Geschichte

Georg von Vollmar: Vom Söldner zum ersten Vorsitzenden der Bayern-SPD

Von „Isten“ und „Anern“ hielt er nichts. Georg von Vollmar reichte es, Sozialdemokrat zu sein. Als Vorsitzender gelang es ihm, die SPD in Bayern zu einem Machtfaktor zu machen, auch wenn er – einer Familientradition folgend – zunächst eine andere Laufbahn eingeschlagen hatte.

von Lothar Pollähne · 10. März 2025
Bayerischer „Realpolitiker“: Georg von Vollmar in Lodenjacke und Lederhose vor seinem Haus in Sojensass am Walchensee

Bayerischer „Realpolitiker“: Georg von Vollmar in Lodenjacke und Lederhose vor seinem Haus in Sojensass am Walchensee

1899 erschüttert ein Buch die deutsche Sozialdemokratie: Eduard Bernsteins Schrift „Die Voraussetzungen des Sozialismus und die Aufgaben der Sozialdemokratie“. Bernstein vollzieht darin die Abkehr von der bis dahin gültigen Auffassung, der Sozialismus sei eine historische Notwendigkeit. Das ist purer Revisionismus und der SPD-Vorsitzende August Bebel ist angefressen. Bernstein will er „biegen oder brechen“. Die Gelegenheit dazu bietet sich im Oktober des Jahres auf dem Parteitag in Hannover, den Bebel mit einem sechsstündigen Referat zum Thema „Die Angriffe auf die Grundanschauungen und die taktische Stellungnahme der Partei“ eröffnet.

Aus München meldet sich der Vorsitzende der bayrischen SPD, Georg von Vollmar, zu Wort: „Das Bestreben, augenblicklich anerkannte Lehrmeinungen zu Dogmen zu stempeln und die an ihnen Zweifelnden als Ketzer zu behandeln, ist mit den Grundsätzen des Sozialismus unvereinbar. Die unbedingte Freiheit der Forschung und Kritik ist das Recht jedes Parteigenossen.“ Vollmar gilt fortan als Parteigänger Bernsteins und damit als Revisionist. Das ist nur bedingt richtig. Nach der Lektüre des Bernstein-Buches erklärt er pragmatisch: „Das, was uns an dem Buch gefällt, nehmen wir, und was uns nicht passt, das legen wir als Irrtum bei Seite, so wie wir es mit anderen Büchern machen.“

„Mir genügt es vollkommen, dass ich Sozialdemokrat bin.“

Eduard Bernstein wird schließlich weder gebogen noch gebrochen und der Revisionismus-Streit setzt sich bis zum Dresdner Parteitag 1903 fort. Wieder wettert Bebel gegen Bernstein und die Revisionisten – und Georg von Vollmar hält dagegen. Dabei erweist sich der bayerische Individualist als Querkopf: „Was mich betrifft, so habe ich mich sicherlich weder jemals als einen Bersteinianer noch einen Bebelianer bezeichnet, ja nicht einmal einen Marxisten genannt; ich habe keine Neigung und kein Talent zu solchen ‚Isten‘ und ‚Anern‘, und mir genügt es vollkommen, dass ich Sozialdemokrat bin.“ Das ist ganz schön mutig für einen Adligen, der nach abenteuerlichen Jahren als Heranwachsender 1869 zur Sozialdemokratie findet.

Geboren wird er am 7. März 1850 in München als Georg Carl Joseph Heinrich Edler und Ritter von Vollmar auf Veltheim. Sein Vater Anton ist geheimer Registrator im bayerischen Innenministerium, seine Mutter Karoline ist Tochter eines höheren Finanzbeamten. Georgs Weg in den Staatsdienst scheint damit vorgezeichnet. Er besucht die Lateinschule der Benediktiner in Augsburg und erhält eine streng katholische Erziehung. Nur mit dem Latein hapert es. Wegen schlechter Zensuren wird er nicht zum Gymnasium zugelassen.

Söldner in der päpstlichen Armee in Rom

Stattdessen strebt der junge Vollmar, einer anderen Familientradition folgend, eine militärische Laufbahn an und tritt 1865 als „Freiwillig Gemeiner“ in die bayerische Armee ein. 1866 nimmt er als Unterleutnant am Krieg gegen Preußen teil. Im Jahr darauf quittiert er den Dienst und verpflichtet sich 1868 als Söldner in der päpstlichen Armee in Rom. Auch dieses Dienstverhältnis dauert nicht lange. Vollmar weigert sich aus christlicher Überzeugung, einen Hinrichtungsbefehl der päpstlichen Behörden auszuführen. Die „Korruption des Pfaffentums“ ist ihm zuwider. Über diese kurze Episode in seinem Leben notiert er später: “Herrschsucht, Stolz, Heuchelei, Lüge, Betrug, Gewalttat, Verschwendung und Unsittlichkeit rangen um den Ehrenpreis.“

Aus patriotischem Überschwang nimmt der inzwischen zum Sozialdemokraten gewordene Georg von Vollmar 1870 als „Kriegstelegraphenbeamter“ am Feldzug gegen Frankreich teil. Nach einer Verwundung —unter ungeklärten Umständen wird ihm der linke Fuß durchschossen — kehrt Vollmar als Invalide heim. Fortan kann sich der fast zwei Meter große Hüne nur mühsam an Krücken vorwärts bewegen. Vollmar nutzt die Zeit der Rekonvaleszenz zum Studium historischer und philosophischer Werke.

August Bebel ist beeindruckt

Versehen mit einer auskömmlichen Invalidenpension wendet er sich dem Journalismus zu und schreibt für demokratische Blätter. Auch Wilhelm Liebknechts „Volksstaat“ druckt seine Artikel. 1877 erhält Georg von Vollmar seine erste Redakteursstelle beim Dresdner „Volksboten“. Dort fällt er vor allem durch seine drastische, agitatorische Sprache auf, die ihm eine zehnmonatige Freiheitsstrafe einträgt. August Bebel ist so beeindruckt von dem jungen Mann, dass er ihm 1879 die Redaktionsleitung des Parteiorgans „Sozialdemokrat“ überträgt, das wegen der Sozialistengesetze in Zürich erscheinen muss.

Mit Bebels Rückendeckung schreibt Georg von Vollmar scharf und entschieden gegen die Zustände im Kaiserreich an. Revolutionär wettert er gegen das Regime Bismarcks: „Die heutigen politischen und wirtschaftlichen Herrscher Deutschlands wollen keine Unterhandlung, keine Verständigung, sondern den Krieg, den Vernichtungskampf. Gut, wenn sie ihn wollen, sollen sie ihn haben, und voll und ganz haben. Die Verantwortung auf ihre Häupter.“ Das ist selbst August Bebel zu viel des Revolutionären. Mehr gedrängt, denn gewollt, zieht sich Vollmar bereits nach einem Jahr aus der Redaktion des „Sozialdemokrat“ zurück. 

Wandlung zum „Realpolitiker“

1881 kandidiert Georg von Vollmar im Wahlkreis Sachsen 15 Mittweida für den Reichstag — und wird gewählt. Auch dort fällt er durch seine revolutionäre Sprachgewalt auf. „Der Sozialismus ist heute in der Tat keine Frage der Theorie mehr, sondern einfach eine Machtfrage, die in keinem Parlament, die nur auf der Straße, auf dem Schlachtfeld gelöst werden kann.“ Das beeindruckt sogar Bismarck, der prüfen lässt, ob Vollmar nicht die Invalidenpension entzogen werden kann. 

Ab 1884 vertritt Georg von Vollmar den Wahlkreis München II im Reichstag, den er, von einer kurzen Unterbrechung abgesehen, bis 1918 innehat. In Bayern macht er die Erfahrung, dass mit revolutionärer Rhetorik keine Wählerstimmen zu gewinnen sind. Vollmar wandelt sich zum „Realpolitiker“ und setzt auch äußerlich Zeichen. In Lodenjacke und Lederhose gewandet, kann er selbst bei den eher konservativen Bauern Gehör finden. In diesen Jahren verkörpert Georg von Vollmar in Bayern die Sozialdemokratie, der er von 1894 bis 1918 als erster Vorsitzender dient.

Im Rollstuhl ins Parlament

Es gelingt ihm, die bayerische SPD innerhalb der Gesamtpartei zu einem realpolitischen Machtfaktor auszubauen mit dem Ziel, die gegebene Gesellschaftsordnung zu nutzen, um Verbesserungen wirtschaftlicher und sozialer Art herbeizuführen. Die Eroberung der Staatsmacht durch den revolutionären Umsturz lehnt er nun entschieden ab, denn „es könnte der deutschen  Sozialdemokratie  gar nicht Unglückseligeres passieren, als dass sie vorzeitig in die Lage käme, die politische Macht zu übernehmen. (…) Wir wollen die Macht nicht durch künstliche Mittel, sondern durch innere Notwendigkeit gewinnen, die allein Unwiderstehlichkeit und sicheren Erfolg verbürgt“.

1903 verschlimmert sich Georg von Vollmars Gesundheitszustand nach einem Eisenbahnunfall. Seine Konzentrationsfähigkeit lässt nach, und das Sprechen fällt ihm schwer. Zusätzlich erlahmen seine Hände. Dennoch lässt er sich im Rollstuhl ins Parlament fahren, um den Sitzungen zu folgen, aber den großen Debattenredner Georg von Vollmar gibt es nicht mehr. Während des Weltkrieges zieht sich Georg von Vollmar nach Bayern zurück. Als Anhänger der sozialdemokratischen Burgfriedenspolitik und Propagandist eines „Siegfriedens“ reagiert er verständnislos auf die Abspaltung der „Unabhängigen“ der USPD.

1918 legt Georg von Vollmar seine politischen Ämter aus gesundheitlichen Gründen nieder. Er bleibt auch im Alter ein Verfechter der Verständigung über alle Missverständnisse hinweg. Der Sozialdemokrat, der kein ‚Ist‘ und kein ’Aner’ sein wollte, stirbt am 30. Juni 1922 in Urfeld am Walchensee. Heute sind die Parteizentrale der bayerischen SPD in München sowie ihre Stiftung für politische Bildung nach Georg von Vollmar benannt. Zudem trägt die höchste Auszeichnung der bayerischen SPD, die Georg-von-Vollmar-Medaille, den Namen ihres ersten Vorsitzenden.

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Lothar Pollähne

ist Journalist und stellvertretender Bezirksbürgermeister in Hannover.

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