Geschichte

Warum Marx und Engels 1848 das Kommunistische Manifest schrieben

„Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“ Am 21. Februar 1848 veröffentlichten Karl Marx und Friedrich Engels das Kommunistische Manifest. Seine Wirkung entfaltete das Werk erst Jahre später.
von Jürgen Schmidt · 20. Februar 2023
Eine Auftragsarbeit: Im Frühjahr 1848 schrieb Karl Marx gemeinsam mit Friedrich Engels das „Manifest der Kommunistischen Partei“. Heute ist es Teil seines Denkmals in Chemnitz.
Eine Auftragsarbeit: Im Frühjahr 1848 schrieb Karl Marx gemeinsam mit Friedrich Engels das „Manifest der Kommunistischen Partei“. Heute ist es Teil seines Denkmals in Chemnitz.

Geschrieben haben Karl Marx und Friedrich Engels den endgütigen Text des „Manifests der Kommunistischen Partei“ in wenigen Tagen im Januar 1848. Es war ein Auftragswerk des Bundes der Kommunisten, der sich eine programmatische Grundlage geben wollte. Das Autorenduo Marx und Engels hatte bei der Vorbereitung einer solchen Programmschrift jedoch einen ernst zu nehmenden Konkurrenten: den Philosophen, Schriftsteller und Frühsozialisten Moses Heß.

Ein Geheimbund in London

Marx, Engels und Heß gehörten zu einem Kreis Intellektueller, Journalisten und Handwerker, die entweder politische Verfolgung ins Exil getrieben hatte oder die sich als Handwerker auf die Walz gemacht hatten. Sie trafen sich im westlichen europäischen Ausland. In zahlreichen Orten von Paris, Brüssel, London und Genf bis hin zu kleineren Orten wie Biel in der Schweiz bildete sich eine Melange aus diesen sehr unterschiedlichen Sozialgruppen: Es entstanden deutsche Geheimbünde im Ausland, die sich von demokratischen, sozialistischen, republikanischen Ideen ihrer Gastländer inspirieren ließen.

Einer dieser Bünde war der Bund der Kommunisten, der insbesondere in London seinen Ankerpunkt hatte. Im Sommer 1847 beschloss der Bund auf einem Kongress in London, ein Programm in Auftrag zu geben. Moses Hess war dabei bereits vorgeprescht und hatte einen „kommunistischen Katechismus“ formuliert. Engels verfasste daraufhin einen „Gegen-Katechismus“, war aber damit nicht zufrieden: „Überleg Dir doch das Glaubensbekenntnis etwas. Ich glaube, wir tun am besten, wir lassen die Katechismusform weg und titulieren das Ding: Kommunistisches Manifest“, schrieb Engels an Marx im Herbst 1847. In zahlreichen Diskussionen innerhalb des Bundes konnten sich schließlich Marx und Engels mit ihrer Version durchsetzen. Die Mitglieder wollten aus der klandestinen Selbstbezogenheit ausbrechen und politisch und gesellschaftlich in der Öffentlichkeit wirken.

Eine Geschichte der Klassenkämpfe

Ergebnis war das „Manifest der Kommunistischen Partei“, das im Februar 1848 mit Druckort London erschien. Das Manifest ist in einer hinreißenden Sprache formuliert, dessen Eingangssatz „Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Kommunismus“ bereits fesselte.

Im Manifest wird die Geschichte der Gesellschaften als eine Geschichte der Klassenkämpfe dargestellt – von dem Gegensatz zwischen Freien und Sklaven bis zu dem Gegensatz von Bourgeoisie und Proletariat. „Die ganze Gesellschaft“ spalte sich in „zwei große einander direkt gegenüberstehende Klassen“. Der Begriff der Klasse war in der Diskussion der Bünde ein vertrautes Kriterium zur Beschreibung der Gesellschaft. In seiner Zuspitzung auf den Klassenkampf wurde das Konzept jedoch radikalisiert.

Eine neue Perspektive erhielt das Manifest durch den Begriff der Entfremdung. Da die Arbeiter*innen ihre Arbeit gegen Lohn verkaufen mussten, seien sie „ein Stück Ware wie jeder andere Handelsartikel“. Verstärkt durch die Entwicklung in der Technik und Organisation der Arbeit werde der Arbeiter „ein bloßes Zubehör der Maschine“.

Proletarier aller Länder, vereinigt euch!

Rettung konnte nur das Proletariat bringen, wie es in den fulminanten Schlussworten des Manifests zum Ausdruck kam: „Mögen die herrschenden Klassen vor einer kommunistischen Revolution zittern. Die Proletarier haben nichts in ihr zu verlieren als ihre Ketten. Sie haben eine Welt zu gewinnen: Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“

Dieses bildgewaltige Werk hatte jedoch nach seiner Veröffentlichung kaum praktische Wirkung – obwohl es mit rund tausend Exemplaren verbreitet war. Dafür gab es zahlreiche Gründe. Zum einen waren die Mitglieder der Bünde meist keine Proletarier, sondern Handwerksgesellen. Sie hatten zwar Angst vor dem Abrutschen ins Proletariat, aber viele hofften mit ihren im Ausland gesammelten beruflichen Erfahrungen noch auf ein auskömmliches Leben als Handwerker.

Seit 2013 Weltdokumentenerbe der UNESCO

Zum anderen klang das Manifest zwar wie der Aufruf für die im Frühjahr 1848 losbrechende revolutionäre Welle in Europa. Doch um breitenwirksam zu wirken, erschien es zu spät. In den revolutionären Aktionen ab März 1848 trat das programmatische Dokument in den Hintergrund. Ein Grund lag auch darin, dass in der praktischen Arbeit in den demokratisch-revolutionären Arbeitervereinen die Mitglieder eher an ein „Recht auf Arbeit“ oder an den Zusammenschluss in Genossenschaften dachten und nicht in der im Manifest geforderten „Expropriation des Grundeigentums“ eine Lösung sahen. Den Revolutionären war das Manuskript gewissermaßen zu revolutionär.

Langfristig konnte das Werk doch seine Wirkung entfalten. Mit fortschreitender Industrialisierung spitzten sich die Konflikte zwischen Kapital und Arbeit, zwischen Eigentümern und Eigentumslosen zu. Die Argumente von Klassenkampf, Entfremdung und Ausbeutung erschienen plausibel. Das Manifest wurde ein Bestseller. Es wird geschätzt, dass das Manifest bis heute in über 200 Sprachen übersetzt wurde. Die einzig erhaltene erste handschriftliche Seite des Manuskripts wurde 2013 in das UNESCO-Weltdokumentenerbe aufgenommen.

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Autor*in
Jürgen Schmidt

ist seit Juli 2021 Leiter des Karl-Marx-Hauses in Trier. Zuvor arbeitete er unter anderem an der Humboldt-Universität zu Berlin sowie am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung.

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