150 Jahre Gothaer Programm: Auf die Gerechtigkeit kommt es an
Zum 150. Jubiläum des Gothaer Programms würdigt die SPD ihre Anfänge im historischen Tivoli. Dabei geht es nicht nur um die Vergangenheit – sondern auch um die Zukunft der deutschen Sozialdemokratie im Angesicht des Rechtsrucks.
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Zum Festakt anlässlich des 150. Jubiläums des Gothaer Programms traf sich die Parteiprominenz aller Ebenen: Kommune, Bund und Land.
„Gott sei Dank sind heute mehr Frauen in diesem Saal als vor 150 Jahren“, scherzt Dietmar Nietan, Schatzmeister der SPD und ehemaliger Bundestagsabgeordneter. Wer sich an diesem Abend im Saal des Gothaer Tivoli umsieht, kann tatsächlich fast ebenso viele Frauen wie Männer zählen. Es ist Freitagabend, Ende Mai, und die SPD hat in Gotha zusammengefunden eingefunden. Der Anlass ist feierlich: Vor genau 150 Jahren wurde hier mit der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschland (SAP) die unmittelbare Vorgängerin der SPD gegründet. Bei der damaligen Geburtsstunde der Sozialdemokratie waren 130 Männer vor Ort – Frauen spielten de Facto keine Rolle.
Viel habe sich also getan in den 150 Jahren seit dem Gothaer Parteitag, und trotzdem präge er mit seinem Programm die SPD bis heute, fährt Nietan fort. Und auch im weiteren Verlauf des Festakts betonten die Redner*innen immer wieder: Das Gothaer Programm sei weiterhin relevant – vielleicht heute sogar mehr denn je.
Grundwerte des Gothaer Programms unter Druck?
Manche der elementaren Forderungen des Programms, wie die Schulpflicht, das Verbot von Kinderarbeit oder das Wahlrecht für Frauen, sind schon längst etablierte Grundsätze der deutschen Demokratie, erklärte der Thüringer Landtagsabgeordnete Matthias Hey. Doch andere, wie beispielsweise die Pressefreiheit oder die allgemeine Stärkung der Arbeitnehmerrechte stünden aktuell für manche wieder zur Debatte und seien zunehmend unter Druck.
Die größte Bedrohung sehe er bei alldem durch die AfD, machte Hey klar. Denn die rechtsextreme Partei stehe für das Gegenteil der Grundsätze der Gerechtigkeit und Solidarität, auf denen das Gothaer Programm fuße. Wenn die SPD sich auf diese Grundwerte besinne, bedeute das also auch zu begreifen, was aktuell durch die AfD auf dem Spiel stehe, appellierte er.
„Auch heute stehen wir an einem Wendepunkt, gerade hier in Thüringen“, pflichtet ihm der Thüringer Innenminister Georg Maier in seiner Rede bei. Er sei weiterhin dafür, ein Verbotsverfahren gegen die AfD anzustreben, so Maier, doch um die Menschen auch inhaltlich wieder zurückzugewinnen, müsse die SPD nun ganz im Sinne des Gothaer Programms „Gerechtigkeit zum großen Thema machen“ – denn: „Überall wo es gerecht zugeht, ist die Demokratie stark“.
Klingbeil: „Wir müssen dagegen halten“
Laut dem Co-Parteivorsitzendem, Bundesfinanzminister und Vizekanzler Lars Klingbeil ist der historische Auftrag an die heutige SPD klar. Sozialdemokrat*innen hätten stets „die Demokratie verteidigt, als andere Diktaturen errichten wollten oder andere zuließen, dass sie errichtet werden“, betonte er. Nun komme es auf jede*n Einzelne*n an, die Demokratie auch dieses Mal zu verteidigen, so Klingbeil. Egal ob „auf der Familienfeier oder im Stadion“, appellierte er, „wir müssen dagegenhalten“ – oder konkret: wiedersprechen. Denn das sei die Aufgabe von Demokrat*innen.
Gleichzeitig müsse sich die SPD aber auch die Frage stellen, warum „Hass und Hetze auf so fruchtbaren Boden stoßen“, so der Vizekanzler. Um dem entgegenzutreten, müsse das verlorene Vertrauen wieder aufgebaut werden, und zwar mit konkreten Maßnahmen. Wie Georg Maier sehe auch er den Schlüssel in einer Antwort auf die aktuellen Gerechtigkeitsfragen wie den hohen Lebensmittelkosten, dem Zustand der Schulen oder den überhöhten Mieten. Es sei nun an der SPD, in diesen schwierigen Zeiten Verantwortung zu übernehmen – wie beispielsweise mit dem beschlossenen Sondervermögen für die Infrastruktur – erklärte Klingbeil. Denn das tue sie „schon immer“.