Mehria Ashuftah: Aus dem Flüchtlingsheim in die Hamburger Bürgerschaft
In Afghanistan geboren, kam sie als Kind nach Deutschland und wuchs in einem Hamburger Flüchtlingsheim auf. Künftig sitzt Mehria Ashuftah dort für die SPD in der Bürgerschaft. Dabei galt die Kandidatur der 37-Jährigen lange als aussichtslos.
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Mehria Ashuftah sitzt künftig für die SPD in der Hamburger Bürgerschaft.
Am Tag nach der Wahl veröffentlicht Mehria Ashuftah auf ihrem Instagram-Kanal ein Video. Darin ist sie auf dem Sofa ihrer Eltern zu sehen. Die 37-jährige Juristin sitzt zwischen ihrer Mutter und ihrem Vater und schaut mit nahezu kindlicher Vorfreude auf die Ergebnisse der Hamburger Bürgerschaftswahl am 2. März. Aufgrund des komplizierten Wahlsystems dauert es fast einen Tag, bis klar ist, wer in der Parlament des Stadtstaats eingezogen ist.
Im Video blickt Ashuftah auf einen Monitor, hält dabei die Hände ihrer Eltern und scannt mit den Augen die Liste der gewählten Abgeordneten, angeführt von Peter Tschentscher. Auf einmal entdeckt sie ihren eigenen Namen. „Oh mein Gott“, ruft sie laut. Mehr als 9.000 Stimmen. „Ich bin drin, oder? Bin ich drin?“, fragt sie und schaut nach Bestätigung suchend zu ihrem Vater. „Ja, doch“, sagt er. Mehria Ashuftah springt auf, klatscht vor Freude in die Hände, setzt sich wieder hin, umarmt und küsst ihre Eltern. Sie hat es geschafft.
Eine sozialdemokratische Aufstiegsgeschichte
Bis aus Mehria Ashuftah eine Abgeordnete wurde, war es ein langer Weg. Geboren in Afghanistan, kam sie als Kleinkind nach Deutschland und wuchs in einer Flüchtlingsunterkunft in Hamburg auf. In einem Beitrag auf Instagram schreibt sie: „In meiner Kindheit war ich oft die andere, die kein deutsch sprach, die alten Klamotten von meinen älteren Cousins trug und selten ein Schulbrot dabei hatte.“ Sie kämpfte sich nach oben, studierte Jura, wurde 2015 Gründungsmitglied der „Refugee Law Clinic Hamburg – #KnowYourRights“ in Hamburg. Heute arbeitet sie als Rechtsanwältin, ist Lehrbeauftragte an der Universität Hamburg und Referentin am Institut für Demokratie, Diversität und Führung an der Polizei-Akademie in der Hansestadt.

Ihren Weg könnte man wohl als klassische sozialdemokratische Aufstiegsgeschichte beschreiben. Dabei galt auch ihre Kandidatur zu Beginn des Wahlkampfes fast schon als aussichtslos. Platz 44 auf der Landesliste, jenseits der „Todeszone“, wie Ashuftah im Gespräch mit dem „vorwärts“ sagt. „Doch mir war klar, dass es eine Chance gibt, wenn mich genügend Menschen direkt wählen.“ Denn eine Besonderheit des Hamburger Wahlsystems ist, dass der Einzug ins Parlament nicht allein von der Platzierung auf der Liste abhängt, sondern Kandidat*innen abhängig von den Stimmen, die sie persönlich erhalten, auch nach oben rücken können. Ashuftah gelang genau das mit einem engagierten Wahlkampf.
Dabei ließ sie sich nie unterkriegen: Nicht von fast täglichem Hass und Hetze, nicht von Bedrohungen, nicht davon, dass Rechte ihr Auto mit Hakenkreuzen beschmierten. Ein bisschen zieht sich diese „Jetzt erst recht“-Haltung durch die Geschichte ihrer Mitgliedschaft in der SPD, wie sie erzählt. Denn als Thilo Sarrazin 2010 sein rassistisches Buch „Deutschland schafft sich ab“ veröffentlicht hatte, entschloss sich Mehria Ashuftah, Sozialdemokratin zu werden. „Die SPD steht für Solidarität, Chancengleichheit und Gleichberechtigung. Sie ist die Partei, die gegen die Nazis aufgestanden ist und verfolgt wurde. Das sind alles Dinge, die für mich Grund waren und sind, Mitglied in dieser Partei zu sein“, sagt sie.
Mit ihrem Einzug in die Hamburger Bürgerschaft wird Mehria Ashuftah dort künftig Teil der diversesten SPD-Fraktion aller Zeiten sein. „Das macht mich stolz. Es war mein großer Wunsch, dass es so kommen wird“, sagt Ashuftah. Denn das Parlament müsse repräsentativ sein und die diverse Hamburger Bevölkerung widerspiegeln. „Vielleicht führt das in bestimmten Bereichen auch zu einem gewissen Umdenken, weil wir nun diverser sind im Parlament“, hofft die Sozialdemokratin. Mit ihrer Geschichte möchte sie andere Frauen inspirieren. So habe sie beispielsweise nach ihrer Wahl mehr als 900 Nachrichten erhalten, darunter auch von Geflüchteten aus aller Welt auf englisch.
Mehria Ashuftah will sich nicht verstecken
Am Donnerstag nach der Wahl hat sie im Rathaus an ihrer ersten Fraktionssitzung teilgenommen. Vieles ist neu für die 37-Jährige. „Ich bin aus dem Nichts gekommen, habe vorher nur im Ehrenamt Ämter innerhalb und außerhalb der Partei bekleidet.“ Zum Beispiel ist Ashuftah mit Bundestagsvizepräsidentin Aydan Özoguz zusammen Co-Landesvorsitzende der SPD-Arbeitsgemeinschaft Migration und Vielfalt in Hamburg und Wertebotschafterin für die Organisation „GermanDream“. In ihrem ersten Mandat will Mehria Ashuftah vor allem Verbesserungen im sozialen Bereich, im Bildungsbereich oder auch in der Innenpolitik erstreiten, sagt sie.
Noch stehen die Zuständigkeiten in der neuen Fraktion nicht fest. Doch ihr Wunsch ist ein Platz im Ausschuss für Soziales, Arbeit und Integration. „Dort könnte ich die Erfahrung und Expertise, die ich in den vergangenen Jahren gesammelt habe, am besten einbringen.“ Und auch mit Blick auf die künftige Regierung in der Hansestadt ist ihr Favorit klar: „Auf jeden Fall Rot-Grün fortsetzen!“
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo