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Das Wunder von Frankreich: Wie der Rechtsruck abgewendet wurde

Die französischen Wähler*innen haben gesprochen: Sie wollen keine Rechtsradikalen in der Regierung. Das französische Parlament muss nun etwas tun, mit dem es keine Übung hat.

von Kay Walter · 8. Juli 2024
Konnte die Anzahl der Mandate in der französischen Nationalversammlung verdoppeln: die Parti Socialiste um Parteichef Olivier Faure

Konnte die Anzahl der Mandate in der französischen Nationalversammlung verdoppeln: die Parti Socialiste um Parteichef Olivier Faure

Auch die kühnsten Prognosen haben das Ergebnis der zweiten Abstimmung zur französischen Nationalversammlung nicht vorausgesehen. Die Linke ist mit 182 Mandaten Wahlsiegerin, sie stellt die stärkste Gruppe im Parlament. Macrons Lager, das ist eine mindestens ebenso große Überraschung, folgt auf Platz zwei, erreicht 168 Sitze. Deutlich hinter den Erwartungen blieb dagegen der Rassemblement National (RN). Die Rechtsradikalen um Marine Le Pen landeten mit 143 Mandaten nur auf dem dritten Platz.

Die Parti Socialiste verdoppelt die Zahl ihrer Mandate

Die Linke hat Grund zum Feiern. Und das tat sie denn auch: Viele junge Leute draußen auf der Place de la République in Paris, die Parti Socialiste (PS) im Bellevilloise, einer traditionsreichen Halle, in der die französische Gewerkschaftsbewegung ihren Ursprung hat und in der schon der bekannte Reformsozialist Jean Jaures redete. Fast unmittelbar nach der ersten Prognose trat Jean-Luc Mélenchon vor die Mikrofone und forderte Präsident Macron auf, das Linksbündnis NFP mit der Regierungsmacht zu betrauen. Er meinte vor allem: Ihn, Mélenchon – der nicht einmal selbst kandidiert hat – zum Premier zu ernennen.

Daraus wird jedoch nichts. Nicht nur Raphaël Glucksmann betont seit einer Woche immer wieder, dass auch innerhalb der NFP niemand Mélenchon in der Verantwortung will. Diese Position wird sich durchsetzen, denn seit dem Wahl-Abend sind auch die Kräfteverhältnisse innerhalb des Linksbündnisses neu gemischt: 71 Mandate erhält das „Unbeugsame Frankreich“ (LFI) von Mélenchon, 64 Sitze die Sozialist*innen, 33 die Grünen und 9 die Kommunist*innen. Die Sozialisten haben damit die Zahl ihrer Mandate mehr als verdoppelt und sind jetzt nahezu gleichauf mit Mélenchons LFI liegen.

Das gute Ergebnis des Macron-Lagers ist nicht Macrons Verdienst

Der bisherige Premier Gabriel Attal, hat bereits am Morgen nach der Wahl dem Präsidenten seinen Rücktritt angeboten. Das ist so honorig wie das Ergebnis für die Parteien der sogenannten Präsidentenmehrheit überraschend gut ist. Dass das Macron-Lager 163 Vertreter*innen ins neue Parlament senden würde, hätte noch vor einer Woche als ausgeschlossen gegolten. Attal war es, der das Steuer herumriss, indem er klar formulierte, Hauptaufgabe aller Demokrat*innen sei es, die Rechtsradikalen zu stoppen. Er war es, der auf der bürgerlichen Seite den Rückzug von Drittplatzierten aus Stichwahlen betrieb und das zusammen mit dem Linksbündnis auch organisierte. Das gute Ergebnis des Macron-Lagers ist vor allem sein Verdienst, nicht das des Präsidenten.

Der rechtsradikale RN erreicht lediglich 143 Sitze und schafft somit nicht einmal die Hälfte der zur absoluten Mehrheit notwendigen 289 Mandate, was ja das ausgerufene Ziel war. Eine herbe Niederlage für Le Pen. Sie begann noch in der Nacht in Trump’scher Manier die Mär vom Wahlbetrug zu verbreiten. „Unnatürliche Koalitionen“ hätten sie, ihre Partei und „das französische Volk“ um seine wahre Stimme gebracht. Wie fern der Wahrheit diese Behauptung ist, zeigt unter anderem die Wahlbeteiligung. Mit 67 Prozent war sie so hoch wie zuletzt vor mehr als vierzig Jahren 1981, kurz nach der Wahl von Mitterand zum Präsidenten. Und eben deshalb kommt der RN, der sich noch vor einer Wochen als großer Wahlsieger fühlte und von einer absoluten Mehrheit ausging, nicht über ein Viertel der Sitze im Parlament hinaus. 

Keine Parteienfamilie hat eine Mehrheit

Das macht klar: Die französischen Wähler*innen wollen keine Regierung von Rechtsaußen. Sie haben in den Abgrund einer rechtsradikalen Regierung geschaut und sich klar dagegen entschieden. Überdeutlich wird das, schaut man sich das Ergebnis der konservativen Républicains genau an. Deren (Noch-)Parteichef Ciotti hatte zur Allianz mit den Rechtsradikalen aufgerufen. Seine Gesinnungsfreunde werden im Parlament über genau zwei Stimmen verfügen. Auch die Konservativen, die sich in Frankreich selbst als Rechte bezeichnen, wenden sich mit Grausen ab. Die 60 anderen Kandidat*innen der bürgerlich-antifaschistischen Partei in der Nachfolge De Gaulles, die sich nicht mit dem RN gemein machten, konnten dagegen ihre Sitze verteidigen.

In der neugewählten Nationalversammlung verfügt keine Parteienfamilie über eine Mehrheit. Weder die Linke, noch das Präsidentenlager und schon gar nicht die Rechtsradikalen des RN. Praktisch heißt das, dass das Parlament an Bedeutung gewinnen wird. Es wird miteinander gesprochen, ja ernsthaft verhandelt werden müssen, um Sachfragen womöglich gar gemeinsam zu lösen. Das kann den Abgeordneten eine neue Macht gegenüber dem Präsidenten verschaffen, so man denn zu gemeinsamen Lösungen findet und sich nicht nur gegenseitig blockiert. Ob das gelingen kann, bleibt abzuwarten. Viel Übung in dieser Frage hat das französische Parlament nicht.

Die PS will diese Woche über einen möglichen Regierungschef entscheiden

Zunächst einmal ist nun Präsident Macron gefragt. Er bestimmt einen Premierminister, gemeinhin, aber nicht zwingend, aus der stärksten Fraktion. Er ist, wie sein Amtsvorgänger Francois Hollande – der in Corrèze zum Abgeordneten gewählt wurde, auch ein Novum, das ein Ex-Präsident wieder Parlamentarier wird – qua Amt in der Verantwortung, eine tragfähige Regierung auszuloten und die Verhandlungen dafür zu leiten. So will es die Verfassung. 

Der PS-Vorsitzende Olivier Faure hat angekündigt, im Laufe der Woche eine*n Anwärter*in für das Amt des Regierungschefs zu finden. Es wird in den kommenden Tagen sehr viele Gespräche geben, manche öffentlich, die meisten hinter verschlossenen Türen, wer als nächster Premier in den Matignon, den Amtssitz des Regierungschefs, einzieht. Aber vor dem Nationalfeiertag kommenden Sonntag ist ganz sicher nicht mit einem Ergebnis zu rechnen. 

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1 Kommentar

Gespeichert von Armin Christ (nicht überprüft) am Mo., 08.07.2024 - 15:16

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Die Argumentation hier im vorwärts gegen Mélenchon finde ich ...... (Achtung Neti). Entweder tritt man mit einem sozialdemokratischen Programm an und setzt davon in möglichst viel um, oder man verflüchtigt seine Programmatik in vielerlei Ausreden und bestellt damit der afd, dem RN, dem Wilders, der Melosi und anderen Kräften dieser Couleur den Acker.

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