerade einmal 34 Prozent unter dem Anteil der vorletzten Wahlperiode. Grund dafür sind die fehlenden verbindlichen innerparteilichen Regelungen bei CDU, CSU, FDP und AFD und der extrem niedrige Anteil von Frauen bei den Direktmandaten.Dieses Schneckentempo muss endlich aufhören!
*Elke Ferner ist Mitglied im Vorstand des Deutschen Frauenrates. Von 2013 bis 2017 war sie Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Ferner war Mitglied im SPD-Parteivorstand sowie ASF Bundesvorsitzende.
node:vw-infobox
hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.