Parteileben

Historische Stadtrundfahrt: Mit dem Bus durch 160 Jahre SPD-Geschichte

In Leipzig wurde vor 160 Jahren mit dem ADAV der Vorläufer der SPD gegründet. Welche Rolle die Stadt für die Partei und die Arbeiterbewegung spielte, hat die Leipziger SPD am Sonntag bei einer historischen Stadtrundfahrt gezeigt.
von Kai Doering · 22. Mai 2023
Heute dominiert der Plattenbau: Erinnerung an die Gründung des ADAV in Leipzig am 23. Mai 1863
Heute dominiert der Plattenbau: Erinnerung an die Gründung des ADAV in Leipzig am 23. Mai 1863

Wer sozialdemokratische Geschichte im Zeitraffer erleben möchte, der muss in Leipzig die „KarLi“ entlangfahren. Zweieinhalb Kilometer zieht sich die Karl-Liebknecht-Straße durch den Süden Leipzigs. „Ein Highlight der Arbeiterbewegung reiht sich hier ans nächste“, sagt Pia Heine. Die ausgebildete Stadtführerin und Vorsitzende des Arbeitskreises Geschichte der Leipziger SPD sitzt in der ersten Reine eines Reisebusses, der langsam „die KarLi“ hinauffährt.

Hochverratsprozess gegen Liebknecht und Bebel

Zum 160. Gründungstag des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins (ADAV), des Vorläufers der SPD, am 23. Mai hat Heine mit einigen Mitstreiter*innen eine historische Stadtrundfahrt entwickelt. Innerhalb von zwei Stunden geht es kreuz und quer zu wichtigen Orten der SPD und der Arbeiterbewegung in Sachsens größter Stadt. „In Bewegung“ lautet der durchaus doppeldeutige Titel nicht nur der Stadtrundfahrt, sondern einer ganzen Festwoche der Leipziger SPD.

Am Anfang der Karl-Liebknecht-Straße weist Pia Heine auf ein Gebäude hin, in dem heute die Polizei untergebracht ist. Im 19. Jahrhundert war es das königliche Bezirksgericht, vor dem August Bebel und Wilhelm Liebknecht 1872 des Hochverrats für schuldig befunden und zu zwei Jahren Festungshaft verurteilt wurden. „Sie hatten gegen Kriegskredite im deutsch-französischen Krieg gestimmt“, erklärt Pia Heine. Das Wohnhaus der Liebknechts, in dem auch Karl am 13. August 1871 geboren wurde, befindet sich in einer Nebenstraße.

Ein unscheinbarer Stein erinnert an die ADAV-Gründung

Ein Stückchen weiter die „KarLi“ hinauf kommt der Bus am „Café Maître“ vorbei. Wo heute Torte und Frühstück in französischem Flair verspeist werden können, wohnte zwischen 1867 und 1881 der Sozialdemokrat Friedrich Wilhelm Fritzsche. Er beteiligte sich nicht nur an der Gründung des ADAV 1863, sondern gründete zwei Jahre später auch den „Allgemeinen Deutschen Cigarrenarbeiter-Verein“, um die Rechte derjenigen zu vertreten, die – meist in Heimarbeit – Zigarren drehten. Später entstand daraus die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), die deshalb als älteste Gewerkschaft Deutschlands gilt.

Am Ort der Vereinsgründung hält der Bus für einen kurzen Stopp an. Die rund 40 Teilnehmer*innen der Stadtrundfahrt steigen aus und stehen vor einer kleinen Grasfläche, auf der ein großer Stein liegt. Im Hintergrund stehen Plattenbauten. „An dieser Stelle wurde am 23. Mai 1863 der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein (ADAV) gegründet. Zum ersten Präsidenten wurde Ferdinand Lassalle gewählt“, steht auf einer Plakette auf dem Stein. Er wurde zum 150. Gründungstag von der SPD gestiftet. „Lassalle wurde fast zufällig als Präsident ausgesucht“, erzählt Holger Mann, der Vorsitzende der Leipziger SPD. Ein gutes Jahr später wurde Lassalle bei einem Duell erschossen.

Wo heute eine Wiese ist, stand damals das Gasthaus „Pantheon“, das Arbeiter*innen häufiger als Versammlungsort diente. So wurde hier nicht nur der ADAV, sondern zwei Jahre später auch der Cigarrenarbeiter-Verein gegründet. Die Überreste des Gasthauses verschwanden in der DDR. Damit sich die Gäste ihrer Tour das Gebäude besser vorstellen können, haben Pia Heinze und ihre Mitstreiter Friedemann Meißner und Marius Witwer ein Schwarz-Weiß-Foto davon auf eine Plane drucken lassen. Sie zeigen sie, während Holger Mann spricht.

Beeindruckter Besuch aus Bayern

Nach einem Gruppen-Foto geht es wieder in den Bus. Die Fahrt geht weiter Richtung Westen. Über die Ferdinand-Lassalle-Straße – „heute eine der teuersten Straßen Leipzigs“, wie Pia Heine berichtet – geht es am Clara-Zetkin-Park vorbei zum „Felsenkeller“. „Hier hatte Rosa Luxemburg 1913 ihren ersten Auftritt in Leipzig“, erzählt Marius Witwer. Vor Arbeiter*innen hielt sie eine Rede im damals beliebten Ausflugslokal. Sonderlich gut scheint es Luxemburg in Leipzig aber nicht gefallen zu haben. Ihr Tagebuch enthält über die Stadt wenig Schmeichelhaftes, wie Marius Witwer berichtet. Der Werbung tut das aber keinen Abbruch: An einem Türmchen des Lokals hängt ein Plakat mit dem Porträt Luxemburgs, der Zahl 1913 und dem Satz „Ich war, ich bin, ich werde sein!“

Auf einem nahen Parkplatz ist die Stadtrundfahrt nach zwei Stunden zu Ende. Die Fahrgäste klatschen begeistert. Einer von ihnen ist Andreas Moser. Der 47-jährige Sozialdemokrat aus Bayern ist für einen Monat zu Besuch in Leipzig. Von der Stadtrundfahrt hat er zufällig erfahren. „Im Hinterkopf hatte ich immer, dass Leipzig für die SPD wichtig war“, sagt er, „aber die Anzahl der Orte und Ereignisse ist schon sehr beeindruckend“. Umso trauriger sei es, wo die SPD heute in Sachsen stehe.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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