Was es bedeutet, als junge Frau im Bundestag zu sein
Wie sieht jemand aus, der in den Bundestag gewählt wurde? Offenbar nicht wie sie, musste die Leipziger Abgeordnete Nadja Sthamer feststellen. Anfangs, erinnert sich die 32-Jährige, wurde sie einmal „für die Sekretärin von einem Abgeordneten gehalten.“ Ihre Aachener Kollegin Ye-One Rhie hat ähnliche Erfahrungen gemacht: „Ich wurde oft gefragt, in welchem Büro ich denn arbeiten würde. Und ich antwortete: In meinem eigenen.“
Die Herausforderung, jung und weiblich zu sein
Sthamer und Rhie sind 2021 zum ersten Mal in den Bundestag eingezogen und haben in den vergangenen eineinhalb Jahren gelernt, was das heißt: Abgeordnete sein. Für die Regensburger Abgeordnete Carolin Wagner, ebenfalls seit 2021 im Bundestag, besteht die größte Herausforderung in der Themenvielfalt: „Es gibt Themen, die relevant sind, weil sie sich im öffentlichen Diskurs befinden, zum Beispiel der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine oder die Gaspreise. Andere Themen sind weniger im Fokus, aber dadurch nicht weniger relevant. Ich muss all das mitverfolgen und gleichzeitig in meinen eigenen Themenbereichen in die Tiefe gehen.“
Zu diesen Herausforderungen gesellt sich eine weitere hinzu: die, jung und weiblich zu sein. Sthamer musste sich von einem AfD-Abgeordneten, dessen Rede sie im Bundestag kritisiert hatte, anhören, sie solle mal „nicht so frech werden“. Einem Mann, glaubt Sthamer, hätte man so etwas wohl kaum gesagt. Rhie stellt fest: „Als junge Frau kämpft man immer gegen Stereotype. Man wird weniger ernst genommen.“ Hinzu käme das typische „Mansplaining“: „Egal, wie lange man als Frau schon dabei ist oder wie gut man im Thema drin ist: Manche Männer meinen, dass sie noch mal alles von Anfang an erklären müssen.“ Einen Vorteil sieht die 35-Jährige darin, dass es in der SPD-Fraktion nun generell viele Frauen gebe und sich so ein Kulturwandel erzwingen lasse.
Bundestagsmandat und Familie unter einen Hut bringen
Nadja Sthamer und Carolin Wagner sind jedoch nicht nur junge Politikerinnen – sie sind auch junge Mütter mit jeweils zwei Kindern. „Es braucht ein Dorf, um ein Kind zu erziehen, und wir sind als Familie ständig mit Planen und Absprechen beschäftigt, um dieses Dorf zu bauen“, erklärt Sthamer.
Sondersitzungen oder kurzfristige Änderungen im Berliner Plenarablauf brächten diese sorgfältige Planung durcheinander. Feste Abstimmungszeiten wie im Europaparlament, so Sthamer, würden all jenen mit Sorgeverpflichtungen helfen. Wagner bestätigt, dass es „große Koordination“ brauche, um die Aufgaben rund um das Bundestagsmandat und die der Familie irgendwie unter einen Hut zu bekommen – eine Koordination, die laut der 40-Jährigen nun dadurch herausfordernder wird, dass es nach drei Jahren Pandemie wieder mehr Termine gibt, auch am Wochenende.
Mehr Parität nützt allen
Im Bundestag und in ihrer Fraktion, das wird klar, fühlen die drei jungen SPD-Frauen sich trotz der Herausforderungen wohl. In Zukunft wünscht Ye-One Rhie sich noch mehr Vielfalt in der Bundestagsfraktion und generell den Mut „mehr junge und ungewöhnliche Kandidierende aufzustellen und ihnen eine Chance zu geben“. Für Nadja Sthamer lautet das Stichwort Parität: Man müsse daran arbeiten, dass Politik so möglich sei, dass nicht immer eine Person – egal, welchen Geschlechts – zurückstecken muss. „Ob mit oder ohne Kind“, so Sthamer, von mehr Parität würden am Ende alle profitieren.
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