Migrationskonzept: Wie eine SPD-AG die Zuwanderung neu ausrichten will
Mit einem umfassenden Migrationskonzept will die Arbeitsgemeinschaft Migration und Vielfalt der SPD die emotionale Debatte über Zuwanderung versachlichen. Abschiebungen sollen nur noch als „Ultima Ratio“ stattfinden. Die Vorschläge zielen auch auf die laufenden Koalitionsverhandlungen.
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Deutschkurs für Migranten (Symbolfoto): Die SPD-Arbeitsgemeinschaft Migration und Vielfalt will die Migrationspolitik neu ausrichten.
Migration war das bestimmende Thema des Bundestagswahlkampfs – nach den Anschlägen von Magdeburg, Aschaffenburg und München allerdings emotional sehr aufgeladen. Die Arbeitsgemeinschaft Migration und Vielfalt plädiert nun dafür, statt „bauchgefühlgetrieben“ zu diskutieren, „den Fokus auf sachliche und rationale Argumente zu richten“. Dafür hat die AG ein zwölfseitiges Migrationskonzept erarbeitet. „Wir wollen mit einem eigenen Konzept die Debatte neu und anders aufrollen“, nennt der AG-Vorsitzende Aziz Bozkurt als Ziel. „Unser Migrationskonzept zielt darauf ab, die strukturellen Probleme unserer Gesellschaft zu lösen, ohne Migration als Ursache dieser Probleme zu missbrauchen.“,
Zuwanderung nicht als Auslöser, sondern als „Brennglas“ sozialer Probleme
„Um Deutschland zu einem modernen und attraktiven Einwanderungsland weiterzuentwickeln, bedarf es endlich der Abkehr eines defizitorientierten Blicks und einer Entkopplung von Sicherheits- und Migrationspolitik“, heißt es in dem Papier. „Migration darf nicht ausschließlich unter Sicherheitsaspekten betrachtet werden.“
Stattdessen müsse sich die SPD dafür einsetzen, Migration „als festen Bestandteil einer progressiven Sozialpolitik zu verankern“. Zuwanderung sei nicht der Auslöser, sondern „ein Brennglas“ für Probleme wie Wohnungsnot, ungleiche Chancen am Arbeitsmarkt und Probleme im Bildungsbereich. Migration könne daher ein „Katalysator“ sein „für umfassende Reformen und soziale Gerechtigkeit, die allen zugutekommt“.
Damit das gelingt, will die AG Migration und Vielfalt, ein „Ministerium für Migration und gesellschaftliche Teilhabe“ einrichten – eine Forderung, die sich auch an die Koalitionsverhandlungen von CDU/CSU und SPD richtet, die zurzeit in Berlin stattfinden. Ein solches Ministerium soll auch dazu beitragen, eine „bewusst gestaltete ‚Willkommenskultur‘“ zu fördern. Als Vorbild nennt die SPD-Arbeitsgemeinschaft Kanada, wo frisch Zugewanderte im ersten Jahr freien oder ermäßigten Eintritt bei vielen Kultureinrichtungen hätten. Auch Einbürgerungszeremonien sollten ansprechender gestaltet werden.
Automatische Staatsbürgerschaft nach 25 Jahren
Ausländer*innen, die seit 25 Jahren in Deutschland leben, sollen nach dem Willen der AG Migration und Vielfalt künftig automatisch die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten – „es sei denn, sie widersprechen aktiv“. Langfristig sollen auch Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft in Deutschland wählen dürfen, „auf kommunaler, Landes- und Bundesebene“. Das kommunale Wahlrecht will die Arbeitsgemeinschaft schon vorher auf „Drittstaatenangehörige“ ausweiten. Bisher dürfen nur EU-Bürger*innen die kommunalen Parlamente in Deutschland wählen.
Einen großen Bereich im Migrationskonzept nimmt der Umgang mit Geflüchtete ein. Nach dem Willen der AG Migration und Vielfalt sollen sie „bereits ab dem ersten Tag Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten“. Über eine neue „Schnittstelle“ zwischen Ausländerbehörden, der Bundesagentur für Arbeit und den Jobcentern sollen Geflüchtete zudem „aktiv über Arbeitsmöglichkeiten informiert und Unternehmen bei der Besetzung offener Stellen unterstützt“ werden. Darin sieht die SPD-AG Vorteile für beide Seiten: „Der Arbeitsmarkt erhält dringend benötigte Arbeitskräfte, während die Betroffenen endlich eine zukunftsfähige Perspektive in Deutschland erhalten.“
Abschiebungen nur noch als als „Ultima Ratio“
Nach dem Vorbild Spaniens macht sich die AG Migration und Vielfalt auch dafür stark, selbst „Menschen in aufenthaltsrechtlicher Illegalität“ eine Bleibeperspektive in Deutschland zu bieten. So sollen auch ausreisepflichtige Personen „unter bestimmten Bedingungen“ in Deutschland bleiben dürfen, wenn sie etwa bereit sind, ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten, grundsätzliche Deutschkenntnisse vorweisen können und nicht wegen vorsätzlicher Straftaten verurteilt worden sind.
Abschiebungen sollen nur noch als „Ultima Ratio“ stattfinden, etwa bei Intensiv-Straftäter*innen oder bei einem „wiederholten Missbrauch von Schutzsystemen“. Die AG Migration und Vielfalt sieht darin eine „pragmatische, humanitäre und rechtsstaatliche Haltung zur Rückführungspolitik, bei der Abschiebungen nur als allerletztes Mittel in klar definierten Fällen“ möglich sein sollten. In ihrem Sondierungspapier hatten sich Union und SPD dagegen darauf verständigt, Migration nach Deutschland künftig stärker zu begrenzen und eine „Rückführungsoffensive“ für ausreisepflichte Ausländer zu starten.
Alle aktuellen Entwicklungen in den Koalitionsverhandlungen gibt es hier in unserem Ticker.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.
grossartige Ideen, rein damit in die
Koalitionsverhandlungen, und dort vehement durchsetzen. Was will merz denn machen, mit der AfD gehen? Kann er nicht, also wird das, was wir fordern, auch umgesetzt werden (müssen)
Warum ?
Ich verstehe das einfach nicht. Natürlich ist das eine wirklich grausame Sache, wenn man jemanden praktisch mit Gewalt außer Landes schafft, aber welche Handlungsmöglichkeiten hat denn der Staat sonst ? Insbesondere dann, wenn sich manche einfach auch schlichtweg nicht integrieren wollen. Wie soll man damit umgehen? Da bleibt die Politik einfach wieder eine Amtwort schuldig und nochmal, ich weiß es ist eine wirklich unschöne Sache, aber immerhin bedeutet die Alternative doch mehr oder weniger völlige Handlungsfähigkeit oder verstehe ich einfach irgendwas an dem gesamten System nicht?
ich verstehe Ihren Ansatz nicht, es ist ja nicht
gottgegeben, das in der Geographie, also den Bereich von Längen- und Breitengrad, den einmal deutsche bewohnt haben, auch zukünftig deutsche leben müssen. Einen Integrationszwang darf es nicht geben, davor schützt schon das GG mit dem Rechtsstatus der ethnischen Minderheiten, dem Diskriminierungsverbot und vielem anderen mehr. Dieser teil der Erde war schon bewohnt von Menschen, lange bevor hier Deutsche lebten, er wird auch nach den Deutschen bewohnt bleiben, von wem alles, das wird die Zukunft erweisen