Friedrich Ebert: Prototyp des modernen Politikers
Am 4. Februar 1871 – mittags um 12 Uhr – wurde Friedrich Ebert als siebtes von neun Kindern eines Schneiders in Heidelberg geboren, wenige Wochen, nachdem mit der Proklamation von Wilhelm I. zum deutschen Kaiser das Kaiserreich begründet worden war. Als die Deutschen am Ende des Ersten Weltkrieges Wilhelms Enkel, Kaiser Wilhelm II., davonjagten, trat der SPD-Vorsitzende Ebert in die Verantwortung und bahnte den Weg in die Republik, die er als erster Reichspräsident bis zu seinem frühen Tod 1925 entschieden verteidigte.
Beseelt vom einigen Handeln der SPD
Friedrich Ebert war nach Herkunft und Sozialisation ein typischer Repräsentant der zweiten Generation der sozialdemokratischen Funktionärsriege. Der in der Wolle gefärbte Sozialdemokrat war bei seinem Aufstieg von einem der unzähligen Agitatoren der SPD zu einem reichsweit bekannten Funktionär beseelt vom einigen Handeln der Partei. Die soziale und politische Emanzipation der Arbeiterbewegung wollte er über die Reform erreichen. Das Revolutionäre war ihm fremd.
Die reformpolitische Prägung erfolgte in seiner Zeit in Bremen (1891 bis 1905), als er zum regionalen ehrenamtlichen Multifunktionär mit weiten sozialpolitischen Kenntnissen aufstieg, auf den die SPD-Führung bald aufmerksam wurde. 1905 wählte ihn der Parteitag in den zentralen Vorstand und 1913 zu einem der beiden SPD-Vorsitzenden. Auf der Zinne der Partei leitete ihn das reformpolitische Prinzip, auch am Ende des Ersten Weltkrieges, als er in die staatliche Verantwortung katapultiert wurde: Am 9. November 1918 übertrug ihm der letzte kaiserliche Kanzler Prinz Max von Baden im Zeichen der über das Reich hineinbrechenden Revolution die Reichskanzlerschaft.
Reichskanzler aber war Ebert nur für einen Tag, denn tags darauf bildete sich mit ihm der Rat der Volksbeauftragten, die Revolutionsregierung aus SPD und der 1917 von ihr abgespaltenen USPD. Im November 1918 ging es Ebert um die Abwehr der drohenden Katastrophe, die Überwindung des monarchischen Obrigkeitsstaates und die Begründung der Republik. Das gelang unter schwierigsten Ausgangsbedingungen.
Ein Mann aus dem Volk wird Staatsoberhaupt
Die in Weimar tagende Nationalversammlung wählte Ebert am 11. Februar 1919 zum Reichspräsidenten. Dass mit ihm einer der im Kaiserreich ausgegrenzten Sozialdemokraten, ein Mann aus dem Volk, ein Sattler, zum ersten demokratischen Staatsoberhaupt in der deutschen Geschichte bestimmt wurde, markierte den fundamentalen Wandel.
Erfahrungslos in ein Amt ohne Tradition geworfen, schöpfte Ebert die weitgehenden Rechte des Reichspräsidenten voll aus und formte das höchste Staatsamt zu einer machtvollen Institution im politischen Koordinatensystem der jungen Demokratie. Auch wenn er bisweilen in der Anwendung des berühmt-berüchtigten Notverordnungsartikels 48 an die Grenzen der Verfassung stieß und diese vielleicht sogar durchbrach, so blieb für ihn das parlamentarische System mit dem Reichstag als höchstem Organ unverrückbare Norm.
Eberts Bemühen galt der Funktionstüchtigkeit des demokratischen Systems. Dabei ging es ihm immer um die Sicherung stabiler Regierungsmehrheiten – ein Wunsch, der oft unerfüllt blieb. So erlebte er in den sechs Jahren an der Spitze der Republik neun Reichskanzler und zwölf Kabinette. Durchschnittliche Haltbarkeitsdauer einer Regierung: sechs Monate. Während mancher Politiker Weimars die Flucht aus der Verantwortung antrat, legte Ebert Beharrungsvermögen an den Tag, gepaart mit einem über die eigene Partei hinausreichenden Verantwortungsethos. Sein konsequentes Handeln trug dazu bei, die Existenzkrisen der Republik zu überwinden.
Vom Milieupolitiker zum Staatsmann
Unter Extrembelastungen, überzogen mit einer perfiden Verleumdungskampagne harrte Ebert, von vielen als ein auf den republikanischen Thron verirrter Sattler verhöhnt, im Amt aus. Als Teamspieler stand sein Handeln in der innerlich wenig befriedeten, von außen bedrängten Republik immer unter dem Bemühen um Konsens im politischen Kräftespiel. Mit seinem Appell an den Kompromisswillen der Parteien war er seiner Zeit voraus. Machtwille, Beharrungsvermögen und Verantwortungsethos machten ihn zum Prototyp des modernen Politikers, dem im Gegensatz zu den meisten Entscheidungsträgern der Zeit der Wandel vom Milieupolitiker zum Staatsmann gelang. Dabei stand er immer in dem Dilemma zwischen den Erfordernissen des Staatsamtes sowie der Bindung an die eigene Partei und deren Interessen.
Als er am 28. Februar 1925 an einer zu spät operierten Blinddarmreizung starb, befand sich die Republik in einer Phase der Stabilisierung. Daran hatte er wesentlichen Anteil, auch wenn sein Handeln nicht frei von Fehlern und Fehleinschätzungen war und manche seiner Entscheidungen in der eigenen Partei mit einigem Unverständnis registriert wurden. Dennoch: Mit dem ersten Reichspräsidenten verlor die Republik von Weimar ihren Steuermann. Und die Partei ihren ersten wirklichen Staatsmann.
So nimmt der vor 150 Jahren geborene Handwerkersohn aus der Heidelberger Pfaffengasse als Gründer und Garant der ersten Republik einen vorderen Platz im historisch-politischen Traditionshaushalt der Bundesrepublik Deutschland ein. Und für die SPD gibt es gute Gründe, Ebert als Vorkämpfer der Demokratie in der Ahnengalerie der großen deutschen Sozialdemokraten ganz vorn zu platzieren.
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Wer mehr über den Republikgründer aus der Heidelberger Pfaffengasse wissen will:
Walter Mühlhausen: Friedrich Ebert, Verlag J.H.W. Dietz Nachf. Bonn 2020, ISBN 978-3-8012-4248, 10 Euro
war Geschäftsführer und Mitglied des Vorstands der Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte in Heidelberg. Er lehrt als apl. Professor an der Technischen Universität Darmstadt.