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SPD-Bundestagskandidat Albert Ritter: Keine Angst vor großen Tieren

Albert Ritter ist Präsident des Deutschen Schaustellerbundes und seit mehr als 50 Jahren in der SPD. Nun will der Essener für seine Partei in den Bundestag.

von Jonas Jordan · 6. Februar 2025
Albert Ritter kandidiert in Essen für die SPD bei der Bundestagswahl.

Albert Ritter kandidiert in Essen für die SPD bei der Bundestagswahl.

Ein paar Buden stehen Ende Januar noch auf dem Kennedyplatz im Herzen der Essener Innenstadt. „Wir haben 1972 in Essen den Glühwein eingeführt. Das war überhaupt nicht populär, einen heißen Rotwein auf der Straße zu trinken. Mittlerweile ist es ein Kultgetränk, das sogar Fünf-Sterne-Hotels anbieten“, erzählt Albert Ritter beim Gespräch mit dem „vorwärts“ unweit des Kennedyplatzes in der Lobby eines Hotels. Es ist gewissermaßen sein Stammlokal, um sich in Weihnachtsmarktzeiten aufzuwärmen und zwischendurch einen Kaffee zu trinken. Ritter ist Schausteller in fünfter Generation, und das seit Geburt an. Als Sohn einer traditionsreichen Berliner Schaustellerfamilie wurde er 1953 auf dem Schützenfest in Hannover geboren.

Inzwischen führen seine Kinder den Betrieb, er selbst ist bei ihnen angestellt. Das gibt dem Sozialdemokraten Zeit für andere Projekte. Bei der Wahl am 23. Februar kandidiert er für den Bundestag. Was nach Quereinstieg klingt, ist es nur bedingt. Seit mehr als einem halben Jahrhundert ist er Mitglied der SPD, einst eingetreten wegen seiner Begeisterung für Bundeskanzler Helmut Schmidt und das Godesberger Programm. „Seid ihr ein bisschen bekloppt? Guckt mal auf meinen Tacho!“ Das ist Ritters erste Reaktion, als die Jusos den 71-Jährigen im vergangenen Jahr anlässlich seiner Ehrung für 50 Jahre Parteimitgliedschaft fragen, ob er sich vorstellen könne, für den Bundestag zu kandidieren. Doch der Parteinachwuchs meint das ernst. Also sagt er zu.

Seit 22 Jahren Präsident

Wie politische Arbeit funktioniert, weiß Ritter auch. Seit 2003 ist er Präsident des Deutschen Schaustellerbundes (DSB), zuletzt wurde er im Januar in Hamburg mit einer Zustimmung von 99,8 Prozent für zwei Jahre wiedergewählt. „Das war das beste Ergebnis jemals“, sagt Ritter. Dabei war der Plan eigentlich, das Amt abzugeben. Doch der avisierte Nachfolger sprang eine Woche vor Weihnachten ab. Zu kurzfristig, um jemand anderen zu finden. Auch als Präsident der Europäischen Schausteller-Union, die 17 europäische Nationen umfasst und älter als die Europäische Union ist, wurde er kürzlich in Schottland wiedergewählt.

„Ich war mein Leben lang politisch und habe zu jeglicher Herausforderung, die wir aktuell haben, ein großes Stück Lebenserfahrung“, sagt Ritter und blickt auf die Terrorabwehr-Poller aus Beton unweit des Kennedyplatzes. „Wenn es darum geht, sich über solche Dinge zu unterhalten, ist das nicht abstrakt, sondern Tagesgeschäft“, sagt er. Zum Beispiel nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Magdeburg, als er sich noch in der Nacht ins Auto setzte und nach Sachsen-Anhalt fuhr, um den dortigen Schausteller-Kollegen Beistand zu leisten. „Es wächst die Wut“, sagt Ritter und drängt darauf: „Deswegen müssen wir als Sozialdemokraten das Thema Sicherheit bespielen und diese Ängste ernst nehmen. Wir dürfen das Thema nicht den Stammtischparolen der AfD überlassen.“

Im Umgang mit Bürokratie geschult

Gleichzeitig müsse man versuchen, die Debatten zu versachlichen. Bei den Menschen entstehe der Eindruck: Immer wieder, wenn etwas geschehe, gebe es große politische Betroffenheit, aber die Menschen wollten messbar sehen, was als Abwehrmaßnahme ergriffen werde. „Bei jedem neuen Vorfall wird die Urangst der Menschen aktiviert. Deswegen ist es ganz wichtig, dass wir offen damit umgehen“, meint Ritter.

Besonders betroffen waren er und seine Schausteller-Kolleg*innen in den vergangenen Jahren auch von den Restriktionen der Corona-Pandemie. „Wenn ein amtierender Gesundheitsminister wörtlich sagt, wir seien nicht systemrelevant, fühlt man sich nicht nur abgeschaltet, sondern auch abgeschoben“, sagt Ritter mit Blick auf eine Aussage von Jens Spahn. Doch die Schausteller*innen wehrten sich, organisierten eine Großdemo in Berlin mit 10.000 Teilnehmer*innen. „Keine Angst vor großen Tieren“, ist Ritters Credo. Auch weil sich Schausteller*innen jede Woche in einer anderen Stadt mit neuen Behörden und Ordnungsämtern auseinandersetzen müssen. Das schult im Umgang mit Bürokratie und Beamt*innen. 

Mit „70 Mann“ auf dem Weihnachtsmarkt

Es gibt viele Themen, seine Zunft betreffend, die Ritter politisch gerne angehen möchte: Schaustellerkinder, die oft jede Woche die Schule wechseln müssen, sollen mehr Unterstützung bekommen. Die Strompreise für Schausteller*innen seien sehr hoch, weil sie als „minderjährige Stromabnehmer“ ständig neue Tarife bekämen. Auch die Sicherheit von Fahrgeschäften und der Umweltschutz spielen eine große Rolle. Das älteste Umweltpapier des Deutschen Schaustellerbundes ist mehr als 40 Jahre alt. Ritter zitiert: „Schneidet das Brötchen auf, legt die Bockwurst rein, dann braucht ihr keine Pappe mehr! So haben wir tausende Tonnen Kartonagen gespart.“

Im Wahlkampf hat er es aber auch mit neuen Dingen zu tun, zum Beispiel Tür-zu-Tür-Wahlkampf, bei dem er zunächst skeptisch war. „Doch die Leute machen wirklich die Tür auf und sind sehr freundlich, auch wenn man ihnen aufe Pelle rückt inne eigene Bude“, sagt Ritter und lässt das Ruhrgebiet auch sprachlich durchscheinen. Als Schausteller sei er es gewohnt, mit Menschen umzugehen. Er berichtet von einer „verdammt guten Stimmung bei mir im Wahlkreis“, von den Jusos bis zur AG 60+ hat er seine „119er“ um sich geschart, benannt nach der Wahlkreisnummer. Einmal lud er alle Wahlhelfer auf den Weihnachtsmarkt ein. „Auf einmal waren 70 Mann da. Da haben die anderen Kandidaten schon neidisch geguckt.“

Berlin wäre nichts Neues für ihn

Bei der letzten Bundestagswahl 2021 trennten den SPD-Kandidaten nur 1.023 Stimmen vom Direktmandat. Ob es diesmal für Ritter klappt? „Wenn dat dann so is, werde ich mich auch in Berlin sehen lassen“, sagt er nüchtern. Die Geschäftsstelle des DSB ist in der Hauptstadt, lange hatte er einen Hausausweis im Bundestag. „Da wüsste ich mich zu bewegen“, sagt Ritter.

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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