Nord-Süd-Politik: Warum die SPD mehr Demokratie wagen will
Die SPD möchte das Verhältnis zu Ländern des Globalen Südens neu ausrichten. Für sein Fünf-Punkte-Programm erfährt Parteichef Lars Klingbeil große Unterstützung.
imago/Pond5 Images
"Die EU liebt Brasilien", lautet ein Schriftzug im Zentrum der Hauptstadt Brasilia. Das größte Land Südamerikas rückt zunehmend in den Fokus europäischer und deutscher Außenpolitik.
Im Botschafter von Brasilien hat Lars Klingbeil einen Verbündeten. Zumindest in dem Grundsatz, dass die internationalen Beziehungen in einer multipolaren Welt neu justiert werden müssen. Dieser Verbündete setzt allerdings Akzente, die nicht nur den SPD-Vorsitzenden aufhorchen lassen. „Auch uns geht es um Dialog, Demokratie und Diplomatie“, sagt Roberto Jaguaribe Gomes de Mattos in Berlin.
Eine nachhaltige globale Kooperation müsse aber auch die besondere Interessenlage eines jeden Landes im Auge behalten und dürfe sich nicht durch eine wertegeleitete Politik in ihren Möglichkeiten begrenzen lassen. „Die Welt ist divers“, fügt der Botschafter hinzu und sagt im Namen seiner Regierung hinsichtlich globaler Akteur*innen: „Wir sprechen mit jedem und mit jeder.“
Es ist Montagabend. Das Geschichtsforum der SPD hat zur Veranstaltung „Nord-Süd – Neu denken“ ins Willy-Brandt-Haus eingeladen. Bernd Rother, Co-Vorsitzender des Geschichtsforums, macht deutlich, dass die Beziehungen zum Globalen Süden vor ähnlichen Herausforderungen stehen wie in den 70er-Jahren.
Den Zugriff von Moskau und Peking verhindern
Damals entwarf Willy Brandt, seinerzeit Vorsitzender der Nord-Süd-Kommission, die Grundzüge einer Politik, die auf einen Ausgleich der Interessen von Industrie- und Entwicklungsländern, um die damalige Terminologie zu bemühen, abzielte. Schon damals ging es darum, zu verhindern, dass sich Länder Lateinamerikas, Asiens und Afrikas in die Arme von Moskau und Peking begeben.
Heute steht die Welt vor ähnlichen Herausforderungen. Das macht Klingbeil in seiner Rede deutlich. Der 46-Jährige stellt die Eckpunkte seines Fünf-Punkte-Plans für die Demokratisierung der internationalen Ordnung vor. Damit ist unter anderem gemeint, dass die neuen globalen Machtverhältnisse in den Vereinten Nationen besser abgebildet werden müssen. Klingbeil wirbt für eine Reform des UN-Sicherheitsrats, damit Afrika, Lateinamerika und Asien besser vertreten sind. Um nicht zu sagen: für mehr Demokratie bei den Vereinten Nationen.
Dass sich die weltpolitischen Gewichte verschoben haben, lässt sich auch an Zahlen ablesen. Im Jahr 1990 bildeten die USA und Europa mit einem Anteil von 44 Prozent der globalen Wirtschaftskraft das ökonomische Zentrum der Welt. Derzeit liegt es nur noch bei einem knappen Drittel. Vor allem Asien hat mächtig aufgeholt und kommt auf fast 60 Prozent der globalen Wirtschaftskraft und Bevölkerung.
Ein Ende der Schuldenspirale
Aber auch internationale Finanzinstitutionen müssten reformiert werden und es Schwellenländern ermöglichen, nicht nur in die unmittelbare Armutsbekämpfung, sondern auch in Bildung, Biodiversität und Klimaschutz zu investieren, führt Klingbeil aus. Eine weitere Forderung ist die Schuldenumwandlung: Um ärmere Staaten aus der Schuldenspirale zu befreien, sollen sie einen Teil ihrer Verbindlichkeiten in Verpflichtungen zu Investitionen in den genannten Zukunftsfeldern umwandeln können.
Lars Klingbeil
Es braucht eine Reform des UN-Sicherheitsrats, damit Afrika, aber auch Lateinamerika und Asien besser vertreten sind.
Zudem soll im Rahmen einer Initiative der internationalen Gemeinschaft verhindert werden, dass sich private Gläubiger an Staaten bereichern, die finanziell ins Straucheln geraten sind. Damit auch die Länder des Globalen Südens von dortigen Investitionen profitieren, wird in dem Papier für eine globale Mindeststeuer von 15 Prozent geworben.
Es sind politische Großprojekte, die Klingbeil beschreibt. Das gilt nicht zuletzt dafür, das wichtigste Entscheidungsgremium der UN, den Sicherheitsrat, neu aufzustellen. Auch hierfür erntet er viel Zustimmung. „Mit Blick auf die Ständigen Mitglieder spiegelt der Sicherheitsrat die Welt von 1945 wider“, kritisiert Comfort Ero, die Präsidentin der International Crisis Group.
Neues Selbstbewusstsein im Globalen Süden
An diesem Abend ist aber auch viel von einer grundsätzlich anderen Haltung gegenüber den Ländern des Globale Südens die Rede. Viele haben sich der Vereinigung BRICS angeschlossen. Allein dieses wachsende Gegengewicht zur bisherigen Dominanz westlicher Staaten zeugt von einem neuen Selbstbewusstsein.
Ob der Klimawandel oder der Krieg in der Ukraine: Der Westen kann die gegenwärtigen Krisen nicht allein lösen. Auch darauf macht Klingbeil aufmerksam. Doch die internationale Zusammenarbeit erlebt immer wieder Rückschläge. Russlands Angriffskrieg ist eines von vielen Beispielen, gerade auch im Hinblick auf Brasilien, das bei diesem Thema um eine „neutrale“ Position bemüht ist.
Svenja Schulze
Wir müssen uns mehr mit den Interessen unserer Partnerländer beschäftigen.
Um die globale Krisenbewältigung zu verbessern, braucht es mehr Vertrauen. Darin sind sich Klingbeil und seine Diskussionspartner*innen auf dem Podium einig. Wie das auch im Umgang mit Staaten funktionieren kann, die das westliche Wertesystem nicht teilen, beschreibt Svenja Schulze.
Mehr Interesse an Partnerländern zeigen
„Wir müssen uns mehr mit den Interessen unserer Partnerländer beschäftigen und die Beziehungen komplett neu denken“, so die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Beim Umgang mit autoritären Regierungen müsse man die Interessen der Zivilgesellschaft im Blick behalten. Indem Deutschland beispielsweise den Ausbau der Landwirtschaft in Burkina Faso unterstütze, trage es dazu bei, dass dort neue Perspektiven für die Menschen entstünden.
Neue Perspektiven braucht es auch im globalen Miteinander. Ohne ein Mehr an Demokratie in den wechselseitigen Beziehungen sind sie aber kaum vorstellbar. Das ist die zentrale Erkenntnis der Veranstaltung.
Zu diesem Schluss kommt auch die Bundestagsabgeordnete Nadja Sthamer, die Klingbeil bei seiner jüngsten Reise nach Afrika begleitet hat. „Die neue multipolare Weltordnung hat für viele Staaten einen Vorteil, sie ist ein emanzipatorisches Versprechen, themenbezogen zu kooperieren und nicht aus Abhängigkeit“, sagt sie im Anschluss. „Es ist also jetzt an uns, dem mit partnerschaftlichen Angeboten zu begegnen und die internationalen Institutionen gerecht zu reformieren."
der Titel ist irreführend, denn ich frage mich-
mit vielen anderen genossen hier im Ort- ob es denn eine Dosierung von Demokratie gibt. Entweder Demokratie, oder Nichtdemokratie. Ein wenig Demokratie, ein bischen mehr Demokratie, nur nicht zuviel Demokratie usw......Das sind doch alles Abstufungen , die der Demokratie ansich abträglich sind.
Die internationale Ordnung, der Globale Süden und wir.
„Die SPD will mehr Demokratie wagen“ (19.3.), mit einer von „SPD-Chef Klingbeil“ entwickelten „modernen Nord-Süd-Politik“ (18.3.), und „so die internationale Ordnung gerechter machen“ (12.3.). „Gerechter“ ist treffend, denn sie gerecht zu machen, wäre wohl ein zu anspruchsvolles Ziel. Sich dabei an Willy Brandt anzulehnen, kann ebenfalls nicht schaden, obwohl Klingbeil dessen „Entwicklungsperspektive“ zu verbessern glaubt.
Klingbeil greift dazu viele gute Ideen auf, zu deren Verwirklichung er aber die „Vereinten Nationen“, den „UN-Sicherheitsrat“ und die „Weltbank“ an seiner Seite brauchte. Die werden auf den Parteivorsitzende einer U-20%-Partei, die, seien wir mal optimistisch, ein 86-Mio. Volk repräsentiert, dessen Staatsgebiet man auf einer Afrikakarte und dem Anhängsel Westeuropa mit einer Lupe suchen müsste, sicher nicht gewartet haben. Insbesondere die USA werden von Klingbeils Plan nicht begeistert sein, denn sie wollen ja nicht eine von ihnen dominierte Welt gegen eine multipolare Welt eintauschen. (Bestenfalls könnten sie sich auf die Formel einlassen, „die Welt ist groß genug für USA und China“.) Darum auch ihre „Entscheidung, die NATO auszudehnen“, ihre „Strategie der Großmächterivalität – vor allem mit China“ (Richard Haass: Blätter ..., 11(2021)66). Klingbeil wird durch dicke Bretter bohren müssen, falls er überhaupt die Gelegenheit zum Bohren bekommen wird.
„Gerechter machen“ will Klingbeil die internationale Ordnung, indem er den Staaten des Globalen Südens statt der „bisherigen Dominanz westlicher Staaten“ die „Augenhöhe“ anbietet. „Einbinden“ wird dann aber nicht funktionieren, sondern es muss um „gemeinsam neu binden“ gehen, weil „einbinden“ auf ein „deutliches Machtgefälle“ hinweist.
Klingbeil verschweigt in seiner Analyse, dass sein großzügiges Bemühen um die Länder des Globalen Südens nicht (nur) auf Altruismus und Einsicht in falsche Annahmen – „alle wollen so sein wie wir“ – beruht, sondern der Notwendigkeit geschuldet ist, dass wir uns durch unser Sanktionsregime von einem günstigen, gut erreichbaren Lieferanten für (fast) alle Bodenschätze und auch künftigen Wasserstoff abgeschnitten haben – selbst haben wir davon nämlich (fast) nichts. Wir müssen also, da unser Wirtschaftsmodell zentral auf der Veredelung von Rohstoffen beruht, neue Lieferanten suchen (- oder unser Wirtschaftsmodell aufgeben), von denen wir durch sehr viel Wasser getrennt sind, deren Gas z. B. nicht nur durch Herstellung und Transport sehr teuer, sondern auch unter Bedingungen produziert wird, die ökologischen Ansprüchen nicht genügen. Natürlich kennen die potentiellen neuen Lieferanten unsere Zwangslage, warten also nicht auf unsere „Augenhöhe“, sondern nehmen sie sich einfach. Vor allem werden sie sich nicht mehr auf unsere Erwartung von Wohlverhalten einlassen, weder - akut – im Ukraine-, im Gaza-Krieg oder sonstwo. Werteorientierte, feministische Außen- und Wirtschaftspolitik steht deshalb nicht an erster Stelle auf der Tagesordnung bei den Staaten des Globalen Südens. Mit ihr verbinden sie eher die versteckte Perpetuierung der „bisherigen Dominanz westlicher Staaten“, die ausdrücklich zu brechen nicht zuletzt zu BRICS geführt hat. Der Globale Süden hat nämlich nicht vergessen, dass das Problem mit dem Globalen Norden nicht war, wie Klingbeil behauptet, sie „alle wollen so sein wie wir“, sondern dass wir glaubten, sie „alle wären auf keinen Fall wie wir“.
Klingbeil überschätzt die Rolle Deutschlands, Europas, vor allem aber seine maßlos.
Und Russland in die Arme Chinas zu treiben, ist keine besonders kluger Geopolitik, -strategie.
Leider ist es wohl eine zu hohe Erwartung an die Evolution, wenigstens alle zwei, drei Generationen Persönlichkeiten wie Brandt und Bahr hervorzubringen.
Nachsatz: Wo bleibt eigentlich die Wertekommission der SPD? Schon bei den „Sozialdemokratischen Antworten auf eine Welt im Umbruch“ wurde sie vermisst (und vom Vorwärts versprochen).
Die internationale Ordnung, der Globale Süden und wir.
Die SPD will "mehr Demokratie wagen“ (19.3.), mit einer von „SPD-Chef Klingbeil“ entwickelten „modernen Nord-Süd-Politik“ (18.3.), und „so die internationale Ordnung gerechter machen“ (12.3.). „Gerechter“ ist treffend, denn sie gerecht zu machen, wäre wohl ein zu anspruchsvolles Ziel. Sich dabei an Willy Brandt anzulehnen, kann ebenfalls nicht schaden, obwohl Klingbeil dessen „Entwicklungsperspektive“ zu verbessern glaubt.
Klingbeil greift dazu viele gute Ideen auf, zu deren Verwirklichung er aber die „Vereinten Nationen“, den „UN-Sicherheitsrat“ und die „Weltbank“ an seiner Seite brauchte. Die werden auf den Parteivorsitzende einer U-20%-Partei, die, seien wir mal optimistisch, ein 86-Mio. Volk repräsentiert, deren Staatsgebiet man auf einer Afrikakarte und dem Anhängsel Westeuropa mit einer Lupe suchen müsste, sicher nicht gewartet haben. Insbesondere die USA werden von Klingbeils Plan nicht begeistert sein, denn sie wollen ja nicht eine von ihnen dominierte Welt gegen eine multipolare Welt eintauschen. (Bestenfalls könnten sie sich auf die Formel einlassen, „die Welt ist groß genug für USA und China“.) Darum auch ihre „Entscheidung, die NATO auszudehnen“, ihre „Strategie der Großmächterivalität – vor allem mit China“ (Richard Haass: Blätter ..., 11(2021)66). Klingbeil wird durch dicke Bretter bohren müssen, falls er überhaupt die Gelegenheit zum Bohren bekommen wird.
„Gerechter machen“ will Klingbeil die internationale Ordnung, indem er den Staaten des Globalen Südens statt der „bisherigen Dominanz westlicher Staaten“ die „Augenhöhe“ anbietet. „Einbinden“ wird dann aber nicht funktionieren, sondern es muss um „gemeinsam neu binden“ gehen, weil „einbinden“ auf ein „deutliches Machtgefälle“ hinweist.
Klingbeil verschweigt in seiner Analyse, dass sein großzügiges Bemühen um die Länder des Globalen Südens nicht (nur) auf Altruismus und Einsicht in falsche Annahmen – „alle wollen so sein wie wir“ – beruht, sondern der Notwendigkeit geschuldet ist, dass wir uns durch unser Sanktionsregime von einem günstigen, gut erreichbaren Lieferanten für (fast) alle Bodenschätze und auch künftigen Wasserstoff abgeschnitten haben – selbst haben wir davon nämlich (fast) nichts. Wir müssen also, da unser Wirtschaftsmodell zentral auf der Veredelung von Rohstoffen beruht, neue Lieferanten suchen (- oder unser Wirtschaftsmodell aufgeben), von denen wir durch sehr viel Wasser getrennt sind, deren Gas z. B. nicht nur durch Herstellung und Transport sehr teuer, sondern auch unter Bedingungen produziert wird, die unseren ökologischen Ansprüchen nicht genügen. Natürlich kennen die potentiellen neuen Lieferanten unsere Zwangslage, warten also nicht auf unsere „Augenhöhe“, sondern nehmen sie sich einfach. Vor allem werden sie sich nicht mehr auf unsere Erwartung von Wohlverhalten einlassen, weder - akut – im Ukraine-, im Gaza-Krieg oder sonstwo. Werteorientierte, feministische Außen- und Wirtschaftspolitik steht deshalb nicht an erster Stelle auf der Tagesordnung bei den Staaten des Globalen Südens. Mit ihr verbinden sie eher die versteckte Perpetuierung der „bisherigen Dominanz westlicher Staaten“, die ausdrücklich zu brechen nicht zuletzt zu BRICS geführt hat. Der Globale Süden hat nämlich nicht vergessen, dass das Problem mit dem Globalen Norden nicht war, wie Klingbeil behauptet, sie „alle wollen so sein wie wir“, sondern dass wir glaubten, sie „alle wären auf keinen Fall wie wir“.
Klingbeil überschätzt die Rolle Deutschlands, Europas, vor allem aber seine, maßlos.
Und Russland in die Arme Chinas zu treiben, ist keine besonders kluge Geopolitik, -strategie.
Leider ist es wohl eine zu hohe Erwartung an die Evolution, wenigstens alle zwei, drei Generationen Persönlichkeiten wie Brandt und Bahr hervorzubringen.
Nachsatz: Wo bleibt eigentlich die Wertekommission der SPD? Schon bei den „Sozialdemokratischen Antworten auf eine Welt im Umbruch“ wurde sie vermisst (und vom Vorwärts versprochen).