International

Verhandlungen von FPÖ und ÖVP in Österreich: „Da gibt es ein Drehbuch“

Nach dem Ende der Koalitionsverhandlungen zwischen ÖVP, SPÖ und Neos in Österreich warnt Wiens Landeshauptmann Michael Ludwig vor einer Kanzlerschaft des FPÖ-Politikers Herbert Kickl. Gleichzeitig erhebt er Vorwürfe gegen die ÖVP – und kündigt Widerstand an.

von Kai Doering · 10. Januar 2025
Die SPÖ hat den Verhandlungstisch nicht verlassen, sagt Wiens Landeshauptmann Michael Ludwig.

Die SPÖ hat den Verhandlungstisch nicht verlassen, sagt Wiens Landeshauptmann Michael Ludwig.

Wie bewerten Sie das Ende der Koalitionsverhandlungen zwischen ÖVP, SPÖ und NEOS?

Ich bedauere es sehr, dass es zu keiner Koalition der politischen Mitte gekommen ist. Ich habe bis zur letzten Minute alle meine Möglichkeiten eingesetzt, damit die Gespräche doch gut zu einem konstruktiven Ende geführt werden. Und die SPÖ hat den Verhandlungstisch auch nicht verlassen. Es waren die Liberalen und anschließend die ÖVP, die die Verhandlungen abgebrochen haben. Die Alternative, jetzt Herbert Kickl zum Bundeskanzler zu machen, ist nicht nur für Österreich, sondern darüber hinaus für das gemeinsame Europa von großem Nachteil.

Hat es Sie überrascht, dass sich ÖVP und FPÖ so schnell auf Gespräche geeinigt haben, nachdem die ÖVP monatelang öffentlich gesagt hatte, mit der FPÖ werde sie nicht regieren?

Leider gibt es ja ein Drehbuch für eine solche Entwicklung. In fünf Bundesländern in Österreich ist die FPÖ bereits an der Landesregierung beteiligt. Bei der letzten Landtagswahl in der Steiermark ist die FPÖ nicht nur die stärkste Partei geworden, sondern stellt auch den Landeshauptmann, also Ministerpräsidenten. Und es war eigentlich immer dasselbe Drehbuch, nach dem sich die ÖVP zunächst als große Kämpferin gegen die FPÖ präsentiert hat. Nach der Wahl hat sie dann zunächst eine Ehrenrunde mit der SPÖ gedreht, um nach kurzen Gesprächen zu sagen, dass die SPÖ zu viele linke Forderungen stellt, um dann mit der FPÖ eine Koalition zu bilden.

Mit dieser Vorgeschichte ist die Entwicklung auf Bundesebene jetzt nicht ganz überraschend gekommen und offensichtlich aus bestimmten Kreisen der Wirtschaft und der Industrie auch forciert worden. Ich bedauere das auch deshalb sehr, weil ich glaube, auch die Wirtschaft übersieht, dass eine FPÖ-Regierung mit Sicherheit auch negative Auswirkungen auf den Wirtschaftsstandort Österreich haben wird. Das ist alles sehr kurzsichtig.

Michael
Ludwig

Kickl hat selbst gesagt, er trage die Behauptung, ein Rechtsextremer zu sein, wie einen Orden vor sich her.

Was wäre von einem Bundeskanzler Herbert Kickl zu erwarten?

Mit Sicherheit ein starker Rechtsruck, der bedeutet, dass viele Institutionen, die in der Zweiten Republik aufgebaut worden sind, zur Disposition stehen. Beispielsweise der öffentlich-rechtliche Rundfunk. Auch die Justiz könnte massiv unter Druck geraten. Die FPÖ hat sich immer wieder in dieser Richtung geäußert. Es ist aber wichtig, dass die Justiz auch in Zukunft unabhängig arbeiten kann. Herbert Kickl und die FPÖ haben auch intensiven Kontakt zur Identitären Bewegung. Kickl hat selbst gesagt, er trage die Behauptung, ein Rechtsextremer zu sein, wie einen Orden vor sich her. Die Sorgen vieler Menschen in unserem Land, die gerade formuliert werden, sind also sicher nicht unbegründet.

Und aus europäischer Perspektive?

Hier wäre eine FPÖ-Regierung ein weiterer Schritt, dass rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien auch innerhalb der Europäischen Union an Einfluss gewinnen. Meine große Sorge ist, dass zu dem ohnehin starken Druck, den es von außen auf das gemeinsame Europa gibt, durch Russland, aber auch durch die Politik von Donald Trump in den USA, ein Druck von innen hinzukommt. Österreich würde sich dann einreihen in ein Ungarn unter Victor Orbán und ein Italien, in dem die Neofaschistin Giorgia Meloni regiert. Ich habe aber die Hoffnung, dass die Städte ein Bollwerk gegen diese Entwicklung bilden können, weil hier häufig großer Wert auf demokratische Entwicklungen gelegt wird.

Sie haben bereits angekündigt, dass Wien ein „starkes Gegengewicht zu den bundespolitischen Entwicklungen“ in Österreich sein soll. Wie kann das aussehen?

Ein Schwerpunkt unserer Politik liegt auf dem Miteinander in der Gesellschaft. Gerade dieser gesellschaftspolitische Ausgleich, dieses Miteinander in einer Stadt wie hier in Hamburg oder auch in Wien, ist ein gutes Gegenmodell gegen rechtspopulistische und rechtsextreme Gruppen, die immer das Trennende in den Vordergrund rücken, durchaus auch mit Hassparolen. Wir stellen uns schon auf harte politische Konfrontationen ein.

Michael
Ludwig

Hamburg, Wien und Zürich sind nicht nur alle sozialdemokratisch regiert, sondern auch sehr innovative Städte.

Wien und Hamburg haben auf den ersten Blick nicht viel gemeinsam. Was verbindet die beiden Städte?

Zunächst mal sind beides sehr erfolgreiche Städte. Und das zeigt sich darin, dass beides attraktive Wirtschaftsstandorte sind, die sehr oft in Kooperation mit universitären und wissenschaftlichen Einrichtungen arbeiten. Beides sind aber auch Städte, die den sozialen Ausgleich in den Vordergrund stellen. Und bei Peter Tschentscher merkt man, dass diese Verbindung von Visionär auf der einen Seite und pragmatischer Umsetzer auf der anderen Seite, für die Bevölkerung eine sehr gute Entwicklung bedeuten. In Hamburg sind die funktionale Durchmischung was das Arbeiten, leistbares Wohnen, Kultur und Freizeiteinrichtungen betrifft, aber auch die soziale Durchmischung wichtige Postulate, die auch in der täglichen Politik Umsetzung finden.

Peter Tschentscher und Sie sind 2018 mit nur wenigen Wochen Abstand ins Amt gekommen. Schafft das eine Verbindung?

Wir hatten schon vorher eine sehr gute Verbindung. Bevor wir Bürgermeister wurden, war ich Wohnbaustadtrat in Wien, Peter Tschentscher war in Hamburg für Finanzen zuständig und hat in dieser Zeit schon viele erfolgreiche Projekte eingeleitet, wie beispielsweise die kostenfreie Kita und die kostenfreie Ganztagsschule. Als Bürgermeister haben wir einen sogenannten Trilog gemeinsam mit Zürich, in dem wir uns regelmäßig einmal im Jahr in einer der drei Städte treffen, um uns dann auch Zukunftsprojekte in der jeweiligen Stadt anzuschauen und zu überlegen, ob die anderen Städte davon lernen können. Hamburg, Wien und Zürich sind nicht nur alle sozialdemokratisch regiert, sondern auch sehr innovative Städte. Das beginnt bei Organisation der Daseinsvorsorge und reicht bis zum Klimaschutz.

Im vergangenen Jahr wurde Wien erneut zu lebenswertesten Stadt gekürt. Was können sich andere Städte abgucken?

Diese Rankings, in denen Wien regelmäßig sehr gut abschneidet, freuen uns natürlich. Hamburg und Zürich stehen uns aber in vielem nichts nach. Und es ist sicher kein Zufall, dass alle drei sozialdemokratisch regiert sind. Wir verbinden wirtschaftliche Kompetenz mit sozialem Ausgleich. Wir bewahren auf der einen Seite, was wichtig ist in unseren Städten, schauen aber gleichzeitig auch in die Zukunft. Ich glaube, das schätzt auch die Bevölkerung, weil die Menschen wissen, dass wir das mit ehrlichen Ambitionen tun und nicht persönliche Interessen in den Vordergrund rücken, sondern das Gemeinsame auch in unserer Politik umsetzen.

Das Interview wurde am Rande des Wahlkampfauftakts der SPD Hamburg am Dienstagabend geführt.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

Weitere interessante Rubriken entdecken

Noch keine Kommentare
Schreibe einen Kommentar

Klartext

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
  • Website- und E-Mail-Adressen werden automatisch in Links umgewandelt.