200. Geburtstag: Wie Ferdinand Lassalle zum Gründungsvater der SPD wurde
Als Ferdinand Johann Gottlieb Lassal am 11. April 1825 in Breslau geboren wird, ist nicht absehbar, dass er die deutsche Politik für immer verändern wird. Obwohl er bei vielen aneckt und früh stirbt, wird Lassalle zur prägenden Figur der frühen SPD-Geschichte.
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Ferdinand Lassalle: Vom „Gefühlssozialist“ zum Revolutionär
1837 verliebt sich ein zwölfjähriger Knabe in Breslau in ein vierzehnjähriges Mädchen. Dass ein anderer Knabe dies ebenso tut, erzürnt den Zwölfjährigen so sehr, dass er den Nebenbuhler schriftlich zum Duell herausfordert. Das zeugt von ausgeprägtem Selbstbewusstsein. Zum Glück kommt dieses archaische Ritual nicht zustande und der Knabe kann wohlbehütet aufwachsen. Hätte sein Vater, ein wohlhabender, jüdischer Tuchhändler nicht 1812 zwecks behördlicher Anmeldung einen festen Familiennamen angenommen, wäre der Knabe mit dem Familiennamen Wolfsohn geboren worden. So aber erhält er am 11. April 1825 den Namen Ferdinand Johann Gottlieb Lassal.
Leipzig wird zum entscheidenden Lernort
Der aufgeweckte Knabe ist ein ausgezeichneter Schüler, dem der Lernstoff nur so zufliegt, wenn er denn lernen will. Fühlt er sich ungerecht behandelt, so stellt er seine Beteiligung am Unterricht kurzerhand ein. Die Hausaufgaben schreibt er kurz vor Unterrichtsbeginn ab, die notwendigen elterlichen Unterschriften auf den Zeugnissen fälscht er, weil er den Eltern gegenüber seine schlechter werden Leistungen verheimlichen will.
Am 1. Januar 1840 beginnt Ferdinand Lassal ein Tagebuch zu führen. Da es erhalten geblieben ist, lässt sich viel über die Befindlichkeiten des Heranwachsenden erfahren. „Vorliegende Blätter sind bestimmt, alle meine Handlungen, meine Fehler, meine guten Taten aufzunehmen“, schreibt er. Mit pubertärem Überschwang strebt er an, seinen eigenen Charakter kennenzulernen.
Bis zur Sekunda besucht Ferdinand Lassal ein Gymnasium in Breslau. 1841 wechselt er an eine Handelslehranstalt in Leipzig. Auch wenn ihn diese Schule nach kurzer Zeit anödet, wird Leipzig zu einem entscheidenden Lernort. Ferdinand lernt die Schriften Heinrich Heines und Ludwig Börnes kennen und beginnt, sich mit seinem jüdischen Selbstverständnis auseinander zu setzen. Als Schriftsteller will der Sechszehnjährige „hintreten vor das deutsche Volk und vor alle Völker und mit glühenden Worten zum Kampf für die Freiheit auffordern.“
Aus Lassal wird Lassalle
Nach dem Abitur beginnt Ferdinand Lassal 1843 in Breslau gegen den Willen des Vaters mit dem Studium der Geschichtswissenschaften, das er für das „größte, umfassendste Studium der Welt“ hält. Im Jahr darauf setzt er sein Studium in Berlin fort und beginnt, an seiner Dissertation über „Die Philosophie Herakleitos des Dunkeln von Ephesos“ zu arbeiten. Erst 1857 wird er sie fertigstellen.
Im Dezember 1845 reist Ferdinand Lassal nach Paris, besucht den von ihm verehrten Heinrich Heine, der ihn alsbald in den höchsten Tönen lobt. „Ich habe noch bei niemandem soviel Passion und Verstandesklarheit vereinigt im Handeln gefunden … Im Vergleich mit Ihnen bin ich doch nur eine bescheidene Fliege.“ Als er im Jahr darauf aus Paris zurückkehrt, hat er zwei geistige Veränderungen im Gepäck. Ferdinand nennt sich fortan Lassalle und ist nach der Beschäftigung mit den französischen Frühsozialisten Fourier, Saint-Simon und Proudhon zum Sozialisten gereift. Allerdings fehlt ihm noch das theoretische Rüstzeug.
Verteidiger einer Gräfin
1846 tritt eine Frau in Ferdinands Leben, die ihm bis zum Ende seines Lebens die engste Freundin sein wird: Sophie Gräfin Hatzfeld, die einem der ältesten deutschen Adelsgeschlechter entstammt. Die Gräfin leidet unter den Folgen einer arrangierten Heirat. Ihr Ehemann hintergeht sie von Beginn an, demütigt Sophie mit fortwährenden Affären und trachtet danach, sie zu einer Scheidung zu bewegen. Das hätte für die Gräfin bei einem sicheren Schuldspruch den Verlust ihres gesamten Vermögens bedeutet.
Lassalle, der „Rächer der Enterbten“, dient der Gräfin seine Dienste als Verteidiger an, obwohl er über keine juristischen Kenntnis verfügt. „Ich erhob mich, ein ohnmächtiger Jude, gegen alle — gegen die Gewalten des Ranges und des ganzen Adels, gegen die Macht des grenzenlosen Reichtums, gegen die Regierung“. So pathetisch beschreibt Lassalle seine Mission, die nach acht Jahren zäher Verhandlungen mit einem für die Gräfin und für sich selbst vorteilhaften Vergleich endet. Ferdinand Lassalle erhält von der Gräfin eine Rente, die ihm Unabhängigkeit gewährt.
Wandlung zum Revolutionär
1848 wird der „Gefühlssozialist“ Ferdinand Lassalle zum Revolutionär. Er liest das „Kommunistische Manifest“ und nimmt persönlichen Kontakt zu Karl Marx und Friedrich Engels auf. In November des Jahres ruft er in Düsseldorf zur Steuerverweigerung und zur Bewaffnung der Bürger auf, um so gegen die sich anbahnende Zerschlagung der bürgerlich-liberalen Revolutionsbewegung zu protestieren. Lassalle wird verhaftet und — obwohl er zunächst freigesprochen wird — in Untersuchungshaft gehalten und im Juli 1849 zu sechs Monaten verurteilt. Ab 1851 beschäftigt sich Ferdinand Lassalle eingehend mit Fragen der Arbeiterbildung und gründet in Düsseldorf einen illegalen Zirkel revolutionärer Arbeiter.
1858 kann sich Ferdinand Lassalle dauerhaft in Berlin niederlassen. Er verkehrt in den wichtigen kulturellen Salons und schreibt das Drama „Franz von Sickingen — eine historische Tragödie“. 1859 kommt es zum ersten Knackpunkt in der Beziehung Ferdinand Lassalles zu Marx und Engels. Während des Italienischen Unabhängigkeitskrieges plädiert er für ein starkes Handeln Preußens und für eine „Zerschmetterung“ des Habsburger Reiches. Außerdem will er ein Deutschland, das unter Preußens Führung auch Österreich einschließen soll.
Die Internationalisten Marx und Engels betrachten Lassalle daher als nationalistischen Sozialisten. Dieses Zerwürfnis lässt sich nicht mehr kitten, auch wenn beide Seiten noch bis 1862 Kontakt halten. Nach einem Besuch Lassalles in London, der dem notorisch klammen Marx ungelegen kommt, notiert dieser: „Der jüdische Nigger Lassalle, der glücklicherweise Ende dieser Woche abreist, hat glücklich wieder 5000 Taler in einer falschen Spekulation verloren. Der Kerl würde eher das Geld in den Dreck werfen, als es einem ‚Freunde‘ zu pumpen.“
Gründungspräsident des „Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins“
Im Oktober 1862 entwickelt Ferdinand Lassalle die Idee, einen „Gesamt-Arbeitsverein für ganz Deutschland mit dem Zentralort Berlin zu stiften und mich an die Spitze desselben zu setzen“. Die Idee verfängt auch im bedeutenden Zentralkomitee der Leipziger Arbeiter, das Lassalle bittet, seine Ansichten darzulegen. in einem „Offenen Antwortschreiben“, das er nicht als theoretische Schrift, sondern als agitatorisches Manifest versteht, schreibt er, die Arbeiter müssten sich, um ihre „legitimen Interessen befriedigen zu können“, zu einer eigenen Partei zusammenschließen. Das Antwortschreiben kann ohne Übertreibung als Gründungsdokument der SPD angesehen werden.
Am 23. Mai 1863 kommt es schließlich im Leipziger Pantheon zur Gründung des „Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins“. Ferdinand Lassalle wird für fünf Jahre zum Präsidenten gewählt und erhält nahezu diktatorische Vollmachten. Da er den Staat als Zwischenstation auf dem Weg zum Sozialismus ansieht und mit einem „sozialen Königtum“ liebäugelt, gerät der „Reformist“ Lassalle in Widerspruch zum Marx-Vertrauten und „Revolutionär“ Wilhelm Liebknecht.
Im Juli 1864 muss der schwer an Syphilis erkrankte Ferdinand Lassalle eine Kur im schweizerischen Rigi-Kaltbad antreten. Er ist missgelaunt und fühlt sich allein gelassen. Ausgerechnet in diesem Zustand verliebt er sich sterblich in Helene von Dönniges, die er unbedingt heiraten will. Das missfällt dem Vater der jungen Frau, und der erboste Lassalle fordert diesen todesmutig zum Duell. Dönniges lässt sich von dem rumänischen Adligen Janko von Racowitz vertreten. Es wird Lassalles letzter Auftritt sein. Am 28. August 1864 erleidet Ferdinand Lassalle einen Schuss in den Unterleib, an dessen Folgen er drei Tage später stirbt. Karl Marx würdigt den „Dahingesunkenen“ mit den Worten: „Nach fünfzehnjährigem Schlummer rief Lassalle — und dies bleibt sein unsterbliches Verdienst — die Arbeiterbewegung wieder wach in Deutschland.“