Parteileben

Oberbürgermeister Knut Kreuch: „Gotha fehlt der SPD derzeit“

In Gotha begann vor 150 Jahren der Aufstieg der SPD. Doch welche Rolle spielt die thüringische Stadt heute für die Sozialdemokratie? Eine zu geringe, findet Gothas Oberbürgermeister Knut Kreuch.

von Kai Doering · 23. Mai 2025
Knut Kreuch, Oberbürgermeister von Gotha, im Anzug am Hauptmarkt. Im Hintergrund das Rathaus

Will, dass die SPD wieder mit Gotha wagt: Oberbürgermeister Knut Kreuch

Wenn man als Sozialdemokrat*in an Gotha denkt, fällt einem schnell der Vereinigungsparteitag von 1875 und natürlich das „Gothaer Programm“ ein. Wieviel Gotha steckt in der SPD?

Wenn man sich die Partei heute ansieht, leider ziemlich wenig. Gotha markiert für die SPD den Durchbruch zur großen Volkspartei. Mit Gotha begannen der Aufstieg SPD und der Widerstand gegen die Bismarck’sche Politik. Die Durchsetzungsfähigkeit der SPD ist in dieser Zeit geprägt und im Laufe der Zeit immer stärker geworden. Und deswegen konstatiere ich: Gotha fehlt der SPD derzeit.

Inwiefern?

Gotha ist ein Symbol für Vereinigung. Das Thema Bündelung von Kräften ist in der SPD aber derzeit nicht so stark ausgeprägt. Wir sind zu sehr damit beschäftigt, uns über Personen zu echauffieren und Flügelkämpfe auszutragen, etwa zwischen Jung und Alt. Das, was uns stark gemacht hat – der Einsatz für die kleinen Leute, die Menschen, die von ihrer Arbeit leben wollen – kommt dabei viel zu kurz. Wir beschäftigen uns mit Einzelthemen und nehmen nicht die Gesellschaft als Ganzes in den Blick. Deshalb erkennen die Menschen die SPD nicht mehr als die große Fortschrittspartei in Deutschland und in Europa.

Knut
Kreuch

Unsere Stimmen holen wir nicht in der Politik, sondern dort, wo die Menschen in ihrem täglichen Leben sind.

Warum wurde als Ort für den Vereinigungsparteitag damals eigentlich Gotha ausgewählt?

Gotha ist immer der richtige Ort, wenn es um Zukunft geht! Leider hat das die SPD bis heute nicht erkannt, sonst hätte sie längst ein Bundesinstitut in Gotha angesiedelt, das sich Zukunftsfragen widmet. Das wird in verschnarchten Städten wie Weimar gemacht, aber nicht bei uns. Eine Rolle bei der Wahl von Gotha dürfte damals aber auch gespielt haben, dass es eine liberale Staatsgesetzgebung gab und dass Gotha ein Verkehrsknotenpunkt war. So war es den Delegierten möglich, kurzfristig in die Stadt zu kommen.

Das „Tivoli“, wo 1875 der Vereinigungsparteitag stattfand, ist natürlich der zentrale SPD-Ort in Gotha. Wo macht sich die Sozialdemokratie sonst noch in der Stadt bemerkbar?

Neben dem „Tivoli“ gibt es keine prägenden Orte. Sehr präsent ist natürlich das Bürgerbüro unseres Landtagsabgeordneten Matthias Hey, das „Hey Live“, und eine wichtige Rolle spielen unsere Stadträtinnen und Stadträte bei Veranstaltungen. Historisch wichtig ist der 27. Januar 1990. An diesem Tag hielt Willy Brandt vor mehr als 100.000 Menschen seine „Gothaer Rede“ und prägte dabei den Satz „Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört“, den er vorher in Berlin vorformuliert hatte. Daran erinnert eine Gedenktafel am Gothaer Hauptmarkt. Mehr Menschen und mehr Euphorie hat es in Gotha nie gegeben.

Obwohl überall sonst in Thüringen die AfD triumphiert, steht die SPD in Gotha seit Jahren gut da. Sie sind seit 2006 Oberbürgermeister, die SPD hat die Mehrheit im Stadtrat und stellt den Landrat. Was macht die SPD in Gotha anders?

Wir zeigen Gesicht und werben mit Menschen, die glaubwürdig sind. So haben wir auch gegen Bundes- und Landestrend gewonnen. Eine wichtige Rolle spielt dabei, dass unsere Kandidaten nicht nur als Politiker bekannt sind. Unser Landrat Onno Eckert ist Fußball-Schiedsrichter. Unser Landtagsabgeordneter Matthias Hey macht Stadtführungen. Und ich bin im Trachtenverein aktiv. Unsere Stimmen holen wir nicht in der Politik, sondern dort, wo die Menschen in ihrem täglichen Leben sind. Wer fünf Jahre lang Kreuz beweist, bekommt am Ende auch bei der Wahl seine Kreuze.

Knut
Kreuch

Wir haben in Deutschland inzwischen sogar Angst davor, zu investieren.

Was sollten die SPD und ihre Vorsitzenden Saskia Esken und Lars Klingbeil am Freitag aus Gotha mitnehmen?

Sie sollten mitnehmen, dass es auch bei einer Doppelspitze eine einheitliche, starke Führung braucht und ebenso klare Konturen. Gerade jetzt muss die SPD Flagge zeigen und Farbe bekennen. Sie muss ihre Wurzeln deutlich in die Zukunft austrecken und erklären, was für uns heute Brüderlichkeit und Solidarität bedeuten. Wir sollten viel stärker auf diese Werte setzen, im heutigen Format natürlich.

Was bedeutet das konkret?

Solidarität heißt, die Leistungsgesellschaft zu stärken und denen, die eine Leistung erbringen, Wertschätzung entgegenzubringen und gleichzeitig Ängste vor der Zukunft zu nehmen. Wir haben in Deutschland inzwischen sogar Angst davor, zu investieren. Das führt am Ende dazu, dass auf den Wahlzetteln die Kreuze an der falschen Stelle gemacht werden. Das merken wir inzwischen deutlich, in Ost und West. Und leider auch in Gotha.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

Weitere interessante Rubriken entdecken

Noch keine Kommentare
Schreibe einen Kommentar

Klartext

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
  • Website- und E-Mail-Adressen werden automatisch in Links umgewandelt.