SPD-Klimaexpertin Scheer: „Die Energiepreise müssen runter.“
Die Einführung des von der Bundesregierung geplanten Klimagelds stockt. Im Interview erklärt SPD-Klimaexpertin Nina Scheer, woran das liegt und warum das Sondervermögen für die Bundeswehr ein Vorbild für den Klimaschutz sein kann.
imago / ipon
Protest für das Klimageld am Bundestag: Die Einrichtung inklusive Auszahlungsweg ist komplex.
Mit der Erhöhung des CO2-Preises zum Beginn dieses Jahres nimmt der Druck zu, das geplante Klimageld endlich einzuführen. Warum ist es so schwierig, einen entsprechenden Auszahlmechanismus einzurichten?
Mit dem Koalitionsvertrag haben wir uns darauf verständigt, einen sozialen Kompensationsmechanismus zu entwickeln – wie dieser ausgestaltet ist und ab wann dieser greift, lässt er offen. Derzeit fließen die CO2-Einnamen unter anderem in die Fernpendlerpauschale. Weitere Entlastungen liegen in der Abschaffung der EEG-Umlage, die nun aus Haushaltsmitteln geleistet wird. Ab 2027 kommt es beim CO2-Preis zu einem Paradigmenwechsel: Die Höhe des Preises regelt sich dann am Markt, sodass CO2 auch teurer werden kann. Dann wird ein sozialer Kompensationsmechansimus umso bedeutsamer. Die Einrichtung inklusive Auszahlungsweg ist komplex und wird voraussichtlich 2024 in Anspruch nehmen.
Mit einer sozialen Staffelung des Klimageldes kann erreicht werden, dass Menschen mit geringen Einkommen mehr Unterstützung bekommen. Für eine Staffelung müssten zudem die Einkommenssteuerbescheide berücksichtigt werden, auch wenn das den Aufwand erhöht. Es brächte aber mehr Gerechtigkeit. Schließlich werden von reicheren Menschen durchschnittlich mehr CO2-Emissionen verursacht.
In Österreich gibt es mit dem „Klimabonus“ bereits seit einigen Jahren ein Auszahlsystem. Ließe sich das nicht einfach auf Deutschland übertragen?
Es gibt bei politischen Zielen häufig mehrere denkbare Wege. Ja, Österreich ist hier schneller. Hier ist die Digitalisierung fortgeschrittener und es waren mehr Daten verfügbar. Eine Übertragung des österreichischen Modells würde aber angesichts unterschiedlicher Voraussetzungen nicht zwingend Beschleunigung bringen.
Der Verbraucherzentrale Bundesverband hat für die Höhe eines möglichen Klimageldes eine Summe von 139 Euro festzusetzen. Ist das eine realistische Summe?
Der Betrag hängt von vielen Faktoren ab – etwa der Höhe des CO-2 Preises, oder ob man eine soziale Staffelung erreicht. Haushalte mit geringerem Einkommen sollten jedenfalls mehr Klimageld erhalten.
Nina
Scheer
Klimaschutz muss für die Menschen machbar sein und Spaß machen. Deswegen sind auch Modelle wie ein 9-Euro-Ticket oder Balkonkraftwerke so wertvoll.
Das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) dämpft die Erwartungen an die sozialen Ausgleichswirkungen des Klimagelds in einer Studie, die es im Dezember veröffentlicht hat. Muss es weitere Entlastungen für die Bürger*innen beim Energiepreis geben?
Ja, die Energiepreise müssen runter – und deswegen brauchen wir den beschleunigten Umstieg auf Erneuerbare Energien. Hier sind wir auf einem guten Weg. Weitere Beschleunigungsfaktoren sind in Arbeit oder folgen. Zusätzlich hat sich die Ampel auf ein soziales Klimageld als einen Ausgleich für künftig steigende CO2-Preise verständigt. Sicher hat dieses Instrument auch Schwächen:
Neoliberale Stimmen wollen Klimaschutz ausschließlich über den CO2-Preis regeln und sich mit einem Klimageld aus der Verantwortung für den sozialen Zusammenhalt stehlen. Im Mittelpunkt muss die Ermöglichung stehen. Für viele Menschen müssen wir die klimapolitischen Veränderungen erst ermöglichen. Für besagte 135 Euro im Jahr kann man sich keine neue Wärmepumpe leisten. Deswegen fördern wir den Umstieg auf Erneuerbares Heizen mit bis zu 70 Prozent. Solche Förderprogramme wollen CDU und CSU zugunsten eines hohen CO2-Preises und Klimageldes streichen. Wir Sozialdemokraten gehen einen anderen Weg und setzen auf Anreize zum Ausbau Erneuerbarer Energien. Klimaschutz muss für die Menschen machbar sein und Spaß machen. Deswegen sind auch Modelle wie ein 9-Euro-Ticket oder Balkonkraftwerke so wertvoll.
Ist all das unter den Vorgaben der Schuldenbremse überhaupt möglich?
In Zeiten herausfordernder Krisen und einem starken internationalen Wettbewerbsdruck um Zukunftstechnologien, etwa den Inflation Reduction Act in den USA, brauchen wir auch erweiterte ökonomische Handlungsmöglichkeiten. Deswegen müssen wir die Schuldenbremse weiterentwickeln und brauchen auch die Einrichtung eines Klimaschutz- und Transformationsfonds. Hier bietet das Sondervermögen für die Bundeswehr eine gute Vorlage.
Das Geld brauchen wir für den Umstieg auf Erneuerbarer Energien und die Sicherheit von Investitionen in Erneuerbare-Energien-Technologien, Speicher und alles, was mit diesem Transformationsprozess zusammenhängt. Es kann nicht sein, dass wir uns hier in die Abhängigkeit anderer Staaten und von internationalen Märkten begeben. Investitionen in den Umstieg auf Erneuerbare sind die nachhaltigsten Investitionen gegen hohe Energiepreise.
Das Interview wurde schriftlich geführt.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.
SPD-Klimaexpertin Scheer
Ich hatte vor einiger Zeit wegen eines Klimaanliegens an Nina Scheer geschrieben, jedoch bisher leider keine Antwort erhalten.
Hierbei ging es um ein Thema, bei dem ich leider bisher weder bei den Grünen noch bei meiner SPD weitergekommen bin.
Wie will man im Großen die Klimakatastrophe verhindern, wenn man nicht einmal gewillt ist, kleinere Probleme aus der Welt zu schaffen?
Irgendwann erscheint mir das ganze Gerede zu dem Thema unglaubwürdig zu werden.
Energiewende mit sinkenden Energiepreisen und Marktwirtschaft?
Wie soll das gehen können? Ich kann mir das nicht vorstellen.
Sehr gut, wie unsere Partei hier aufgestellt ist,
wer solche Expertinnen in seinen Reihen weiß, der muss sich um die Zukunft des Landes keine Sorgen machen. Prima, dass nun bald die Strompreise sinken werden
Nichts als Ratlosigkeit
Was Nina Scheer fordert, können wir weder in dieser Koalition noch unter Geltung der Schuldenbremse umsetzen. Genau genommen auch nicht mit Scholz, der weder an der Schuldenbremse noch an der Koalition rütteln will und dem sozialer Ausgleich auch nicht besonders wichtig ist.
Also meine Frage an Nina Scheer: Wo ist die Machtperspektive, die eine Umsetzung verspricht?
Es ist für jeden erkennbar, dass sie nicht existiert und auf absehbare Zeit nicht existieren wird. Von daher bleiben von Scheers Forderungen eigentlich nur die sozialen Zumutungen übrig, die Entlastung fällt aus. Die Rechnung für die (aus meiner Sicht weitgehend wirkungslosen) Klimapolitik zahlen in vielfacher Hinsicht die sozial Schwachen. Ihre Jobs fallen weg mangels günstiger Energie und Wettbewerbsfähigkeit. Die Energierechnungen steigen exorbitant, was sie besonders hart trifft. Der versprochene soziale Ausgleich fällt aus.
Das Eigentor der SPD ist perfekt. Die Gründe für die Stärke der AfD sind hausgemacht und werden weiter perpetuiert. Wann kehrt hier wieder Ehrlichkeit ein, dass diese Art von Klimapolitik und hirnloser Transformation nur verbrannte Erde hinterlässt und die SPD nur dabei verlieren kann?