Meinung

Extrem rechte FPÖ soll regieren: Österreich, ein abschreckendes Beispiel

Die Parteien der Mitte sind in Wien krachend gescheitert – und öffnen dem Rechtsextremisten Herbert Kickl die Tür zum Kanzleramt. Wie konnte es soweit kommen?

von Robert Misik · 8. Januar 2025
Nach dem geplatzten Koalitionsverhandlungen der Mitte-Parteien besucht der Vorsitzdende der FPÖ Herbert Kickl den Bundespräsidenten.

Nach dem geplatzten Koalitionsverhandlungen der Mitte-Parteien besucht der Vorsitzdende der FPÖ Herbert Kickl den Bundespräsidenten.

Aus den Geschichtsbüchern haben wir gelernt, dass Demokratien am Abgrund stehen und die Freiheit bedroht ist, wenn die Demokrat*innen der Parteien der Mitte fatale Fehlhandlungen setzen, Kettenreaktionen auslösen und so Antidemokrat*innen an die Macht bringen. In Österreich erlebt das teils staunende, teils entsetzte Publikum gerade, wie sich womöglich genau ein solches Stolpern ins Desaster vollzieht. 

Vergangenen Montag musste Bundespräsident Alexander van der Bellen den rechten Scharfmacher und Vorsitzenden der Freiheitlichen Partei (FPÖ), Herbert Kickl, mit der Regierungsbildung betrauen – weil ihm einfach alle anderen und besseren Optionen ausgegangen sind. Davor waren die Koalitionsverhandlungen zwischen konservativer Volkspartei, den Sozialdemokrat*innen und den NEOS in einem Fiasko geendet und gescheitert – drei Parteien, die allesamt eigentlich eine Regierung mit Herbert Kickl ausgeschlossen hatten. 

Die Volkspartei hat nach dem Verhandlungs-GAU ihren bisherigen Kanzler und Vorsitzenden, Karl Nehammer, kurzerhand entsorgt und sich in einer 180-Grad-Wendung zu Verhandlungen mit der FPÖ bereit erklärt – und damit auch dazu, als Juniorpartner in eine Regierung mit Kickl als Kanzler einzutreten. 

Putins Pudel und Freund der Identitären

Der zelebriert nun seinen Triumph. In einer ersten öffentlichen Stellungnahme am Dienstag zeigte er sich nicht etwa staatstragend, moderat und konziliant, sondern hielt eine scharfe Rede, deren Botschaft im Grunde war: Die ÖVP müsse zu Kreuze kriechen, sich vor ihm in den Staub werfen und ihm huldigen. Die „ausgestreckte Hand“ war in Wirklichkeit eine ausgestreckte Faust.

Nach dieser vergifteten „Einladung“ zu Verhandlungen dürfte bei der ÖVP helle Panik ausgebrochen sein. Herbert Kickl, der seine FPÖ bei den Nationalratswahlen auf 29 Prozent der Wählerstimmen und auf Platz eins brachte, ist kein bloßer polternder Rechtspopulist, sondern ein kalter, extremer Rechter und Ideologe. In sein Wahlprogramm schrieb er die Forderung nach einer „Homogenisierung der Bevölkerung“, er sagt, „machen wir’s dem Orban nach“, er hat die groteskesten Impfgegner-Demonstrationen angeführt, er ist Putins Pudel und Freund der Identitären. 

Robert 
Misik

Kickl ist weniger Meloni und viel mehr Höcke.

Für sein Verhandlungsteam sind Leute im Gespräch, gegen die aktuell wegen des Verdachts auf nationalsozialistische Wiederbetätigung ermittelt wird (Anm. d. Red.: im österreichischen Strafrecht sind damit verbotene Aktivitäten gemeint, die den Nationalsozialismus wiederbeleben könnten). Kickl ist weniger Meloni und viel mehr Höcke. Im Wahlkampf hat er das Internet mit Sprüchen geflutet wie „am Wahltag stürzen wir das System“, und gebrüllt, er habe schon „Fahndungslisten“. 

So haben sich die Mitte-Parteien überworfen

Die Konservativen von der ÖVP flüchten sich jetzt von Kickls „Fahndungslisten“ auf seine „Ministerlisten“. Kickl hat seine Partei in den vergangenen fünf Jahren signifikant radikalisiert, er hat auch gespürt, dass ein verwandelter Zeitgeist nicht mehr – wie bei früheren Chancen auf Regierungsbeteiligung – eine Mäßigung verlangt, vielmehr hat er auf extreme Zuspitzung gesetzt. Man sollte eher nicht darauf wetten, dass eine Kickl-Kanzlerschaft ähnlich glimpflich ausgeht wie frühere FPÖ-Regierungsbeteiligungen. Wahrscheinlicher ist vielmehr, dass Österreich Gefahr läuft, neben Ungarn und der Slowakei zum nächsten Land in der EU zu werden, das in echtes autoritäres Fahrwasser gerät. 

Dass es soweit kommen konnte, ist einer Abfolge von Vabanquespielen und Abenteurertum zu verdanken, und zudem der schwierigen wirtschaftlichen und budgetären Lage des Landes. Österreich droht ein Bundesdefizit von vier Prozent oder mehr in den nächsten Jahren, weshalb der Konsolidierungsdruck immens ist. Letztendlich haben sich Konservative, Sozialdemokrat*innen und Liberale in den harten Verhandlungen ideologisch verhakt, Bankenlobbys, Industriellenvereinigung und Immobilienkonzerne wollten keinen Beitrag zur Sanierung leisten und haben die konservativen Verhandler gezwungen, hier keinen Millimeter nachzugeben. 

Die Sozialdemokrat*innen wiederum lehnten ein reines Austeritätsprogramm verständlicherweise ab. Die zwischenmenschliche Atmosphäre war auch nicht immer perfekt. Am Ende warfen die NEOS in einer offensichtlich kopflosen Panikreaktion hin, was die Gespräche zum Platzen brachte und die fatale Kettenreaktion auslöste, die für Kickl das Tor zur Kanzlerschaft weit aufmachte.

„Russisches Roulette mit der Republik"

Alles in allem ist das von einer Verantwortungslosigkeit, die unverzeihlich ist. Ein paar Leute hatten ihr Rendezvous mit der Geschichte und haben es dramatisch vergeigt. Sie haben „russisches Roulette mit der Republik“ gespielt (so nannte es „Standard"-Chefredakteur Gerold Riedmann)

Die große Mehrheit der Insider*innen und Kommentator*innen geht jetzt davon aus, dass Herbert Kickl mit den Konservativen, die einen farblosen Apparatschik als ihren Not-Parteichef installierten, eine Regierung zustande bekommen wird. Freilich ist Österreichs Innenpolitik in den letzten Jahren geprägt von irren Wendungen und unerwarteten Kapriolen, sodass man mit Vorhersagen zurückhaltend sein muss. Auch Neuwahlen, völliges Chaos, die Bildung einer Notregierung „der nationalen Einheit“ oder am Ende sogar von Minderheitsregierungen welcher Zusammensetzung auch immer, sind denkbar, zumal nach Herbert Kickls Schockrede in Richtung ÖVP vielen in den Reihen der Konservativen mittlerweile dämmern dürfte, dass sie sich in eine existenzgefährdende Sackgasse begeben haben. 

Das Fazit aus dem bisher Geschehenen ist aber auch ein Lehrstück über Österreich hinaus: Polarisierung, überhitzte Rhetorik und eine Sprache der Radikalisierung haben nicht nur die extreme Rechte gestärkt, sondern auch die Gesprächsbasis unter den Parteien der linken und rechten Mitte so stark beschädigt, dass sie nicht einmal mehr zum Minimum an staatspolitischer Verantwortung fähig sind. Vielleicht kann sich Österreich in diesem Sinne wenigstens ein bisschen nützlich machen – nämlich als abschreckendes Beispiel. 

Autor*in
Robert Misik
ist Journalist und politischer Autor. Er lebt in Wien.

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Gespeichert von Helmut Gelhardt (nicht überprüft) am Mi., 08.01.2025 - 12:30

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Diesen sehr informativen Beitrag von Robert Misik sollten sich alle Sozialdemokraten, Sozialisten, Linken, Ökosozialisten gut einprägen und künftig die richtigen Schlüsse daraus ziehen.

Und es führt kein Weg daran vorbei: Die soziale Gerechtigkeit muss mit der ökologischen Gerechtigkeit - die ökologische Gerechtigkeit mit der sozialen Gerechtigkeit unlösbar verbunden sein/werden/bleiben. Andernfalls enden wir als Einzelwesen und als Gesellschaft in der Katastrophe.

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