Stahlindustrie: Wie die NRW-SPD um tausende Jobs kämpft
In der Stahlindustrie stehen derzeit Tausende Jobs auf der Kippe. Die NRW-SPD will das nicht hinnehmen und kämpft für die Zukunft der Branche. An ihrer Seite: Bundeskanzler Olaf Scholz.
Carlo Feick
Zu Besuch im Stahlwerk: Bundeskanzler Olaf Scholz war in dieser Woche in Duisburg bei Thyssenkrupp
Ein silberner Golf mit Herner Kennzeichen rollt langsam auf das Werkstor zu. Der Fahrer hält an und lässt die Scheibe herunter. „In Herne, da lebt man gerne“, sagt Serdar Yüksel und reicht ihm durchs Fenster ein paar Arbeitshandschuhe, einen Flyer und ein Knoppers mit der Aufschrift „Mit Biss für jeden Arbeitsplatz“ Der Fahrer lächelt und fährt weiter. Seine Schicht beginnt gleich.
Yüksel sitzt seit 2010 für die SPD im Landtag von Nordrhein-Westfalen. Nun will der 51-Jährige in den Bundestag. Er kandidiert im Wahlkreis Bochum I, den die SPD seit 1961 immer direkt gewonnen hat. Doch Yüksel, der seit 1989 in der SPD ist, sagt: „Es ist der mit Abstand schwierigste Wahlkampf.“ Wenn die Leute im Landtagswahlkampf vor drei Jahren noch mit kurzer Lunte an den SPD-Stand kamen, sei sie diesmal schon angezündet, berichtet der Sozialdemokrat.
Gleichzeitig sieht er das als Ansporn: „Man wird uns nicht ausweichen können in Bochum.“ Schon morgens standen Yüksel und seine Mitstreiter hier vor dem Werkstor bei Thyssenkrupp im Stadtteil Wattenscheid und verteilten Brötchen, zwischendurch bauen sie einen Infostand auf.
Pünktlich zum Schichtwechsel um 12.30 Uhr stehen sie wieder hier. Diesmal gibt es Handschuhe. Mehrere Tausend davon hat die nordrhein-westfälische SPD produzieren lassen. Die Aktion ist Teil der „Mehr-für-dich-Tour“, mit der die Partei Industriearbeiter*innen – zum größten Teil männlich – für sich gewinnen will. In dieser Woche sind alle Krupp-Standorte in Nordrhein-Westfalen dran.
Zukunft in Gefahr
Auch wenn viele der Mitarbeiter in durchaus ansehnlichen Daimler-Fabrikaten zum Drive-In-Wahlkampf vorfahren: Der Schein trügt. Derzeit bangt rund ein Drittel der 1.800 Beschäftigten in Bochum um ihren Arbeitsplatz. Der Name des Thyssenkrupp-Konzernchefs Miguel López steht wie eine Chiffre für missglückte Unternehmenskommunikation und eine unklare Zukunft der Stahlindustrie im Westen der Republik. Aussagen wie die des Unionskanzlerkandidaten Friedrich Merz, er glaube nicht an grünen Stahl, sorgen zusätzlich für Verunsicherung.
Umso besser, wenn die SPD an dieser Stelle deutlich macht, dass sie an der Seite der Beschäftigten steht. Deshalb ist auch Bundeskanzler Olaf Scholz in Wattenscheid vor Ort. Nicht persönlich, aber auf einem Truck mit LED-Leinwand. Der Kanzler hat eigens eine Videobotschaft für diese Tour aufgenommen. „Es geht darum, um Jobs zu kämpfen. Das ist mein Job“, sagt er darin.
Persönlich vor Ort war Scholz zwei Tage zuvor bei Thyssenkrupp Steel in Duisburg auf Einladung des Betriebsrates. Dort bekam der Kanzler lauten Applaus. Etwa, als er vor mehr als 250 Stahlarbeiter*innen sagte: „Stahl ist für Deutschland systemrelevant. Daran besteht kein Zweifel.“ Damit hat der Kanzler vor allem mit Blick auf die deutsche Automobilindustrie recht. Hersteller wie Volkswagen, Mercedes und BMW profitierten in den vergangenen Jahrzehnten von in Deutschland hergestelltem Stahl.
Weil jedoch neben der Automobil- auch die Baubranche hierzulande aktuell schwächelt, durchschreitet ebenso die Stahlindustrie eine schwierige Phase, da sie auf entsprechende Abnehmer aus den beiden Bereichen angewiesen ist. Hinzu kommt die schwierige globale Wettbewerbssituation. Inzwischen stehen sechs der zehn größten Stahlwerke in China, Thyssenkrupp liegt nur noch auf Platz 41. Insgesamt macht die deutsche Rohstahlerzeugung weltweit nicht einmal mehr zwei Prozent aus.
Die große Hoffnung liegt daher im Hinblick auf die Zukunft der Stahlindustrie auf grünem Stahl, der klimafreundlicher produziert werden soll. Denn aktuell ist allein Thyssenkrupp für 2,5 Prozent der deutschen CO2-Emmissionen verantwortlich. Künftig sollen die Emissionen sinken, indem Stahl mithilfe von durch erneuerbare Energien gewonnenen Wasserstoff produziert wird. Gelingt dies, könnte es helfen, tausende Arbeitsplätze zu sichern. Denn insgesamt sind in Deutschland rund 71.000 Menschen in der Stahlbranche beschäftigt.
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo