Geschichte

Albert Grzesinski: Er wollte Hitler „mit der Hundepeitsche“ vertreiben

Im Berlin der 20er Jahre machte Albert Grzesinski politisch Karriere. Als Polizeipräsident und preußischer Innenminister trieb er die Demokratisierung der Polizei voran. Heute ist Grzesinski vergessen, nicht nur in der SPD.

von Lothar Pollähne · 30. Juli 2024
Militär-Experte und erbitterter Hitler-Gegner: Albert Grzesinski (l.) mit dem SPD-Politiker Carl Herz 1933 in London

Militär-Experte und erbitterter Hitler-Gegner: Albert Grzesinski (l.) mit dem SPD-Politiker Carl Herz 1933 in London

Ende März 1920 begeht die SPD einen folgenschweren Fehler. Nachdem die Gewerkschaften mit ihrem Generalstreik dem „Kapp-Lüttwitz-Putsch“ ein Ende gesetzt haben, bestehen sie auf den Rücktritt der Regierung von Gustav Bauer. Reichswehrminister Gustav Noske, der für den Putsch mitverantwortlich gemacht wird, muss seinen Hut nehmen. Am 27. März ernennt Reichspräsident Friedrich Ebert den bisherigen Außenminister Hermann Müller zum Reichskanzler, und der hat sogleich ein großes Problem: die personelle Besetzung des Reichswehrministeriums.

Otto Wels lehnt es ab, Noskes Nachfolge anzutreten, und die SPD verzichtet schließlich auf dieses wichtige Amt. Dabei steht mit Albert Grzesinski, den Philipp Scheidemann vorschlägt, ein erfahrener Militärfachmann zur Verfügung. Dieser hat vor allem ein Ziel: den demokratischen Umbau der staatstragenden Institutionen „Polizei“ und „Militär“. Die nötigen Erfahrungen hat Grzesinski seit 1919 als Staatssekretär und Leiter des Reichsabwicklungsamtes beim Abbau der kaiserlichen Heeresverwaltung gesammelt. 

Vorsitzender des Arbeiter- und Soldatenrats in Kassel

Praktische Erfahrungen im Umgang mit dem Militär macht Albert Grzesinski in Kassel während der revolutionären Tage im November 1918. Als Vorsitzender des Gewerkschaftskartells organisiert er in der nordhessischen Industriestadt die städtische Kriegsfürsorge und erwirbt sich sozialpolitisches Renommee. Dabei helfen ihm seine guten Beziehungen zur Stadtverwaltung und zur lokalen Geschäftswelt. Kassels Arbeiter*innen sind auf die kommende Revolution gut vorbereitet. Diese kommt am 9. November 1918, als 200 Soldaten aus Köln anreisen, den Bahnhof besetzen und das Militärgefängnis befreien. Noch am selben Tag konstituiert sich der Arbeiter- und Soldatenrat, und Albrecht Grzesinski wird zum Vorsitzenden gewählt.

Seine erste Maßnahme ist die Absperrung des Kasseler Bahnhofs. Soldaten dürfen ihn nur verlassen, wenn sie in Kassel wohnen oder ein berechtigtes Anliegen haben. Grzesinski gelingt dies geräuschlos, weil er für die Versorgung der Soldaten sorgt. Als der Polizeipräsident und der Oberbürgermeister die Befehlsgewalt des Arbeiter- und Soldatenrates anerkennen, ist die Revolution in Kassel eigentlich schon vorbei. Eine Bewährungsprobe steht ihr allerdings noch bevor: die Demobilisierung des deutschen Heeres, die Feldmarschall Paul von Hindenburg über Kassel abwickelt. Auch dies gelingt in der „Ruhezone der Revolution“ nahezu reibungslos.

Offenbach wird seine zweite Heimat

Albert Grzesinskis weiterer Weg ist vorgezeichnet. Er wird im Dezember 1918 zum ersten Rätekongress nach Berlin delegiert und arbeitet als Mitglied des Zentralrates der „Deutschen Sozialistischen Republik“, einer Vorform der Nationalversammlung. 1919 wird Grzesinski für den Wahlkreis 19 (Hessen-Nassau) in die verfassunggebende Versammlung des Landes Preußen gewählt und nachfolgend in den Preußischen Landtag, dem er bis zur Zerschlagung durch die Nazis 1933 angehört. Für ein uneheliches Kind aus dem vorpommerschen Städtchen Treptow an der Tollense ist dies eine beachtliche Karriere. Aber sie ist nicht untypisch für sozialdemokratische Arbeiterführer. Auch Carl Severing, Gustav Noske und Friedrich Ebert stammten aus „einfachen“ Verhältnissen. 

Geboren wird Grzesinski als Albert Karl Wilhelm Ehlert am 28. Juli 1879. Er wächst bis 1884 bei seinen Großeltern auf, danach bei seiner Mutter und seinem Stiefvater in Spandau bei Berlin. Nach dem Besuch der Volksschule erlernt Albert, der nach seiner Adoption seit 1892 „Grzesinski“ heißt, den Beruf des Metalldrückers. 1897 wird er Mitglied des Deutschen Metallarbeiter-Verbandes (DMV), zwei Jahre später tritt er der SPD bei.

Da er wegen seiner gewerkschaftlichen Tätigkeit in Berlin auf die  „schwarze Liste“ gesetzt wird, zieht Albert Grzesinski nach Offenbach. Dort beginnt im Juli 1906 seine berufliche Laufbahn als hauptberuflicher Gewerkschaftssekretär des DMV. Bereits im Jahr darauf übernimmt er die Leitung der DMV-Geschäftsstelle in Offenbach. Der Stadt, die zu seiner zweiten Heimat wird, bleibt er über sein Abgeordneten-Mandat bis zum Ende der Weimarer Republik verbunden.

Die Polizei zu einer demokratischen Institution machen

Im November 1922 ernennt der preußische Innenminister Carl Severing Albert Grzesinski zum Präsidenten des Landespolizeiamtes. Beide verbindet der Wille, die Polizei aus ihrer obrigkeitsstaatlichen Tradition zu lösen und zu einer republikanisch-demokratischen Institution umzuwandeln. Praktischen Ausdruck findet diese Aufgabe in der „Großen Berliner Polizeiausstellung“ im Oktober 1926, die unter dem Slogan „Die Polizei — dein Freund und Helfer“ abgehalten wird. 

Grzesinski ist zu diesem Zeitpunkt Polizeipräsident von Groß-Berlin. Als der preußische Innenminister Carl Severing am 6. Oktober 1926 aus gesundheitlichen Gründen zurücktritt, wird der entschlussfreudige und tatkräftige Albert Grzesinski sein Nachfolger. Mit Nachdruck betreibt er die Professionalisierung der Polizei. Anwärter sollen nach seinem Verständnis als politisch gebildete und gefestigte Republikaner in den Polizeidienst eintreten.

1927 gelingt es Albert Grzesinski ein Gesetz durch den preußischen Landtag zu bringen, das die Auflösung der Gutsbezirke verfügt und 1,5 Millionen Menschen endlich volle Gleichheit in der kommunalen Selbstverwaltung ermöglicht. Grzesinskis „schwarze  Stunde“ schlägt im Mai 1929, als sein Berliner Polizeipräsident Karl Zörgiebel, die von der KPD initiierten Mai-Aufstände niederschlagen lässt. Der sogenannte Blutmai bleibt fortan ein Makel in Grzesinskis Vita.

Hitler „mit der Hundepeitsche“ aus Deutschland vertreiben

Im November 1930 übernimmt er noch einmal das Amt des Berliner Polizeipräsidenten und konzentriert sich vor allem auf den Kampf gegen die Nazis. Adolf Hitler möchte er am liebsten „mit der Hundepeitsche“ aus Deutschland vertreiben. Mit dem „Papen-Putsch“ am 20. Juli 1932 endet Albert Grzesinskis politische Karriere in Preußen. 1933 bürgern die Nazis Albert Grzesinski aus Deutschland aus. Über die Schweiz flieht er nach Paris und noch bevor Nazi-Deutschland Frankreich überfällt, emigriert er über Peru in die USA.

In New York City wird er in der „Social Democratic Federation of Amerika“ aktiv, in der auch Max Brauer und Herbert Weichmann tätig sind. Nach Deutschland kehrt er nicht mehr zurück. Albert Grzesinski stirbt am 31. Dezember 1947 in New York City — und wird vergessen. Weder in Berlin noch in Kassel erinnert eine Straße an diesen bedeutenden sozialdemokratischen Politiker der Weimarer Republik.

Autor*in
Avatar
Lothar Pollähne

ist Journalist und stellvertretender Bezirksbürgermeister in Hannover.

Weitere interessante Rubriken entdecken

0 Kommentare
Noch keine Kommentare