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Frankreich: Wird Lucie Castets neue Premierministerin?

Zwei Wochen nach der Wahl haben sich alle Fraktionen der Linken Volksfront auf eine gemeinsame Kandidatin geeinigt: Lucie Castets soll Premierministerin werden. Wer ist die Frau, deren Name auch in Frankreich noch weitgehend unbekannt ist?

von Kay Walter · 24. Juli 2024
Das bei der jüngsten Parlamentswahl erfolgreiche Linksbündnis hat Lucie Castets als neue Premierministerin vorgeschlagen. Präsident Macron will erst nach Olympia darüber entscheiden.

Das bei der jüngsten Parlamentswahl erfolgreiche Linksbündnis hat Lucie Castets als neue Premierministerin vorgeschlagen. Präsident Macron will erst nach Olympia darüber entscheiden.

Genau eine Stunde bevor Macron sein großes „Sommerinterview“ im TV gab, hat sich die Nouveau Front Populaire (NFP) endlich einigen können und ziemlich überraschend einen von allen Fraktionen inklusive des La France Insoumise von Mélenchon (LFI) unterstützten Vorschlag unterbreitet: Die 37-jährige, auch in Frankreich weithin unbekannte, Ökonomin Lucie Castets vom linken Flügel der Parti Socialiste (PS) soll die nächste Premierministerin werden. 

Entscheidung erst nach Olympia

Weißer Rauch. Endlich, wenn auch nur vorläufig. Denn entscheiden kann und muss Präsident Macron ganz allein. Und der hat gestern Abend bereits angekündigt, sich Zeit lassen zu wollen, zumindest bis zum Ende der Olympischen Spiele. Wörtlich erklärte Macron live und zur besten Sendezeit im Fernsehen: „Es geht nicht darum, einen Namen zu nennen“, um dann deutlicher werdend hinzuzufügen: „Es wäre falsch, zu sagen, dass die Neue Volksfront eine Mehrheit hat.“ 

Er werde erst nach den Olympischen Spielen entscheiden, wen er zum Premier mache. Dabei ginge es vor allem darum, eine Person zu finden, die im Parlament reale Mehrheiten organisieren und konkrete Politik auch beschließen, einen Haushalt verabschieden und das Land voranbringen könne.

Überraschung für Macron

„Ich denke, Emmanuel Macron war von unserer Ankündigung überrascht“, sagte Olivier Faure in Le Monde. „Das (die Einigung) hatte er nicht erwartet.“ Der PS-Vorsitzende hatte den Namen Lucie Castets am Montag ins Spiel gebracht.

Lucie Castets wurde 1987 in Caen in der Normandie geboren und absolvierte den klassischen Bildungsweg der französischen Bildungseliten. Sie studierte politische Ökonomie und öffentliches Recht an der Sciences Po und der London School of Economics und schloss 2013 ihr Studium an der Ecole Nationale d'Administration (ENA) ab. 

Pariser Bürgermeisterin nennt sie eine „geniale Frau“

Danach arbeitete sie im Finanzministerium, unter anderem als Direktorin der Steuerfahndung, bevor sie 2020 Finanzchefin von Paris wurde. Bürgermeisterin Anne Hidalgo lobte ihre Finanzdirektorin denn auch unmittelbar nach der Nennung ihres Namens als „geniale Frau“ und „sehr gute Finanzdirektorin“.

Parteifreund*innen behaupten zudem, es sei ein Irrtum, ja ein Fehler, Castets auf die Rolle der Technokratin und Staatsbeamtin zu reduzieren. Sie sei im Gegenteil ein ausgesprochen politischer Kopf, was auch ihre Mitarbeit beim „Festival des idées“, einer linken Sommeruni, beweise.

Kaum kritische Äußerungen

Die rechte Opposition hat naturgemäß einen anderen Blick auf die Kandidatin. Noch gibt es aber kaum kritische Äußerungen, schon weil viele mit der Person Lucie Castets (noch) nichts verbinden können. Lediglich Sébastien Chenu vom rechtsradikalen RN warf Castets vor, in der Hauptstadt für ein Milliardendefizit verantwortlich zu sein und nun sicher nach dem Motto zu verfahren: „Ich habe Paris ruiniert, ich kann es auch für Frankreich tun“.

Es ist Mitte Juli, ganz Frankreich ist in den Ferien. Insofern kann Präsident Macron mit gewissem Recht darauf verweisen, jetzt nicht entscheiden zu müssen. Und ja, die Durchführung der Olympischen Spiele gilt allgemein als nationale Aufgabe. Ziel ist, die französische Grandeur zu beweisen und die besten, schönsten und tollsten Spiele zu bereiten, die die Welt je gesehen hat. Kleiner geht es nicht. Insofern ist mit einer Entscheidung nicht vor Mitte bis Ende August zu rechnen, wahrscheinlich wird es auch September.

Druck auf Macron wächst

Klar ist aber auch: Der Druck auf Macron, sich erklären zu müssen wird von Woche zu Woche steigen. Gleichzeitig tritt sein durchsichtiger Versuch, Zeit zu gewinnen, um eine Zentrum-Rechts-Majorität ohne Beteiligung der linken Volksfront – vor allem ohne den LFI – auszuloten, immer offener zu Tage.

Aber, wie es der Pariser PS-Abgeordnete Emmanuel Grégoire formuliert: „Emmanuel Macron kann nicht mehr das Argument unserer Unfähigkeit zur Einigung vorbringen. Der Präsident wird nun verpflichtet sein, Stellung zu beziehen. Entweder akzeptiert er unseren Vorschlag oder er kommt in Konfrontation mit den Franzosen, die uns die Mehrheit gebracht haben.“

Auch wenn es sich „nur“ um eine relative Mehrheit handelt, die Wahlen haben die Volksfront eindeutig zur stärksten Kraft gemacht – vor Macrons Lager. Und die Französinnen und Franzosen haben nicht allein gegen die Rechtsradikalen votiert, sie haben auch deutlich zum Ausdruck gebracht, dass sie ein „Weiter-So“ mit der Politik von Macron weder wollen noch akzeptieren. 

Das wird der Präsident berücksichtigen müssen, will er nicht auf einen ausgesprochen heißen Herbst zusteuern, um nicht zu sagen, einen solchen provozieren.

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Kay Walter

ist freiberuflicher Journalist in Paris.

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2 Kommentare

Gespeichert von Armin Christ (nicht überprüft) am Do., 25.07.2024 - 07:25

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Soweit mir bekannt ist Frau Lucie Castets parteilos.
Über ihre bisherige Tätigkeit werden wir in diesem Artikel leider nicht informiert, es geht schlichtweg nur wieder um eine Personalisierung von Politik. Für Macron ist sie wegen der Aufspürung und Verfolgung reicher Steuerflüchtlinge wohl nicht so wünschenswert.

Gespeichert von Jonas Jordan am Do., 25.07.2024 - 09:01

Permalink

Dann haben Sie die folgenden beiden Absätze aber etwas unaufmerksam gelesen:

 

Lucie Castets wurde 1987 in Caen in der Normandie geboren und absolvierte den klassischen Bildungsweg der französischen Bildungseliten. Sie studierte politische Ökonomie und öffentliches Recht an der Sciences Po und der London School of Economics und schloss 2013 ihr Studium an der Ecole Nationale d'Administration (ENA) ab. 

 

Danach arbeitete sie im Finanzministerium, unter anderem als Direktorin der Steuerfahndung, bevor sie 2020 Finanzchefin von Paris wurde. Bürgermeisterin Anne Hidalgo lobte ihre Finanzdirektorin denn auch unmittelbar nach der Nennung ihres Namens als „geniale Frau“ und „sehr gute Finanzdirektorin“.