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Dienstältester Minister: Wie Till Backhaus die Wiedervereinigung erlebte

Till Backhaus baute die SDP in Mecklenburg-Vorpommern mit auf, zog im März 1990 in die Volkskammer ein – als kurzes Intermezzo, wie er dachte. Hier blickt der dienstälteste Minister zurück und sagt, was hätte anders laufen können.

von Fritz Beise · 3. Oktober 2024
Langzeit-Minister Till Backhaus: Für mich war klar, dass das ein kurzes Intermezzo würde.

Langzeit-Minister Till Backhaus: Für mich war klar, dass das ein kurzes Intermezzo würde.

Sie waren keines der 43 Gründungsmitglieder der SDP, aber doch von Anfang an dabei. Wann sind Sie eingestiegen?

Ich bin schon im Herbst 1989 in die Diskussionen eingestiegen. Ich war ja damals schon politisch denkender Mensch und auch in Teilen sehr kritisch gegenüber dem System der DDR gewesen. Wir sind auf jeden Fall vor dem 9. November im Amt Neuhaus aktiv geworden. Da haben wir eine erste Gruppe bei uns gebildet und hatten am 13. November dann auch die ersten Runden. Ich habe dann irgendwann auch den Kreisverband Hagenow mitgegründet.

Wie gründet man eine Partei in der DDR?

Naja. Also wir hatten auch Unterstützung aus den alten Bundesländern. Aber im Grunde war das gar nicht so kompliziert. Wir haben nach dem Mauerfall einen eigenen eingetragenen Verein gegründet und das wurde dann auch alles anerkannt. Und dann waren ja im März 1990 auch die ersten freien Wahlen, Kommunalwahlen und zur Volkskammer, und da sind wir dann auch voll angetreten. Wir hatten Wahnsinns-Veranstaltungen, die Säle waren voll, das Interesse groß.

Sie sind dann als einer von 88 Sozialdemokrat*innen mit der zweitgrößten Fraktion in die Volkskammer eingezogen. War von Anfang an klar, dass diese Legislatur nicht besonders lange dauern würde?

Für mich war klar, dass das ein kurzes Intermezzo würde. Ich war ja vorher Abteilungsleiter einer LPG mit über 6000 Hektar. Alle, ich auch, wollten natürlich, dass ich nach dem Ende des Mandats den Betrieb wieder übernehme. 

Deshalb war auch die Umgestaltung der Landwirtschaft für mich ein zentrales Thema. Und die finanzielle Ausstattung für den ländlichen Raum. Und ich denke, ich kann sagen, dass uns der Übergang im Agrarbereich vergleichsweise gut gelungen ist. 

Dann kam im August aber Harald Ringstorff auf mich zu. Und hat mich angesprochen, wir müssen schauen, mit wem wir hier zur Wahl antreten, ob ich nicht weiter kandidieren würde, da wir Experten für die Landwirtschaft benötigen.

Und nun bin ich seit 26 Jahren Minister. Und das in einem Ressort – Landwirtschaft –, in dem ja auch immer wieder was hinzugekommen ist. Also im Grunde ein ganzes Umweltministerium. Ich habe mich also auch immer weiterentwickelt. Und wäre auch nicht so lange Minister, wenn ich nicht auch etwas richtig gemacht hätte und nah bei den Leuten wäre. Da zahlt sich am Ende auch Fleiß aus. 

Harald hat mich dann ja auch gebeten Landesvorsitzender der SPD MV zu werden. Und gleichzeitig Minister in so einem großen Ministerium zu sein, das war schon eine Menge Arbeit. Aber wir haben die Partei, denke ich, in dieser Zeit gut aufgestellt. Mit einem ordentlichen Grundsatzprogramm und auch finanziell. 

Gehen wir nochmal zurück in die Volkskammer. Im Gründungsaufruf der SDP vom 26. August 1989 ist noch von der „Anerkennung der Zweistaatlichkeit“ die Rede. Inwiefern waren Sie als Mitglieder in der Volkskammer auch der gesellschaftlichen Dynamik unterworfen und wann ist die Stimmung von der Reformierung der DDR hin zur Deutschen Einheit gekippt?

Mit dem ersten Einigungsvertrag und der Einführung der D-Mark war der Prozess kaum noch einzuholen, da war klar, wohin die Reise geht. Entweder kommt die D-Mark zu uns oder wir kommen zur D-Mark. So hab ich das auch immer gesagt. 

Sie haben angesprochen, dass der Übergang im Agrarbereich vergleichsweise gut gelungen sei. Wo hätte man anders handeln müssen?

Im Nachhinein weiß man ja sowieso alles besser. Und in so einem Prozess werden natürlich auch eklatante Fehler gemacht. Natürlich gibt es da einiges, was man im Nachhinein anders gemacht hätte. Zum Beispiel die Privatisierung volkseigener Flächen. Detlev Rowedder (Vorsitzender der Treuhandanstalt, A.d.R.) wollte eigentlich erst sanieren und dann privatisieren. Das war der Plan, bis er dann ermordet worden ist. 

Man hätte nach Gründung der Länder die volkseigenen Flächen, also Äcker, Wälder, Wiesen und so weiter, auf die Länder übertragen müssen. Das war auch meine Forderung. Dann hätten die Länder sie aufbereiten und verpachten können. Diese ganze Privatisierung hat nicht gutgetan. Und es fand dadurch ein massiver Vermögenstransfer von Ost- nach West statt.

Das Gleiche im Gesundheitsbereich. Wir hätten das alles in die Verantwortung der Länder übertragen müssen. Aber die Mehrheit wollte die Privatisierung. Und man sieht ja, was dabei rauskommt, wenn Ambulanzen und Kliniken privatisiert sind. Da geht es dann nur noch um Profit und nicht mehr um den Patienten.

Und das Bildungswesen – wenn man das Thema Staatsbürgerkunde und so rausnimmt – war ja gut. Warum sind skandinavische Länder so weit vorne? Weil sie das Bildungssystem der DDR übernommen haben.

Eine der letzten Handlungen der Volkskammer war der Beschluss über den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik. Es gibt immer wieder den Vorwurf, man hätte lieber eine Volksabstimmung über eine neue gemeinsame Verfassung durchführen sollen. Auch für die Akzeptanz. Wie sehen Sie das?

Ich habe die Anerkennung der Einigungsverträge davon abhängig gemacht: Wird die Bodenreform anerkannt? Bekommen die Betriebe, die Menschen, die nach der Bodenreform Flächen betrieben haben, die Flächen als Volleigentum zugesprochen. Wollte die CDU nicht. Das haben wir aber hinbekommen.

Wir hatten damals als Sozialdemokraten bestimmte Essentials gesetzt: 1. Wir wollten, dass die 4+2-Gespräche abgeschlossen werden. 2. Die NATO sollte sich nicht über die DDR hinaus ausbreiten. 3. Im Osten Deutschlands keine NATO-Waffen stationiert werden dürfen.

Aber: Der Druck, der auf uns gelastet hat, macht es müßig, im Nachhinein darüber zu reden, ob der Beitritt richtig war oder nicht. Wir hatten eben nicht die Mehrheit. Die ist natürlich sehr stark von der CDU beeinflusst worden.

Ich war sehr eng befreundet mit Regine Hildebrandt, sie war auch häufiger in meinem Wahlkreis. Sie hat immer darauf gepocht: „Wenn wir nicht aufpassen, brechen hier die ganzen sozialen Systeme zusammen.“ Sie hat sich gegen Norbert Blüm und Theo Weigel gestemmt. Ohne Regine Hildebrandt hätte es die sozialen Systeme und eine weitestgehende Abfederung der finanziellen Lage für viele Leute nicht gegeben. Die Anerkennung der Lebensleistungen ist damit natürlich nicht voll eingetreten, aber die Sozialreformen, auch die späteren, haben zumindest einen Teil dazu beigetragen. Und die hätte es ohne Regine Hildebrandt nicht gegeben.

Außerdem muss man auch mal sagen: Die Deutsche Einheit war im Nachgang ein Konjunkturschub für die BRD insgesamt und auch für Europa. Allein die Modernisierung der Infrastruktur, also Straßen und die Energieversorgung. Da sind gewaltige Investitionen geflossen. Im Westen waren plötzlich die Autos knapp und man hatte Wartezeiten. Daran waren wir im Osten ja gewohnt. Aber auf diese gesteigerte Nachfrage folgt ja auch was.

Und erinnern wir uns allein daran – in Rostock oder Schwerin – wie es hier aussah. Und die ganze Umweltthematik. In der DDR wurde ja noch mit Braunkohle hantiert, das ist alles erneuert worden. Was alles investiert worden ist. Das sollte man nicht vergessen. Das muss man ja auch mal sagen. Vor allem denen, die immer nur meckern, wie schlecht alles sei. Im Vergleich zu anderen Regionen auf der Welt, geht es uns doch hier prima. Demokratie, Freiheit, Reisefreiheit. Ein selbstkritischer Umgang miteinander. 

Wie hat Willy Brandt oder Helmut Schmidt, ich bin nicht ganz sicher, gesagt? Demokratie ist schwierig, aber es ist das Beste, was wir haben.

Autor*in
Fritz Beise

ist Kommunikationsreferent für die SPD Mecklenburg-Vorpommern.

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