Axel Schäfer: Der letzte 68er verlässt den Bundestag
55 Jahre in der SPD, 47 Jahre Vorsitzender seines Ortsvereins und fast 30 Jahre im Parlament. Am 23. Februar kandidiert Axel Schäfer nicht noch einmal für den Bundestag. Für seine Heimatstadt Bochum hat der 72-Jährige viel erreicht. Auf eines freut er sich 2025 besonders.
Katharina Kemme/vorwärts
Sechsmal wurde Axel Schäfer in Bochum direkt gewählt.
„Es ist gut so jetzt“ – fünf Worte, mit denen Axel Schäfer Mitte Oktober sein selbst gewähltes politisches Karriereende verkündet. Nach mehr als 22 Jahren im Bundestag und zuvor fünf Jahren im Europaparlament tritt der SPD-Abgeordnete bei der Wahl Ende Februar nicht mehr an. „Der letzte 68er“ verlässt den Bundestag, sagt er selbst über seinen Abschied.
Seit 47 Jahren Ortsvereinsvorsitzender
„Ich bin der Letzte aus dieser frühen Nachkriegsgeneration, der ganz jung in die Politik gekommen ist und das auch ganz lange durchgehalten hat. Ich habe großes Glück gehabt, dass das möglich war, bis fast 73 als Abgeordneter im Bundestag zu sein.“ Die hessische Färbung seiner Sprache ist auch nach Jahrzehnten noch immer klar erkennbar, als Schäfer Mitte Dezember beim Besuch des „vorwärts“ in seiner Heimatstadt Bochum von den Anfängen seiner politischen Sozialisation erzählt.
Schon als Schüler habe er die Studenten-Proteste an der Goethe-Universität in Frankfurt hautnah mitbekommen, ebenso die Linkswende der Jusos 1969. Auch deswegen trat er damals mit 17 Jahren in die SPD ein. Inzwischen wird er von zahlreichen Medien als „Urgestein“ der Partei bezeichnet. Schäfer rechnet vor: Seit 55 Jahren ist er in der SPD, seit 47 Jahren Vorsitzender seines Ortsvereins, ebenso lange am Stück Delegierter für Bundesparteitage. Das habe nicht einmal Willy Brandt geschafft. „Ich habe nachgeguckt: In der Nachkriegszeit gab es niemanden“, erzählt er nicht ohne Stolz.
Das doppelte politische Karriereende
Wenige Meter vom Bahnhof entfernt prangt an diesem Tag ein Plakat mit der Aufschrift „Bock auf Bochum“. Das galt einst auch für Axel Schäfer, als er aus Frankfurt der Liebe zu seiner Frau Gaby wegen ins Ruhrgebiet zog. Ein Umzug, der sich für ihn nicht nur persönlich, sondern auch politisch auszahlte. Sechsmal in Folge gewann er seinen Wahlkreis direkt, teilweise mit mehr als 50 Prozent der Stimmen. Dennoch mahnt er sich selbst, bescheiden zu bleiben. „Giovanni, nimm dich nicht so wichtig“, habe der inzwischen heiliggesprochene Papst Johannes XXIII. einst gesagt. Das gelte auch für ihn.
Schäfers Frau Gaby ist seit 30 Jahren Erste Bürgermeisterin der Stadt an der Ruhr. Auch sie will Ende kommenden Jahres aufhören. „Für sie einen Ersatz zu finden, ist schwerer als für mich“, sagt ihr Ehemann. Gabriela Schäfer ist nicht nur Erste Bürgermeisterin, sondern auch Vorsitzende des Stadtsportbundes. Gemeinsam fiebern die Schäfers der Universiade entgegen, dem zweitgrößten Multisportereignis der Welt mit knapp 10.000 Studierenden aus aller Welt.
Sie findet im Juli in mehreren Städten im Ruhrgebiet sowie in Düsseldorf statt. Die Leichtathletik-Wettbewerbe werden in Bochum-Wattenscheid ausgetragen. „Das findet jetzt zum Abschluss meiner Mandatstätigkeit im Herzen meines Wahlkreises statt. Das wollte ich noch unbedingt mitvoranbringen, weil das auch eine Visitenkarte für eine deutsche Olympia-Bewerbung ist“ sagt Schäfer. Er habe seit 20 Jahren viel Engagement darin investiert.
Eine Briefmarke für Bochum
Gleiches gelte für die erste Briefmarke mit einem Bochumer Motiv. 2008 wurde eine Sonderbriefmarke zu Ehren des 1000. Geburtstages der Dorfkirche in Bochum-Stiepel herausgegeben. Er habe dafür gesorgt und die Mitglieder des zuständigen Gremiums bekniet, angerufen und überzeugt. „Das war wirklich nur mein Werk“, sagt Schäfer.
Als Treffpunkt für das Gespräch mit dem „vorwärts“ hat er sich bewusst den Willy-Brandt-Platz im Herzen der Stadt ausgesucht. Um diese Jahreszeit ist er fast komplett mit Weihnachtsmarktbuden vollgestellt. Besonders auffällig: die sechs blauen Bochum-Lettern direkt vor dem Rathaus. Wenige Meter weiter entsteht in einem seit Jahren verwaisten roten Backsteinbau das „Haus des Wissens“, das Volkshochschule, Stadtbücherei und anderen Platz bieten soll. Auch dafür hat sich Schäfer stark gemacht.
Ein ganzes Leben für Europa
Bei drei Grad Außentemperatur ist der Willy-Brandt-Platz für ein längeres Gespräch jedoch kein passender Ort. Deswegen erzählt Schäfer in einem nahegelegenen Café, wie er für eben jenen Willy Brandt einst als Europareferent arbeitete. „Mein ganzer Lebensweg in der SPD ist Europapolitik“, sagt der 72-Jährige. Mit 26 Jahren leitete er den Europawahlkampf in Bochum, von 1994 an war er fünf Jahre lang Europaabgeordneter, danach Generalsekretär der Europäischen Bewegung und schließlich im Bundestag als stellvertretender Fraktionsvorsitzender für Europapolitik zuständig. „Diese Bandbreite gibt es sonst so nicht“, sagt er über sein europapolitisches Wirken in den vergangenen Jahrzehnten.
In der Griechenland-Krise kämpfte er gegen das nationalistische Gebaren des Finanzministers Schäuble, als Vertreter des Bundestages engagierte er sich in der Konferenz zur Zukunft Europas und im Europarat war er Berichterstatter für Russland bis zum Ausbruch des Angriffskrieges in der Ukraine. Da Donezk in der Ost-Ukraine Partnerstadt von Bochum ist, schockiere ihn der Krieg besonders. Am Ersten Weihnachtsfeiertag 2004 während der „Orangenen Revolution“ war er als Wahlbeobachter im Land, erzählt Schäfer.
Ausdrücklich lobt der Abgeordnete die Ukraine-Politik von Bundeskanzler Olaf Scholz, der schon kurz nach dem russischen Angriff im Februar 2022 von einer „Zeitenwende“ sprach und ein milliardenschweres Sondervermögen für die Bundeswehr ankündigte. „Dass Olaf es in drei Tagen geschafft hat, das mit den 100 Milliarden hinzubekommen und trotzdem das Land zusammenzuhalten“, sei ein großer politischer Erfolg des Kanzlers gewesen. Darauf wolle er auch in seiner letzten Rede im Bundestag im Februar noch einmal hinweisen, kündigt Axel Schäfer an.
Brötchen holen und sonst?
Und was kommt danach? „Ich bin auf der einen Seite entspannt, weil ich mich freiwillig dazu entschieden habe. Auf der anderen Seite kann man nicht antizipieren, was kommt“, sagt Schäfer zu seinem Ausscheiden aus dem Bundestag. Er wolle weiter am Wochenende um sieben Uhr aufstehen und Brötchen holen, sich ehrenamtlich im Ortsverein engagieren und Zeit mit seinen Enkeln verbringen. Was hat eigentlich am Ende den Ausschlag gegeben, nun nicht mehr zu kandidieren? Auch darauf hat Axel Schäfer eine klare Antwort: „Wenn man sechsmal in allen Konstellationen gewonnen hat, sollte man das persönliche und politische Glück nicht herausfordern.“
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo
ich bedauere dass sehr, denn die 68er waren ja
in jeder Hinsicht führend. Was soll nur werden, wenn jetzt auch der letzte Lotse von Bord geht? Ich bin ganz ratlos, und teile die Meinungen nicht, die das Ausscheiden dieses letzten "Mohikaners" mit einem "endlich" kommentieren