Geschichte

Max Brauer: Aus dem Exil ins Bürgermeister-Amt in Hamburg

Als US-Bürger wird er 1946 Spitzenkandidat der SPD bei den ersten freien Wahlen in Hamburg. Mit einer Unterbrechung bleibt Max Brauer bis 1960 Erster Bürgermeister. Seine letzte Ruhe findet er in seiner Wahlheimat Altona.
von Lothar Pollähne · 2. Februar 2023
Prägte das Nachkriegs-Hamburg deutlich: Erster Bürgermeister Max Brauer (r.) in den 1950er Jahren
Prägte das Nachkriegs-Hamburg deutlich: Erster Bürgermeister Max Brauer (r.) in den 1950er Jahren

Im Juli 1946 reisen die US-Staatsbürger Rudolf Katz und Max Brauer von New York aus nach Hamburg. Im Auftrag der US-Dachgewerkschaft AFL sollen sie die Chancen für die Gründung freier Gewerkschaften ausloten. Die Auswahl der beiden Emissäre kommt nicht von ungefähr. Katz und Brauer waren vor der Machtübertragung an die Nazis Kommunalpolitiker in Altona, das seit 1938 zu Hamburg gehört. Nach 13 Jahren im Exil blicken sie ins Nichts. „Da standen wir nach langen Jahren der Emigration vor unserer Vaterstadt und sahen das erschütternde Bild unüberschaubarer Ruinen,“ schreibt Max Brauer in seinen Erinnerungen.

Auf der schwarzen Liste der Glasfabrikanten

Max Brauer ist kein Hanseat. Geboren wird er am 2. Februar 1873 in der damals noch selbständigen preußischen Industriestadt Ottensen als achtes von 13 Kindern eine Glasbläsers. In Brauers Erinnerung war das Leben „für die ganze Familie ein Kampf gegen die Armut. Jeder hatte beizutragen, um das Notwendige für die Familie herbeizuschaffen“. Der Junge ist wissbegierig und ein so guter Schüler, dass die Lehrer eine weiterführende Schule empfehlen. Brauer möchte Lehrer werden, scheitert aber an den „eisernen Zeiten“, wie er seine Jugend nennt. Er fügt sich dem Willen des Vaters und erlernt ebenfalls das Glasbläser-Handwerk. 

Max Brauer wird jedoch nur kurze Zeit als Glasbläser arbeiten, denn er initiiert einen Streik und landet auf der nationalen schwarzen Liste der Glasfabrikanten. 1904 wird Brauer Mitglied des „Centralvereins der Glasarbeiter und Glasarbeiterinnen“. Im Jahr darauf gründet Brauer im pommerschen Damgarten die erste Ortsgruppe der Sozialdemokratischen Partei. Seinen Unterhalt verdient er als Bau- und Fabrikarbeiter. 1909 kehrt Max Brauer nach Ottensen zurück, das mittlerweile Teil der Stadt Altona ist. Anstellung findet er im „Konsum-, Bau- und Sparverein“. 1911 wird er in Ottensen in den Vorstand der Ortsgruppe der SPD gewählt. Brauer bildet sich autodidaktisch weiter, liest Marx und Engels, aber auch Goethe und Schiller. Sein Leben lang wird Bildung zum Leitmotiv des politischen Lebens.

Oberbürgermeister von Altona

1914 muss Max Brauer in den Weltkrieg ziehen. Schon nach einem Jahr wird er ausgemustert, weil ihm die Hand durchschossen worden war. Zurück in Altona übernimmt Max Brauer die Leitung der Schlachterei-Abteilung des „Konsum-, Bau- und Sparvereins“. 1916 beginnt Brauers politische Karriere; er wird in die Stadtverordnetenversammlung der Stadt Altona gewählt. Schnell macht er sich einen Namen als fähiger Organisator. Nach der November-Revolution 1918 zieht Brauer in den Magistrat der Stadt Altona ein. Ein Jahr später wird er zum Zweiten Bürgermeister gewählt und avanciert zur entscheidenden politischen Persönlichkeit der Stadt. In seinen Zuständigkeitsbereich fallen die Versorgung der Bevölkerung mit Gas, Wasser, Strom und Lebensmitteln.

Während des „Kapp-Putsches“ im März 1920 ruft der überzeugte Republikaner Max Brauer zum Generalstreik auf, lässt das von Putschisten besetzte Rathaus belagern und erzwingt so deren Abzug. Als Stadtkämmerer beleiht Brauer städtische Grundstücke, um Altonas Handlungsfähigkeit zu gewährleisten: eine frühe Form von „Deficit Spending“. 1924 übernimmt Max Brauer nach der Kommunalwahl das Amt des Oberbürgermeisters von Altona und beschleunigt den Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs, den Bau von öffentlichen Versorgungseinrichtungen und die Erweiterung des Personalbestandes der Stadt. Sein Wirken bleibt auch überregional nicht unbemerkt. Brauer wird als künftiger preußischer Innenminister und auch als Oberbürgermeister von Groß-Berlin ins Gespräch gebracht.

„Odyssee im Exil“

Das  einschneidende Ereignis während Brauers Amtszeit ist der „Altonaer Blutsonntag“ am 17. Juli 1932. SA-Kolonnen marschieren durch die kommunistisch geprägte Altstadt. Dabei werden zwei SA-Männer erschossen. Die Polizei erschießt daraufhin sechzehn Anwohner*innen. Das fatale Ereignis gilt als Auslöser des so genannten Preußenschlags, der Absetzung der preußischen Regierung durch Reichskanzler Franz von Papen. Mit diesem „Putsch von oben“ beginnt die Endphase der Weimarer Republik. Nach der Machtübertragung an die Nazis bittet Max Brauer am 3. März 1933 um seine Beurlaubung und flieht mit seiner Familie zunächst nach Österreich und wenig später ins Elsass.

Im Spätsommer 1933 geht Max Brauer im Auftrag des Völkerbundes nach China, um beim Aufbau einer effizienten Verwaltung mitzuwirken. Heimisch wird er im „Reich der Mitte“ nicht. Auf Druck der Nazis wird Brauers Vertrag nach einem Jahr gekündigt. Es folgen drei Jahre der „Odyssee im Exil“, bis er mit seinem Sohn in die U.S.A übersiedeln kann. Frau und Tochter folgen ihnen im Jahr darauf. Als Brauer erkennt, dass die Nazis-Herrschaft nur von außen beendet werden kann, nimmt er 1943 die US-Staatsbürgerschaft an, ohne die Hoffnung auf die Rückkehr nach Deutschland aufzugeben. Politisch engagiert sich Brauer in der „German Labour Delegation“, die sich als Sprachrohr der Exil-SPD in den USA versteht.

Absolute Mehrheit für die SPD

Nach seiner Rückkehr aus dem Exil mischt sich Max Brauer alsbald ins politische Tagesgeschäft ein. Auf Bitten der hanseatischen SPD wird er als „US-Bürger“ Spitzenkandidat für die ersten freien Wahlen am 13. Oktober 1946. Damit er am 15. November 1946 zum Ersten Bürgermeister gewählt werden kann, gibt Brauer seine US-Staatsbürgerschaft auf und wird wieder eingebürgert. Vor Max Brauer liegt eine Mammut-Aufgabe. Es fehlt an allem, im eiskalten Winter 1946/47 vor allem an Kohle. Dem pfiffigen Organisator Brauer gelingt es, die „Ruhr-Kumpel“ zu Sonderschichten für die Hansestadt zu überreden. Im Gegenzug erhalten die Kumpel vielfältige kulturelle Angebote in Gestalt der „Ruhrfestspiele“.

1947 werden, nicht nur in Hamburg, Forderungen nach umfassender Sozialisierung laut, von denen — außer der Überführung der Hochbahn und der Elektrizitätswerke in städtisches Eigentum — nichts verwirklicht wird. In Max Brauers frühe Amtszeit fallen der Wiederaufbau des Hafens und das Ende der Demontagen. Bei der Bürgerschaftswahl im Oktober 1949 erhält die SPD die absolute Mehrheit und Max Brauer wird als erster Bürgermeister bestätigt. Seine zweite Amtszeit ist von ausgiebigen Wohnungsbau geprägt. Max Brauer sieht sich als Garant der hanseatischen Entwicklung und weiterer sozialdemokratischer Erfolge. Umso herber fällt die Niederlage bei den Wahlen von 1953 aus. Der bürgerliche Hamburg-Block gewinnt und Max Brauer reagiert mit Verweigerung. Oppositionsführer will er nicht werden. Nach den Wahlen im November 1957 kehrt Max Brauer, gestärkt von der absoluten Mehrheit der SPD ins Amt des Ersten Bürgermeisters zurück. Am 20. Dezember gibt er das Amt zähneknirschend an Paul Nevermann ab.

Max Brauers politische Karriere endet 1961 mit der Wahl in den Deutschen Bundestag. Politische Akzente kann er dort nichts setzen. Sein Kampf gegen die atomare Bewaffnung der Bundeswehr bleibt erfolglos. Bei der Kandidatur für die Bundestagswahl 1965 unterliegt Max Brauer dem späteren Bundesverteidigungsminister Hans Apel  und zieht sich aus der Politik zurück. Schwer gezeichnet von einem Schlaganfall stirbt der große Hanseat Max Brauer am 2. Februar 1973. Seine letzte Ruhestätte findet findet er auf dem Hauptfriedhof von Altona. Das ist seine letzte Heimkehr.

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Lothar Pollähne

ist Journalist und stellvertretender Bezirksbürgermeister in Hannover.

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