Sondersitzung im NRW-Landtag: Welche Fragen zu Solingen geklärt werden sollen
Der Anschlag von Solingen wirft viele Fragen auf. Auch deshalb kommt am Donnerstag der Innenausschuss des nordrhein-westfälischen Landtags zu einer Sondersitzung zusammen. SPD-Landeschef Achim Post erklärt im Interview, welche Antworten er erwartet und was er am Innenminister kritisiert.
IMAGO / Sven Simon
Absperrungen am Tatort in der Solinger Innenstadt
Bundeskanzler Olaf Scholz hat bei seinem Besuch in Solingen am Montag gesagt, er sei zornig und wütend gewesen. Was waren Ihre Empfindungen, als Sie von dem Anschlag gehört haben?
Es war eine Mischung aus Zorn, Entsetzen und Unverständnis darüber, wie Menschen zu solchen Taten fähig sein können. Es widerspricht dem Menschenbild, welches einen selbst prägt. Da ist jemand, der einfach wahllos Menschen auf brutale Art und Weise umbringt. Insofern sind Entsetzen und Zorn schon die richtigen Begrifflichkeiten.
In Nordrhein-Westfalen gab es im vergangenen Jahr mehr als 6.000 Messerattacken. Besorgt Sie das?
Auf jeden Fall. Deswegen gibt es eine Vielzahl von Punkten, die wir jetzt angehen müssen. Einer davon ist Messerkriminalität. Die SPD pocht schon länger darauf, das Waffenrecht zu verschärfen. Bislang stand die FDP dabei auf der Bremse.
Außerdem geht es darum, welche Befugnisse wir unseren Sicherheitsbehörden geben. Es kann nicht sein, dass wir – wie beim Zugriff auf IP-Adressen – unseren Sicherheitsdiensten nicht alles an die Hand geben, was sie brauchen. Auch der Anschlag auf den Leverkusener Weihnachtsmarkt konnte nur verhindert werden, weil wir Hinweise von ausländischen Nachrichtendiensten erhalten haben. Das zeigt, wie hoch der Handlungsbedarf ist.
Der dritte Punkt ist noch schwieriger: Der IS hat seit zwei, drei Jahren seine Tätigkeiten massiv ausgeweitet, vor allem seit dem Angriff der Hamas auf Israel. Sie versuchen vor allem sehr junge Männer im Netz zu gewinnen, die sich dann schnell radikalisieren. Da müssen wir noch stärker präventiv darauf schauen.
Messerverbotszonen gibt es innerhalb von NRW beispielsweise in der Düsseldorfer Altstadt oder in Köln bereits. Welche Rückmeldungen bekommen Sie über die dortigen Erfahrungen? Und wie kann man so was im Zweifel auch kontrollieren?
Vollständige Kontrolle gibt es nie. Mit Verbotszonen, gerade an Bahnhöfen und an bestimmten öffentlichen Plätzen, aber auch in Bussen und Bahnen, kann man schon Vorteile erzielen. Aber auch eine Verbotszone hätte die Tat in Solingen nicht verhindert. Hier gilt es klar zu trennen.
Wir müssen dafür sorgen, dass generell weniger Messer im öffentlichen Raum mitgeführt werden, um Taten aus dem Affekt zu reduzieren. Deshalb haben wir schon vor ein paar Jahren Butterfly-Messer verboten.
Der mutmaßliche Täter von Solingen sollte abgeschoben werden. Nachdem der erste Versuch scheiterte, wurde Medienberichten zufolge kein zweiter unternommen. Welche Versäumnisse sehen Sie dementsprechend bei der nordrhein-westfälischen Landesregierung?
Jede Behörde und jede Ebene sind jetzt gefragt, Defizite aufzuarbeiten. Wenn der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul dann schon wenige Stunden nach der Tat erklärt, dass er nicht zuständig sei und den schwarzen Peter weiterschiebt, ist das mehr als irritierend. Er ist der Innenminister im größten deutschen Bundesland und jetzt gefragt, zur Aufklärung beizutragen. Ich erwarte klare und präzise Antworten, dass er dieser Pflicht auch nachkommt, wenn er im Innenausschuss im Düsseldorfer Landtag ist.
Welche Erkenntnisse erhoffen Sie sich von der Sondersitzung des Innenausschusses am Donnerstag?
Ich erwarte, dass in einer Sondersitzung des höchsten parlamentarischen Gremiums in Nordrhein-Westfalen der Innenminister und die Integrationsministerin alles mitteilen, was sie an Erkenntnissen haben. Sonst macht das Ganze keinen Sinn. Das Gleiche werden Bundesinnenministerin Nancy Faeser und der Generalbundesanwalt am Freitag im Innenausschuss des Deutschen Bundestages tun.
Achim
Post
Reuls Fassade bröckelt.
Irritiert es Sie, dass Herbert Reul in diesem Fall versucht, sich aus der Affäre zu ziehen, während er in den vergangenen Jahren sein Image als Sheriff von Nordrhein-Westfalen mühsam gepflegt hat?
Absolut. Reuls Fassade bröckelt. Wenn man sich mal die Kriminalitätsstatistik anguckt, sind weder die Anzahl der Fälle noch die Aufklärungsquote befriedigend. Das hat er durch seinen Kampf gegen die Clankriminalität versucht zu kaschieren. Jetzt kommt noch mal eine ganz andere Bedrohung dazu.
Für Ihre Sommertour sind Sie aktuell in ganz NRW unterwegs. Welche Rolle spielt da das Thema Sicherheit bei den Bürger*innen?
Seit Samstag ist es das wichtigste Thema für alle. Die Menschen haben natürlich viele Fragen. Gleichzeitig wollen sie sich auch nicht 24 Stunden am Tag mit diesem Thema und den schrecklichen Bildern beschäftigen.
Achim
Post
Sicherheit ist fest in der sozialdemokratischen DNA verankert.
Inwiefern wollen Sie im Hinblick auf die Bundestagswahl und die Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen im kommenden Jahr als SPD noch stärker einen Schwerpunkt auf das Thema Sicherheit legen?
Sicherheit ist fest in der sozialdemokratischen DNA verankert. Das spürt man auch jetzt bei den Haushaltsberatungen auf Bundesebene, weil wir nicht zulassen, dass äußere, innere und soziale Sicherheit gegeneinander ausgespielt werden.
Man muss der Innenministerin auf Bundesebene und den Innenministern auf Landesebene auch die finanziellen und personellen Ressourcen zur Verfügung stellen, damit sie ihre Aufgaben ordentlich erledigen können.
Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Dirk Wiese, hat im Interview mit dem „vorwärts“ gesagt, die islamistische Terrorgefahr sei fortwährend hoch. Inwieweit beängstigt Sie das?
Persönlich beängstigt es mich nicht, weil ich kein ängstlicher Typ bin. Aber es besorgt mich zutiefst, dass wir jetzt von mehreren Seiten Angriffe auf unseren Rechtsstaat und auf Leib und Leben von Menschen in Nordrhein-Westfalen und in ganz Deutschland erleben. Deswegen müssen wir alles tun, um den Sicherheitsbehörden das zur Verfügung zu stellen, was sie für ihre Arbeit brauchen.
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo