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Vorsitzende Böcker-Giannini und Hikel: Wie sie die Berliner SPD verändern wollen

Nicola Böcker-Giannini und Martin Hikel sind die neuen Vorsitzenden der Berliner SPD. Im Interview sagen sie, warum die SPD die Sorgen der Menschen ernster nehmen muss und kündigen eine baldige Umfrage unter den Mitgliedern an.

von Kai Doering · 28. Mai 2024
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Nach Franziska Giffey und Raed Saleh bilden Sie die zweite Doppelspitze der Berliner SPD. Was unterscheidet Sie von Ihren Vorgänger*innen?

Nicola Böcker-Giannini: Franziska Giffey und Raed Saleh haben in schwierigen Zeiten mit größtem Einsatz und Engagement für die SPD in Berlin Verantwortung übernommen. Dafür sagen wir Danke! 

Wir beide stehen nun für einen konsequenten Neuanfang der Berliner SPD: politisch, kulturell und personell. Wir werden unsere Mitglieder viel stärker einbeziehen und die SPD öffnen – für die Zusammenarbeit mit der gesamten Stadtgesellschaft und mit Expert*innnen aus allen gesellschaftlichen Bereichen.

Gewählt wurden Sie auf dem Landesparteitag am vergangenen Samstag. Die eigentliche Entscheidung hat aber die Basis der Berliner SPD in einem Mitliedervotum über zwei Runden getroffen. Gibt das nochmal mehr Rückhalt und ggf. auch eine gewisse Beinfreiheit?

Martin Hikel: Über 5.400 Genossinnen und Genossen haben uns im zweiten Wahlgang des Mitgliederentscheids das Vertrauen ausgesprochen. Das waren im zweiten Wahlgang mehr als 58 Prozent der Mitglieder, die abgestimmt haben. Das stärkt uns den Rücken und zeigt uns, dass es sich lohnt, „mehr Demokratie zu wagen“.

Sie haben bereits angekündigt, die Mitglieder künftig häufiger beteiligen zu wollen. Woran denken Sie dabei?

Hikel: Wir wollen die vorhandenen Kompetenzen aus den Arbeitsgemeinschaften, den Fachausschüssen und Arbeitskreisen sowie das Wissen unserer aktiven und bisher passiven Mitglieder nutzen und stärker einbinden. Dazu werden wir zunächst unsere Mitglieder befragen, welche Themen Ihnen besonders wichtig sind. 

Eine baldige Umfrage soll der Startschuss für eine breite Debatte sein. Wir verstehen unsere Mitgliedschaft dabei sowohl als unsere Ideenquelle als auch als Prüfstein, mit dem wir sicherstellen, dass wir mit unseren Themen und Positionen wieder Wahlen gewinnen können. 

Böcker-Giannini: Diese Themen wollen wir anschließend in Zukunftswerkstätten, Kreisforen und digitalen Formaten mit unseren Mitgliedern diskutieren. Kultureller Neuanfang bedeutet für uns auch, dass das Engagement in unserer Partei wieder mehr Spaß machen soll und alle, die sich von unserer Partei abgewandt haben, zurückgewinnen. Die SPD ist Mitgliederpartei, das wollen wir in der Realität leben. Wir haben keine Angst vor Talenten – das muss auf allen Ebenen gelten.

Hikel: Dazu wollen wir in der Berliner SPD künftig gezielt Nachwuchsförderung betreiben. Wir wollen unsere Genoss*innen besser auf die Übernahme von Funktionen und Mandaten vorbereiten. Wir wollen sie ertüchtigen, Repräsentant*innen unserer Partei zu werden.

Welche Rolle spielt bei der Neuausrichtung die Analyse, die die frühere Parteiführung nach der Wiederholungswahl im vergangenen Jahr in Auftrag gegeben hatte?

Böcker-Giannini: Um wieder mehrheits- und kampagnenfähiger zu werden, müssen wir uns als Berliner SPD auch organisatorisch weiterentwickeln. Der Bericht der „Wahlanalyse von Faas und Faus“ hat das nochmals eindringlich unterstrichen. 

Die Ergebnisse müssen wir ernst nehmen. Deshalb wollen wir im Kurt-Schumacher-Haus die Funktion eines oder einer ehrenamtlichen Generalsekretär*in schaffen. Dabei soll der Fokus auf Kommunikation und Kampagnen innerhalb der SPD Berlin liegen. Dass das dringend notwendig ist, hat gerade der letzte Wahlkampf vor Augen geführt.

Die Berliner SPD hat in den vergangenen Jahren von Wahl zu Wahl schlechter abgeschnitten, ist zurzeit nur noch Junior-Partnerin in einer großen Koalition. Wie wollen Sie die SPD zurück in die Erfolgsspur bringen?

Hikel: Spätestens 2026 soll das Rote Rathaus auch von Innen wieder rot sein. Für den Neuanfang wollen wir Antworten auf die wichtigsten Fragen unserer Stadt geben. Das gelingt nur durch ein inhaltliches Fundament, das unserer Zeit gerecht wird. Dafür entwickeln wir unser Zukunftskonzept Berlin 2035, auf dem sich Wahlprogramm für die Abgeordnetenhauswahlen 2026 aufbauen wird.

Böcker-Giannini: Damit unsere Gesellschaft zusammenhält und unsere Demokratie lebt, müssen wir unsere Politik, unsere Vorschläge stärker an den Lebensrealitäten der Menschen in Berlin orientieren. Dafür braucht es eine stärkere Verankerung unserer SPD in der Stadtgesellschaft, in Vereinen, Verbänden, Initiativen und Kiezen. Die Ängste und Sorgen der Berliner*innen müssen wir ernst nehmen und aus diesen Herausforderungen wieder Chancen für alle machen. Deshalb kämpfen wir für eine SPD die als Volkspartei eine Politik für die breite Mitte unserer Gesellschaft macht.

Hikel: Und das geht nur, wenn wir den Mut haben, auch bestehende Glaubenssätze zu hinterfragen, um unsere Politik auf die Wirksamkeit zu prüfen. Oder um es mit Willy Brandt zu sagen: „Besinnt euch auf Eure Kraft und darauf, dass jede Zeit eigene Antworten will und man auf ihrer Höhe zu sein hat, wenn Gutes bewirkt werden soll.“

Im innerparteilichen Wahlkampf haben Sie  die „Umsonst-Stadt Berlin“ kritisiert, die dafür sorge, dass viele soziale Leistungen auch denen zugutekämen, die sie gar nicht brauchten. Was stellen Sie konkret in Frage?

Böcker-Giannini: Für uns gilt: Die Kostenfreiheit darf kein reiner Selbstzweck sein. Es geht darum, dass wir die Qualität der Angebote steigern, sodass es auf die Lebensqualität der Berlinerinnen und Berliner einzahlt.

Nehmen wir das 29 Euro-Ticket: Dadurch wird der Erfolg des bundesweiten 49 Euro-Tickets konterkariert und das Land Berlin zahlt jährlich mehr als 300 Millionen Euro. Eine soziale Umverteilungswirkung findet nicht statt. 

Wir stehen zu seiner Einführung, weil wir sie als SPD versprochen haben. Aber wir wollen es auf die Wirksamkeit: Hat das Ticket Menschen vom motorisierten Individualverkehr zum ÖPNV wechseln lassen? Leistet das Ticket einen Beitrag für mehr Klimaneutralität? Schafft es also einen echten Mehrwert zu den bereits existierenden vergünstigten Tickets oder gab es nur Mitnahmeeffekte?

Hikel: Um es auch noch einmal klar am Beispiel der Bildung zu sagen: Wir wollen die kostenfreie Bildung nicht abschaffen. Damit unsere Gesellschaft zusammenhält, müssen wir aber dafür sorgen, dass der Bildungserfolg unserer Kinder nicht von der sozialen Herkunft abhängt. Dafür müssen wir echte Chancengerechtigkeit schaffen und gezielt in den Bildungserfolg der Kinder investieren – von der Kita bis zur Schule und darüber hinaus. 

Hamburg macht vor, wie Ressourcen umverteilt werden: Durch Investitionen in mehr Lehrkräfte, Vorklassen und kostenfreie Nachhilfe für benachteiligte Schüler*innen sowie in ein Qualitätsmanagement der Angebote. Der Erfolg zeigt, dass sich die Leistungen der Schüler*innen dadurch deutlich steigern. Es profitiert also die ganze Gesellschaft. Das wollen wir auch in Berlin erreichen.

Das Interview wurde schriftlich geführt.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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1 Kommentar

Gespeichert von Klaus Adler (nicht überprüft) am Mi., 29.05.2024 - 05:39

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Cool Nicola und Martin,

Eure Programmatik ist Anleitung zum Handeln
Dankbar, das ihr beide die Mitglieder in den Blick nehmen wollt.
Aus meiner Perspektive, sehe ich die Gefahr, des Einmauers durch den Linken Flügel. Kompromisse werden zur Zerreißprobe und hoffentlich nicht zur Resignation.